Bevölkerungswachstum

Globale Herausforderung

Afrika hat die jüngste Bevölkerung der Welt. Für sie gibt es bei weitem nicht genügend Arbeitsmöglichkeiten. Das stellt nicht nur den Kontinent selbst vor große Herausforderungen, sondern wirkt sich weltweit aus.
In Afrika, wie hier in Ruanda, gelten viele Kinder als Zeichen von Reichtum. kd In Afrika, wie hier in Ruanda, gelten viele Kinder als Zeichen von Reichtum.

In Afrika leben mehr als 800 Millionen Menschen unter 25 Jahren, das sind 62 Prozent der Bevölkerung. In Asien und Lateinamerika macht diese Altersgruppe lediglich etwas mehr als 40 Prozent aus und in den Industrieländern Europas und Nordamerikas sogar nur rund ein Viertel.

Einer der Gründe für Afrikas Kinderreichtum liegt darin, dass Kinder hier traditionell als Zeichen von Reichtum und als Geschenk der Natur gelten, das man auf keinen Fall ablehnen darf, will man nicht den Zorn der Vorfahren heraufbeschwören. Allmählich gibt es in den Metropolen zwar auch eine Tendenz zur Kleinfamilie. Aber vor allem auf dem Land geht dieser Wandel sehr langsam voran.

Afrikanerinnen bekommen im Durchschnitt vier bis fünf Kinder. In manchen Ländern, etwa dem Niger, sind es sogar sieben. Anders sieht es in den nordafrikanischen Ländern und in Südafrika aus: Dort sind zwei Kinder pro Frau die Regel, was vor allem auf die höhere Bildung der Frauen, ihre Berufstätigkeit und leichteren Zugang zu Verhütungsmitteln zurückzuführen ist.

Ein weiterer Grund für die vielen jungen Menschen in Afrika liegt in der gesunkenen Säuglings- und Kindersterblichkeit. Bessere Versorgung in der Schwangerschaft hat zudem zu weniger riskanten Geburten geführt. Durch die verbesserte Gesundheitsversorgung ist auch die Lebenserwartung stark gestiegen. Insgesamt kommen also mehr und gesündere Kinder zur Welt, die länger leben als beispielsweise noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.


Afrika wächst

Als die afrikanischen Länder ab den 1950er Jahren unabhängig wurden, lebten rund 280 Millionen Menschen oder sieben Prozent der Weltbevölkerung auf dem Kontinent. In 60 Jahren sind mehr als eine Milliarde Menschen hinzugekommen. Heute machen die 1,3 Milliarden Afrikaner 14 Prozent der Weltbevölkerung aus, und ihr Anteil steigt weiter. Laut den UN-World Population Prospects 2019 wird die Bevölkerung Subsahara-Afrikas bis Mitte dieses Jahrhunderts um mehr als eine Milliarde Menschen zunehmen und auch noch über den Jahrhundertwechsel hinaus weiter wachsen. Die anderen Weltgegenden werden den Höhepunkt ihrer Bevölkerungszahl voraussichtlich vor Ende dieses Jahrhunderts erreichen.

Für Afrikas Staaten stellt sich die Frage, wie sich die demografischen Veränderungen auf ihre mittel- und langfristige Entwicklung auswirkt. Das große Wirtschaftswachstum von durchschnittlich rund fünf Prozent pro Jahr in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat viele Länder glauben gemacht, dass ihre Volkswirtschaft bis 2030 erstarken wird. Im Vergleich zum Bevölkerungswachstum, das seit Ende der Kolonialzeit im Schnitt 2,5 Prozent pro Jahr betrug, ist das Wirtschaftswachstum jedoch zu bescheiden, um Afrikas Ökonomien wirklich nach vorne zu bringen. ­Außerdem werden die Einnahmen aus dem Wirtschaftswachstum gebraucht, um die sozialen Folgen des Bevölkerungswachstums zu bewältigen.

Mehr Menschen, insbesondere mehr junge Menschen, bedeuten einen riesigen Bedarf an Bildung, guten Arbeitsplätzen und Wohnmöglichkeiten. Viele Länder können diese Nachfrage aus eigener Kraft nicht decken. Daher verlässt sich der Staat fast überall in Afrika in den meisten Bereichen auf den Privatsektor, damit dieser die Bedürfnisse der Menschen befriedigt. Weitreichende Privatisierung etwa im Gesundheits- und Bildungsbereich ist üblich.

