Demokratie
Trotz Wahlerfolg wirkt Modi nun besiegbar
Premierminister Narendra Modi hatte geprahlt, das Parteienbündnis um seine hindu-chauvinistische BJP (die National Democratic Alliance – NDA) werde mehr als 400 der 543 Parlamentssitze gewinnen. Sie bekam aber nur 293 Sitze, gerade mal 19 mehr als nötig, um Modi im Amt zu bestätigen. Vor fünf Jahren hatte die BJP allein 303 Sitze errungen und hätte damit allein regieren können.
Von nun an ist Modi nur dank der Unterstützung zweier Regionalparteien Regierungschef. Sie können ihn stürzen.
Modi betrieb im Wahlkampf aggressive Identitätspolitik gegen Muslime und versprach, Hindus Vorrang zu geben. Viele benachteiligte Menschen fielen darauf aber nicht herein. Arme Hindus wissen, dass sich ihr Los unter Modi zehn Jahre lang nicht verbessert hat. Sie haben nichts von der Hetze gegen Islam-Angehörige, die immer wieder zu Lynchmorden und tödlichen Pogromen führt.
Niederlage in Ayodhya
Besonders deutlich wurde dieser Trend in der nordindischen Stadt Ayodhya, wo Modi im Januar einen neuen Ram-Tempel eingeweiht hatte. Er entstand anstelle einer alten Moschee, die fanatische Hindus 1992 abgerissen und damit blutige Krawalle im ganzen Subkontinent ausgelöst hatten. Die Medien feierten die Tempeleinweihung als Moment nationaler Größe. Im Wahlkreis Faizabad, zu dem die Stadt gehört, wurde das anders gesehen. Die Stimmenmehrheit ging nicht an Modis Kandidaten, sondern an den Angehörigen der marginalisierten Dalits, den die Opposition aufgestellt hatte.
Modi gab sich im Wahlkampf stolz auf die wirtschaftliche Leistung seiner Regierung, Massen fühlen sich aber zurückgelassen. Agierenden am Kapitalmarkt versprach er „Stabilität“, und als die ersten Prognosen einen triumphalen BJP-Sieg voraussagten, stiegen die Aktienkurse rasant. Als sich die Daten als falsch erwiesen, stürzten sie wieder ab. Die Oppositionsallianz um die Kongresspartei fordert nun eine Untersuchung, ob es Insiderhandel gab.
In den vergangenen zehn Jahren haben Modi und seine Partei getan, was sie konnten, um demokratische Institutionen zu schwächen, und zunehmend autoritär regiert. Sie stützen sich dabei auch auf aggressive Onlinepropaganda. Leider knickten die großen Medienhäuser weitgehend ein. Trotzdem haben sehr viele Menschen die manipulative Identitätspolitik zurückgewiesen.
Zu Fuß durchs ganze Land
In Indiens Politik sind charismatische Führungspersönlichkeiten wichtig. Vor zehn und vor fünf Jahren fehlte der Opposition ein Spitzenkandidat mit Profil. Diesmal ist Raoul Gandhi, dessen Vater, Großmutter und Urgroßvater für die Kongresspartei indische Regierungen geführt hatten, in die Rolle hineingewachsen. Das begann mit einer langen politischen Wanderung zu Fuß durchs ganze Land. Er demonstrierte damit einerseits Demut im Sinne überkonfessioneller Pilgertraditionen, andererseits aber auch Interesse am Leben in abgelegenen Regionen oder städtischen Slums.
Als Modis NDA-Koalition 2014 siegte, war das ein Votum gegen die Korruption der Kongresspartei. Ihr Erfolg 2019 war Resultat der Hoffnung, sie werde Entwicklungsversprechen erfüllen. Die diesjährige Wahl hat Modi zwar nicht des Amtes enthoben, aber die angeschlagene Demokratie wieder gestärkt.
Modi und das riesige Netzwerk hindu-chauvinistischer Organisationen dürfen nicht unterschätzt werden. Sie sind angezählt, aber nicht k. o. Dass niemand in den Fraktionen der NDA jetzt noch dem Islam, dem Sikhismus oder dem Christentum angehört, belegt deutlicher als zuvor die spalterischen Tendenzen.
Keine Demokratie ist perfekt, auch Indiens nicht. Es sitzen nur 74 Frauen im Parlament, also gerade mal 14 Prozent. Diese Demokratie ist trotzdem lebendig. Abermillionen armer, ausgegrenzter und unterdrückter Menschen haben sie gerettet. Sie interessieren sich nicht für Glanz und Gloria einer Hindunation, sondern wollen besser leben. Das muss die Opposition nutzen und Themen wie soziale Gerechtigkeit, Säkularismus, Grundrechte und staatliche Rechenschaftspflicht betonen.
Suparna Banerjee ist Politikwissenschaftlerin und lebt in Friedberg.
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