Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Gates-Stiftung

Milliardäre bestimmen globale Agenda

Microsoft-Gründer Bill Gates und andere Superreiche stecken zig Milliarden Dollar in die internationale Entwicklungshilfe. Das finanzielle Engagement führt zu immensem Einfluss. Demokratisch legitimiert ist dieser nicht. Die Verantwortung liegt bei den Regierenden der Welt: Sie müssen multilaterale Organisationen so ausstatten, dass sie ihrem Auftrag gerecht werden können.
Melinda Gates spricht bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO). 2016/17 stammten 14 Prozent des WHO-Budgets von der Gates-Stiftung. picture-alliance/dpa Melinda Gates spricht bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO). 2016/17 stammten 14 Prozent des WHO-Budgets von der Gates-Stiftung.

Bill Gates ist der reichste Mensch der Welt. Sein Vermögen wird auf 88,5 Milliarden Dollar geschätzt. Und er ist wohl auch der großzügigste. Seine Frau und er haben über die Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) bereits viele Milliarden ihres Vermögens für den sogenannten guten Zweck gespendet. Gemeinsam mit Warren Buffett, dem zweitreichsten Mann der USA, haben sie 2010 den „Giving Pledge“ ins Leben gerufen: den Aufruf an andere Milliardäre auf der ganzen Welt, es ihnen gleichzutun und mindestens die Hälfte ihres Reichtums zu spenden. 168 Milliardäre haben sich bisher angeschlossen. Buffett hat versprochen, 99 Prozent seines Vermögens der Philan­thropie zu widmen – und zwar vor allem der  Gates-Stiftung.

Das klingt wunderbar und vielversprechend: Die Reichen übernehmen Verantwortung, geben zurück und tun Gutes. Und das, während multilaterale Organisationen chronisch unterfinanziert sind. Außerdem sind sie erfolgreiche Geschäftsmänner und -frauen, die wertvolle Erfahrung im Managen großer Unternehmen und Projekte mitbringen. Macher eben, deren Expertise dort nutzbringend einsetzbar ist, wo Institutionen, Staaten und Regierungen versagen. Dieses Narrativ der wohlwollenden Phil­anthropen, die das Elend der Welt bekämpfen, verfängt durchaus. Die Frage ist, ob wir es so akzeptieren sollten.

Die BMGF ist die größte philanthropische Stiftung der Welt mit einem Stiftungsvermögen von rund 40 Milliarden Dollar. Seit ihrer Gründung hat sie nach eigenen Angaben insgesamt 42 Milliarden Dollar an Zuwendungen vergeben. Sie engagiert sich vor allem in der internationalen Entwicklungshilfe, besonders in den Bereichen Gesundheit und Landwirtschaft. Sie leistet mehr finanzielle Entwicklungshilfe in der Gesundheitsversorgung als jeder Staat und ist die fünftgrößte Unterstützerin landwirtschaftlicher Initiativen in weniger entwickelten Ländern.

Mit diesem immensen finanziellen Beitrag geht beachtlicher politischer Einfluss einher: Bill und Melinda Gates sind in zahlreichen internationalen Kommissionen und Gremien vertreten. Zum Beispiel waren sie 2013 die einzigen NGO-Sprecher in der UN zur Post-MDG-(Millennium Development Goals-)Agenda; 2014 war Melinda Gates die Hauptrednerin bei der World Health Assembly, dem Entscheidungsgremium der Weltgesundheitsorganisation WHO, und Bill Gates wurde 2010 vom damaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in die MDG Advocacy Group berufen, die Unterstützung für die MDG-Agenda mobilisieren sollte.

Kurzum, sie sind regelmäßig Ratgeber zu Gesundheit, reproduktiven Rechten und auch zur Klimapolitik, obwohl sie hier keine Experten sind, und arbeiten auf Augenhöhe mit diversen UN-Organisationen. Hinzu kommt, dass Führungspersonen ihrer Stiftung regelmäßig zwischen der Stiftung, multilateralen Institutionen und Konzernen hin und her wechseln. Das UN-Entwicklungsprogramm (UN Development Programme – UNDP) hat resümiert, dass sich philanthropische Stiftungen nicht mehr nur als Geber, sondern als vollwertige Partner in der Entwicklungshilfe verstehen. Sie erwarten, in der Problemanalyse und Diskussionen zu Politikagenden einbezogen zu werden.

Den Einfluss, den die BMGF und damit Bill und Melinda Gates persönlich auf die globale Agenda der Krankheitsbekämpfung und Gesundheitsvorsorge sowie die Gestaltung und Entwicklung der globalen Landwirtschaft und damit Ernährung haben, ist gewaltig. Im Gesundheitssektor ist die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO) der globale Hauptakteur. Ihr Auftrag ist es, das bestmögliche Gesundheitsniveau für alle Menschen zu verwirklichen, indem sie Krankheiten bekämpft und die allgemeine Gesundheit auf der ganzen Welt fördert. Finanziert werden soll sie eigentlich aus freiwilligen Beiträgen ihrer Mitgliedstaaten. Allerdings steckt die Organisation in einer chronischen Finanzierungskrise – die Staaten zahlen regelmäßig ihre Beiträge nicht vollständig.