Viele der jungen Menschen, die jedes Jahr neu auf den Arbeitsmarkt kommen, finden keine Jobs, weil es nicht genügend öffentliche und private Investitionen gibt. Trotzdem setzen afrikanische Länder in ihren Entwicklungsplänen auf die demografische Dividende (siehe Kasten), um ihre Wirtschaft voranzubringen. Ob diese eintritt, ist jedoch fraglich.

Bisher mangelt es an ordentlich bezahlten Arbeitsplätzen und entsprechend verdienen viele junge Menschen im informellen Sektor nur recht geringe Einkommen. Die Regierungen müssten in den kommenden 20 Jahren 450 Millionen Jobs in Afrika schaffen, um der grassierenden Jugendarbeitslosigkeit und -unterbeschäftigung Herr zu werden. Da ihre Volkswirtschaften jedoch immer noch vom Export von Rohstoffen abhängen, deren Preise sie nicht bestimmen können, können sie selbst bei sehr gutem Wirtschaftswachstum laut dem Africa Competitiveness Report 2017 höchstens 100 Millionen Jobs bis 2050 schaffen.


Nur jedes vierte Paar verhütet

Ökonomen, die an die demografische Dividende glauben, gehen zudem von verändertem Bevölkerungswachstum aufgrund gesellschaftlichen Fortschritts aus, etwa besserer Bildung für Mädchen. Kulturelle Faktoren und der große Einfluss der mono­theistischen Religionen, die Verhütung ablehnen, verlangsamen diesen Wandel allerdings stark. Die Befürworter einer strikteren Familienpolitik und Geburtenkontrolle durch den Staat rufen nach einer Verhütungsrevolution. In ihren Augen ist es höchste Zeit, von oben her einzugreifen. So könnten die Regierungen ihren Vorstellungen zufolge erreichen, dass drei Viertel aller afrikanischen Paare moderne Verhütungsmethoden verwenden. Aktuell tut das nur rund ein Viertel.

Ohne große strukturelle Veränderungen im internationalen Wirtschaftssystem und der Regierungsfüafrikanischer hrung Länder lässt Afrikas Bevölkerungswachstum nichts Gutes erwarten. Seine Folgen können auch die anderen Weltgegenden nicht kalt lassen. Das gilt vor allem für den Nachbarkontinent Europa und den Nahen Osten.

Die jungen Menschen Afrikas stellen eine Zeitbombe für die Regierbarkeit der afrikanischen Länder dar. Die Konzentration von politischer und wirtschaftlicher Macht in den Händen weniger treibt viele arbeitslose Jugendliche in die Revolte. Der Arabische Frühling und die derzeitigen Protestbewegungen in allen Teilen Afrikas sind Zeichen für die verbreitete Instabilität. Diese muss der Kontinent in den kommenden Jahrzehnten unbedingt angehen.

Aus Sorge, ihre Privilegien zu verlieren, unterdrücken die Machthaber die Protestbewegungen. Die freie Meinungsäußerung ist vielfach bedroht, wenn es um das Offenlegen von Korruption und Vetternwirtschaft der politischen Führer – mit Hilfe unseriöser multinationaler westlicher und asiatischer Konzerne – geht. Letztere tragen dazu bei, dass die Sorge der Afrikaner vor einer Neokolonisierung des Kontinents zunehmen, da sie es nicht schaffen, in Afrika gute Arbeitsplätze zu schaffen. Die Folge sind bewaffnete Aufstände und terroristische Akte.

Ein weiteres Phänomen verdient Beachtung: die massenhafte Flucht junger Menschen aus Afrika. Auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten werden sie zu Mi­granten. Die alternde Bevölkerung im Westen und der Bedarf an billigen Arbeitskräften im Osten verleiten immer mehr junge Afrikaner dazu, ihr Leben auf unsicheren Fluchtwegen zu riskieren. Vor diesem Hintergrund stellt sich die demografische Entwicklung Afrikas ganz klar als internationale Herausforderung dar.


Links


UN, 2019: World Population Prospects 2019 – Highlights:
https://population.un.org/wpp/Publications/Files/WPP2019_Highlights.pdf

African Development Bank, World Economic Forum und World Bank Group, 2017: The Africa Competiveness Report 2017.
http://www3.weforum.org/docs/WEF_ACR_2017.pdf


Samir Abi arbeitet für Visions Solidaires, eine nichtstaatliche Entwicklungsorganisation in Togo.
samirvstg@gmail.com