Entwicklung und
Zusammenarbeit

Frauenrechtsaktivistinnen

„Wir haben mehrere internationale Konzerne verklagt“

Wenn Arbeiterinnen ausgebeutet werden oder die Landrechte von Indigenen bedroht sind, scheut sich die Anwältin Alejandra Ancheita nicht, auch internationale Bergbau- und Energieriesen zur Rechenschaft zu ziehen.
Alejandra Ancheita, Anwältin aus Mexiko. Alejandra Ancheita Alejandra Ancheita, Anwältin aus Mexiko.

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe von Interviews mit Frauenrechtlerinnen aus der ganzen Welt. Sie teilen ihre Erlebnisse und berichten von Erfolgen der Frauenrechtsbewegungen in ihren Ländern.

Wie setzen Sie sich für die Rechte von Frauen ein, und was motiviert Sie?

Ich bin eine feministische Anwältin und Menschenrechtsverteidigerin aus Mexiko, Gründerin und Geschäftsführerin des Proyecto de Derechos Económicos, Sociales y Culturales (ProDESC) und der Initiative für Transnationale Gerechtigkeit (IJT). ProDESC unterstützt Migrantinnen und indigene Gemeinschaften sowie Frauen in der Landwirtschaft und in prekären Industriesektoren. Wir wollen faire Arbeitsbedingungen, den Zugang zu Land und natürlichen Ressourcen sichern und systemische Gewalt und Ausbeutung bekämpfen. Wir ziehen auch Unternehmen zur Rechenschaft, wenn sie Rechte verletzen: Wir haben mehrere transnationale Unternehmen vor nationale und internationale Rechenschaftsmechanismen gebracht. ProDESC kombiniert Community-Organisation, Konzernanalysen, Menschenrechtsklagen und Advocacy-Arbeit. Von Forbes und El País wurde ich für meine Arbeit zu einer der einflussreichsten Frauen Lateinamerikas gewählt. Was mich motiviert, sind die unzähligen Frauen, die kämpfen und Veränderungen vorantreiben – aber nicht gehört werden.

Vor welchen Herausforderungen stehen Frauen in Mexiko?

Es gibt viel strukturelle Gewalt und eine tief verwurzelte Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Frauen arbeiten viel häufiger in prekären, informellen Arbeitsverhältnissen, oft schlecht bezahlt, ohne soziale Absicherung und rechtliche Anerkennung. Für indigene und ländliche Frauen sind die Hürden noch höher, sie haben weniger Chancen und Zugang zu Ressourcen, sind also noch verwundbarer. Drastisch ist auch die geschlechtsspezifische Gewalt mit alarmierend hohen Femizid-Raten. Viele Fälle werden nie aufgeklärt oder bearbeitet, so dass die Täter ungestraft davonkommen und die Frauen weiter in ständiger Gefahr schweben. Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen politisch kaum vertreten sind. Die Entscheidungspositionen sind in der Regel von Männern besetzt – auch wenn wir zum ersten Mal eine weibliche Präsidentin haben. Frauen haben wenig Einfluss auf die Politik, die sie betrifft, und Frauen aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen haben kaum rechtliche Möglichkeiten. Juristische Mechanismen sind für sie oft unzugänglich, weshalb sich Ungleichheit und Ungerechtigkeit fortsetzen. Bei der Arbeit von ProDESC sehen wir das immer wieder – wenn wir Maquila-Arbeiterinnen begleiten, die in riesigen Textilfabriken arbeiten, oder Tagelöhnerinnen, temporäre Wanderarbeiterinnen, Kunsthandwerkerinnen, Sexarbeiterinnen, Zustellerinnen und Beschäftigte in der Gig Economy.

Was hat die Frauenrechtsbewegung in Mexiko bisher erreicht?

Es gab bedeutende Gesetzesreformen, darunter das Allgemeine Gesetz über den Zugang von Frauen zu einem gewaltfreien Leben und das jüngste Verfassungsreformpaket zur substanziellen Gleichstellung, mit dem der Gender-Pay-Gap, der Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern, verringert werden soll. Das alles ist enorm wichtig, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Im Bereich der Arbeitsrechte haben die Bemühungen zu einem besseren Schutz für Frauen, insbesondere im informellen Sektor, geführt. Die Einrichtung eines nationalen Pflegesystems spiegelt die zunehmende Anerkennung ihrer Leistungen wider. Öffentliche Sensibilisierungs- und Advocacy-Kampagnen haben drängende Themen wie Diskriminierung am Arbeitsplatz und geschlechtsspezifische Gewalt in die öffentliche Debatte eingebracht. Die National Coordination of Women Labour Rights Defenders, ein Zusammenschluss von Kollektiven, die von ProDESC beraten werden, hat diese Bemühungen dokumentiert. Die Umsetzung ist jedoch nach wie vor uneinheitlich und viele dieser Reformen existieren nur auf dem Papier. Gewalt und Straflosigkeit sind auf dem Vormarsch, und die wirtschaftliche Ungleichheit hält viele Menschen in einem Kreislauf von Armut und Ausbeutung gefangen. Der Weg zu vollständiger Gerechtigkeit und Gleichstellung bleibt eine enorme Herausforderung.

Alejandra Ancheita ist eine feministische Anwältin und Menschenrechtsverteidigerin aus Mexiko. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin von Proyecto de Derechos Económicos, Sociales y Culturales (ProDESC) und der Initiative für transnationale Gerechtigkeit (IJT).
alejandra@prodesc.org.mx
ProDESC: https://prodesc.org.mx/en/home-english/