Kurzfilme
Nachwuchstalente verfilmen afrikanische Mythen
Mamlambo ist eine reptilienartige Flusskreatur in der Überlieferung der südafrikanischen Zulu, ein böswilliges Geschöpf, das Menschen ins tiefe Wasser zieht und tötet. In ihrem gleichnamigen Kurzfilm interpretiert die südafrikanische Regisseurin Gcobisa Yako die Figur modern um: zu einem wohlwollenden weiblichen Wesen, das auf der Seite von Frauen steht, die Gewalt erfahren haben. Als sich die junge Amandla aus Verzweiflung einen Wasserfall hinabstürzt, wird sie von Mamlambo gerettet und lernt, dass genderbasierte Gewalt ein Problem erheblichen Ausmaßes ist.
Gemeinsam mit fünf weiteren Kurzfilmen bildet „Mamlambo“ die sechsteilige Drama-Serie „African Folktales Reimagined“, zu sehen seit 2023 auf der Streamingplattform Netflix. Junge Regisseur*innen aus Kenia, Mauretanien, Nigeria, Südafrika, Tansania und Uganda zeigen darin ihre eigenen Interpretationen tradierter Erzählungen und mythologischer Motive.
Da ist beispielsweise die Dystopie „Anyango und der Oger“ der kenianischen Regisseurin Voline Ogutu. Die frauenverachtende Gesellschaft darin ist zweigeteilt: Zu einem umzäunten Ort voller Reichtum und Überfluss haben nur junge Frauen Zutritt; sie sind festgelegt auf die Mutterrolle in der konventionellen Familie. In der Außenwelt dagegen leben ältere, marginalisierte Frauen in ärmlichen Umständen. Die Welt der Reichen ist aber nur scheinbar heil: Mit dem Märchen von einem Ehemann, der sich als Monster entpuppt, lenken sich drei Kinder davon ab, dass ihr Vater ihnen und ihrer Mutter Gewalt antut.
Wettbewerb von UNESCO und Netflix
Die sechs Regisseur*innen haben einen Kurzfilmwettbewerb von UNESCO und Netflix gewonnen, der für Nachwuchstalente zwischen 18 und 35 Jahren aus Subsahara-Afrika ausgeschrieben war. Ihre Ideen stachen aus mehr als 2000 Einsendungen hervor, sie gewannen je 25 000 Dollar und ein Produktionsbudget von 75 000 Dollar, um die Filme mit lokalen Produktionsfirmen umzusetzen. Die UNESCO möchte mit der Aktion junge Filmemacher*innen fördern und die kulturelle Vielfalt des Kontinents unterstützen.
Vielfältig sind auch die Genres innerhalb der Serie: In dem Science-Fiction-Drama „Halimas Wahl“ taucht eine junge Frau, die zwangsverheiratet werden soll, in eine virtuelle Welt ein; in dem Historienthriller „Katera von der Strafinsel“ übt eine Frau Rache an einem grausamen Mann; und „Katope“ erzählt von der Begegnung eines Mädchens mit einem mysteriösen Regenvogel während der Trockenzeit.
Die Filme sind von unterschiedlicher Qualität. Besonders gelungen ist neben dem eingangs erwähnten „Mamlambo“ der Beitrag „Der feindselige Dschinn“ des mauretanischen Regisseurs Mohamed Echkouna über eine ältere Frau, die weiß, wie sie ihre Familie vor einem bösen Geist schützt.
„African Folktales Reimagined“ wirft ein Licht auf den kulturellen Schatz mündlicher Überlieferungen – und auf Nachwuchstalente der afrikanischen Filmbranche. In ihrer Sicht auf Mythologie und Gegenwart treffen Elemente von Fantasy und Science-Fiction auf teils drastisch dargestellte Gesellschaftskritik. Die Unterdrückung der Frau in der patriarchalen Gesellschaft wird mehrmals thematisiert. Eine neue Generation afrikanischer Filmschaffender zeigt eindrucksvoll, dass sie sich nicht scheut, heiße gesellschaftspolitische Eisen anzufassen.
Kurzfilme
Netflix und UNESCO, 2023: African Folktales Reimagined. FSK 16. Filme und Regisseur*innen:
Katera von der Strafinsel (Loukman Ali, Uganda, 28 min);
Halimas Wahl (Korede Azeez, Nigeria, 24 min);
Anyango und der Oger (Voline Ogutu, Kenia, 18 min);
Der feindselige Dschinn (Mohamed Echkouna, Mauretanien, 19 min);
Katope (Walt Mzengi, Tansania, 14 min); Mamlambo (Gcobisa Yako, Südafrika, 21 min).
Jörg Döbereiner ist Redakteur bei E+Z/D+C.
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