Somit ist die WHO auf andere Quellen angewiesen und bezieht rund die Hälfte ihres Budgets aus Stiftungen, NGOs und dem Privatsektor. Allein 14 Prozent ihres gesamten Budgets stammte 2016/17 von der BMGF. Damit ist die WHO und mit ihr die internationale Gesundheits-Governance von diesen privaten Akteuren und ihrer Gunst abhängig. Das ist problematisch, da es keinerlei Verpflichtung für Gates und Co gibt, auch im nächsten Jahr ihr Geld für diesen Zweck auszugeben. Sie könnten ihre Zuwendungen von heute auf morgen einstellen, die WHO und das globale Gesundheitswesen lägen am Boden, wir wären hilflos.

Ein weiteres Problem philanthropischer Zuwendungen besteht darin, dass sie üblicherweise zweckgebunden sind. Das trifft auch für 80 Prozent des WHO-Budgets zu. Damit wird die globale Gesundheitsagenda nicht mehr von der Generalversammlung der WHO bestimmt, sondern von Gebern. Sie haben die Macht, über konkrete Projekte und Schwerpunkte der Organisation zu bestimmen. Anliegen, die nicht ihren Prioritäten und Zielen entsprechen, werden schlicht nicht finanziert.


Markt und Technik

Die BMGF gestaltet damit mehr und mehr die internationale Gesundheitsversorgung: Sie setzt auf marktbasierte und vor allem technische Lösungen für komplexe Probleme. Beispielsweise finanziert sie große Impfkampagnen und verteilt Medikamente und Moskitonetze gegen Malaria. Das hilft. Jedoch wird damit nicht an den strukturellen Ursachen der konstanten Malaise der Gesundheitsbudgets der Regierungen gearbeitet. Der Fokus liegt auf Kampagnen, die sich wie Business-Projekte umsetzen lassen – mit viel Geld, Beziehungen in die Wirtschaft und schnellen messbaren Ergebnissen. Besonders beliebt sind öffentlich-private Partnerschaften (ÖPPs), unter anderem mit der Begründung, dass sie medizinische Behandlung billiger machen. Das stimmt aber nachweislich nicht. Laut Ärzte ohne Grenzen hat die ÖPP GAVI zur Immunisierung von Kindern zwar einzelne Impfungen für einzelne Länder billiger gemacht. Ein umfassender Impfschutz für Kinder war 2014 jedoch 68 Mal so teuer wie noch 2011.

Zudem kommt bei diesem Ansatz die Bekämpfung der Krankheiten selber zu kurz. Eine Impfung macht einen Menschen nicht gesund. Auch Hunger, Durst, Armut und soziale Ungleichheit tragen dazu bei, dass Menschen krank werden.

Besonders problematisch ist, dass private Geber einseitig die Forschungsagenda bestimmen. Im Vordergrund steht die Entwicklung neuer und besserer Impfstoffe gegen übertragbare Krankheiten wie Malaria und HIV/AIDS. Unterrepräsentiert bleibt dagegen die Forschung zu nicht übertragbaren chronischen Krankheiten oder zu präventiven Maßnahmen gegen Lungenentzündungen, Durchfall und Unterernährung von Müttern und ihren Kindern – und das sind immerhin die Ursachen von 75 Prozent aller Kindstode.

Die Forschungs- und Zuwendungspraxis der BMGF begünstigt überdies Pharma-Konzerne wie GlaxoSmithKline, Novartis, Roche, Sanofi, Gilead und Pfizer, bei denen die Stiftung und ihre Namensgeber ihr Geld angelegt haben. Darin besteht ein Interessenkonflikt. Die Konzerne profitieren von der Orientierung auf pharmazeutische Strategien der Gates-Stiftung und die Stiftung von den prosperierenden Konzernen. So wäscht eine Hand die andere – ein cleveres Geschäftsmodell, das sich mit dem Anspruch philanthropischen Engagements veredeln lässt.

Zu Recht kritisiert wird die Gates-Stiftung auch dafür, dass sie große Aktienanteile an Konzernen hält, denen vorgeworfen wird, mit ihren Produkten Herz-Kreislauf­erkrankungen, Diabetes, Fettleibigkeit und andere Krankheitsursachen zu begünstigen. Laut ihrer Steuererklärung 2015 hält die Gates-Stiftung Coca-Cola-Aktien im Wert von 538 Millionen Dollar. Hinzu kommen Beteiligungen an den multinationalen Nahrungsmittelkonzernen PepsiCo, Unilever, Kraft-Heinz, Mondelez und Tyson Foods  sowie den Alkoholkonzernen Anheuser-Busch und Pernod.

