Finanzwirtschaft
Nötige Kooperation
[ Von Robert Elsen ]
Spätestens der Schock durch den Kollaps der Investment Bank Lehman Brothers im September 2008 hat allen vor Augen geführt, wie wichtig eine funktionierende Finanzaufsicht ist. Kompetente Kontrollinstanzen müssen derartige Desaster künftig verhindern.
Die globale Wirtschaftskrise macht zudem den hohen Grad der internationalen Verflechtung deutlich. Den Einbruch des Welthandels und die Exportabhängigkeit bekamen besonders ausfuhrorientierte Länder wie Deutschland und China unmittelbar zu spüren. Auch die realwirtschaftliche Vernetzung bedarf stimmiger Regeln.
Ein geordneter Kapitalmarkt schafft Vertrauen – und trägt dadurch zu Investitionen aus dem In- und Ausland bei. In jedem Fall ist ein funktionstüchtiges Finanzsystem für den volkswirtschaftlichen Erfolg wesentlich. Gerade Kleinanleger müssen auf die Leistungsfähigkeit der Finanzinstitute sowie die Sicherheit ihrer Spareinlagen vertrauen können. Tun sie das nicht, trägt ihr Kapital keine Zinsen – und ist somit aus volkswirtschaftlicher Sicht weitgehend wertlos, weil keine Bank es als Kredit für Investitionen bereitstellen kann.
Damit Sicherheit und Vertrauen herrschen, muss in jeder Marktwirtschaft der Finanzmarkt reguliert und überwacht werden. Klar geregelte Abläufe sind für das Vertrauen der Anleger wesentlich. Zudem müssen Regeln über die Einlagensicherung garantieren, dass die Kleinanleger im Fall einer Bankpleite einen möglichst großen Teil ihrer Ersparnisse zurück bekommen.
Für die Architektur der Finanzaufsicht gibt es keine Musterlösung. Die meisten Länder haben dafür spezielle Behörden geschaffen. In Deutschland gilt seit 2002 grundsätzlich das Allfinanzmodell, weil die seinerzeit gegründete Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) für die drei zentralen Bereiche Bankenaufsicht (BA), Wertpapieraufsicht (WA) und Versicherungsaufsicht (VA) zuständig ist. Allerdings nimmt auch die Bundesbank Aufsichtsaufgaben wahr, sodass Fachleute vom „modifizierten Allfinanzmodell“ sprechen.
Doch die nächste Reform steht bereits an. Die Rolle der Bundesbank soll weiter gestärkt werden, wie der Koalitionsvertrag von Unionsparteien und FDP vorsieht. In der Praxis läuft das darauf hinaus, dass die BaFin der Zentralbank eingegliedert werden könnte. Der Grund ist, dass die globale Finanzkrise den Ruf nach einer Bündelung der Aufsicht „aus einem Guss“ verstärkt hat. Auch in vielen anderen Ländern wird die Finanzaufsichtsarchitektur überdacht.
Die Niederlande haben bisher ein „twin-peak-Modell“, mit einer gemeinsamen Überwachungsinstitution für BA und VA sowie einer weiteren für die WA. In China wiederum bestehen drei Aufsichtsbehörden für BA, WA und VA nebeneinander.
Die aktuelle Finanzkrise hat außerdem deutlich gemacht, dass über BA, WA und VA hinaus noch zusätzlicher Aufsichtsbedarf besteht. Experten diskutieren nun Optionen für die „makroprudentielle Aufsicht“. Dabei geht es nicht um das Geschäftsgebaren einzelner Akteure, sondern um Wechselwirkungen zwischen ihnen. Eine Ursache der aktuellen Krise ist nämlich, dass nationale Aufsichtsbehörden kaum mitbekamen, wie sich durch einzelne Wertpapiergeschäfte systemrelevante Risiken aufgebaut haben. Weil problematische Geschäfte vielfach über nationale Grenzen hinweg getätigt wurden, liegt es nahe, dass makroprudentielle Aufseher sich international koordinieren sollten.
Ein weiteres Thema ist die Beaufsichtigung der Ratingagenturen, die oftmals zu optimistische Einschätzungen vergeben, beziehungsweise ihre Ratings nicht fortlaufend an die aktuelle Entwicklung angepasst haben. Ein Aspekt mit auch politischer Dimension ist die Frage der Vergütung, die namentlich bei Investmentbankern zuweilen die falschen Impulse gesetzt hat, da ihre Boni an kurzfristige Erfolge geknüpft waren anstatt an die langfristige, nachhaltige Entwicklung der Unternehmen. Das Financial Stability Board, ein Zusammenschluss der Aufsichtsbehörden und Regulierer aus den wichtigsten Volkswirtschaften, hat hierzu im September 2009 Prinzipien ausgearbeitet, die international als Richtschnur gelten.
Über nationale Grenzen hinaus
Ohnehin hat die internationale Verflechtung schon seit vielen Jahren dazu beigetragen, dass Aufsichtsbehörden stärker als früher international kooperieren. Sie tun das auf verschiedenen Ebenen. Dabei unterscheidet man zwischen regionalem und weltweitem Verbund. In Europa ist der regionale Verbund innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EU plus Norwegen, Island und Liechtenstein) weit vorangekommen.
Die Integration des europäischen Kapitalmarktes zeigt sich am deutlichsten am „Europäischen Pass“ für Finanzinstitute und Emittenten von Wertpapieren. Er sieht die einmalige Zulassung durch eine Finanzaufsicht eines Mitgliedsstaats – den sogenannten Herkunftsstaat – vor, die dann für alle Mitgliedsstaaten bindend ist. Das ist international beispielhaft.
Solch ein kollektives System funktioniert allerdings nur, wenn sich alle Beteiligten gegenseitig vertrauen und es einen einheitlichen Rechtsrahmen gibt. Für Letzteres sorgen bindende Verträge der Mitgliedsländer und die europäischen Kapitalmarktrichtlinien wie beispielsweise die MiFiD. Die Vertreter der nationalen Aufsichtsbehörden treffen sich regelmäßig in drei europaweiten Ausschüssen für die BA, die WA und die VA. Die Europäische Kommission beauftragt diese Ausschüsse mit der Ausarbeitung neuer Vorgaben, wenn derlei nötig wird.
Ein vor einem Jahr veröffentlichter Bericht sieht die Stärkung der europäischen Aufsichtsstruktur vor. Es soll ein neues Organ für makroprudentielle Fragen geschaffen werden: der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRC). Er würde die Stabilitätsrisiken des gesamten Finanzsystems und international tätige Unternehmen überwachen. In Zukunft sollen also, in einem weiteren Schritt der graduellen Harmonisierung, die nationalen Aufsichtsbehörden mit einer paneuropäischen Kontrollinstanz vernetzt werden. Die drei Ausschüsse für BA, WA und VA sollen zu europäischen Finanzaufsichtsbehörden heranwachsen. Die Kommission hat im Herbst letzten Jahres die institutionelle Reform durch entsprechende Vorschläge untermauert.
Dies dürfte darauf hinauslaufen, dass Mitgliedsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums weitere Kompetenzen abgeben. Das wird aber zu Gunsten einer harmonischeren Aufsicht in Kauf genommen. Diesen Impuls können auch andere regionale Zusammenschlüsse aufnehmen – etwa die ASEAN in Südostasien, afrikanische Bündnisse wie SADC, EAC, ECOWAS oder der Mercosur in Südamerika.
Fest steht allerdings, dass die Europäer bezüglich der Integration besonders weit gekommen sind. Das hat historische Gründe. Nach zwei verheerenden Weltkriegen im 20. Jahrhundert ist der Wille, den Nationalstaat Schritt für Schritt in Richtung grenzüberschreitende Gemeinschaft zu überwinden, hier besonders ausgeprägt. Das bedeutet auch, dass europäische Institutionen besonders viel Erfahrung damit haben, ihr Wissen an Partner weiterzugeben (siehe Kasten).
In vielen asiatischen und afrikanischen Ländern sowie Lateinamerika ist die Kooperation dagegen wenig ausgeprägt. Aufgrund der langen Kolonialzeit ist in vielen Staaten die Bereitschaft, Souveränität zu teilen, relativ gering. Zudem bestehen in etlichen Staaten autokratische Tendenzen, die eine supranationale Machtteilung unmöglich machen.
Dennoch schreitet die internationale Integration voran, denn ökonomische Liberalisierung und Demokratisierung haben in den vergangenen Jahrzehnten zu schnell expandierendem Welthandel und einer allmählichen Konvergenz der Volkswirtschaften geführt. In vielen Weltgegenden haben Entscheidungsträger verstanden, welche Vorteile enge Kooperation mit Nachbarn bietet. Dazu gehören etwa komparative Kostenvorteile, weil Verwaltungsschritte eingespart werden. Positiv bewertet werden auch das stärkere Gewicht in der internationalen Staatengemeinschaft oder wirkungsvolleres Krisenmanagement durch gemeinsames Handeln.
Der Bedarf an größerer regionaler Integration hat nicht zuletzt durch die weltweite Finanzkrise weiter zugenommen. Der G20-Gipfel in Pittsburgh im vergangenen Jahr verstärkte nochmals diese Tendenz auf internationaler Arena, wobei den sogenannten Schwellenländern größeres Gewicht in der internationalen Finanzarchitektur beigemessen wird.