Globale Gesundheitspolitik und Prävention braucht umfassendere und bereichsübergreifende Ansätze. Die WHO hat 2008 in einem Bericht festgestellt, dass soziale und ökonomische Faktoren wie Einkommen und seine Verteilung, Lebens- und Arbeitsbedingungen, Bildung und Umwelt einen größeren Einfluss auf die Gesundheit der Menschen haben als die reine medizinische Versorgung. Umso unvernünftiger scheint es, dass die Organisation trotzdem eine Agenda verfolgt, die überproportional auf technische medizinische Hilfe statt auf die Bildung sozio-ökonomischer Kapazitäten und Veränderungen setzt. Statt Geld in den Aufbau staatlicher Gesundheits- und Daseinsversorgung zu investieren, fließen die Gelder – auch durch das ÖPP-Modell – vor allem in den privaten Sektor und die Profitbilanzen amerikanischer und europäischer Pharmakonzerne. So bestimmen einzelne reiche Geschäftsleute, was am dringendsten gebraucht wird, während die Prioritäten vor Ort unter Umständen ganz anders aussehen.

Im globalen Agrarsektor stellt sich die Lage ähnlich dar: Die BMGF versteht Hunger und Mangelernährung vornehmlich als Problem fehlender Technologien und fehlenden Knowhows in der Landwirtschaft. Den Grundstein für diesen Ansatz der Hungerbekämpfung hat ein anderer Philanthrop bereits in den 1960er Jahren gelegt: John D. Rockefeller. Seit 2006 treiben Gates- und Rockefeller-Stiftung gemeinsam mit bisher 3 Milliarden Dollar eine „grüne Revolution“ in Afrika voran, die darauf abzielt, die Produktivität in der Landwirtschaft durch den Einsatz von Hybrid-Saatgut, Biotechnologie, synthetische Dünger oder Gentechnik zu steigern. Dabei fließen rund 96 Prozent der Gelder zu amerikanischen oder europäischen NGOs, die die Maßnahmen implementieren.

Kritiker werfen den Philanthropen daher zu Recht vor, dass dieser Ansatz vor allem afrikanische Märkte für amerikanische und europäische Großkonzerne und NGOs öffnet – von denen die Geberinstitutionen nicht selten selbst profitieren. Lokale, sozial und ökologisch nachhaltigere Alternativen wie Agrarökologie bleiben unterrepräsentiert und werden verdrängt. Außerdem beraubt der paternalistische Top-down-Zugang die lokale Bevölkerung ihrer Gestaltungsfreiheit. Selten werden die Risiken und Nebenwirkungen der technologischen Entwicklung, von genetisch verändertem Saatgut bis hin zu den negativen Auswirkungen industrieller Landwirtschaft und ihrer Methoden, gesellschaftlich diskutiert.

So beeinflusst Bill Gates maßgeblich die internationale Entwicklungspolitik und lenkt sie in Bahnen, die er für richtig hält. Demokratisch legitimiert ist sein Einfluss nicht. Zivilgesellschaftliche Akteure und NGOs kritisieren das oft. Dabei wird leider allzu gerne vergessen, dass auch NGOs, multilaterale Organisationen und staatliches Handeln sehr selten wirklich global demokratisch diskutiert und legitimiert sind.

Das Problem, dass komplexe, strukturelle Probleme und Krisen einseitig mit technischen „Pflaster“-Lösungen bekämpft werden, sozial und ökologisch gerechte Alternativen zu kurz kommen und akute medizinische und technologische Unterstützung von Menschen nicht von einer weitgreifenden Transformation begleitet wird, wurde nicht von Philanthropen wie Bill Gates erschaffen. Vielmehr haben wir es mit einem generellen, globalen Politikproblem zu tun. Regierungen ducken sich vor ihrer Verantwortung und ihrer Aufgabe weg, für die öffentliche Daseinsfürsorge und das Allgemeinwohl zu sorgen. Eine angemessene Besteuerung gerade von Eliten und Mittelschichten wäre das Gebot der Stunde, um Gesundheits-, Bildungs- oder auch Forschungsbudgets zugunsten der ärmeren Bevölkerung und der öffentlichen Güter zu etablieren.

Dass die WHO 80 Prozent ihrer Gelder nur zweckbezogen ausgeben und dadurch allenfalls eine selektive und unzureichende Gesundheitspolitik vorantreiben kann, ist nicht den Philanthropen anzulasten. Die Regierenden der Welt haben die Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Bürger und für das Ende humanitärer Krisen. Sie müssen multilaterale Organisationen so ausstatten, dass sie ihrem Auftrag gerecht werden können. Dazu gehören nicht nur finanzielle und personelle Ressourcen, sondern beispielsweise auch die Einbeziehung der Zivilgesellschaft, der Bevölkerung vor Ort und der Fachexpertise.

 

Gerechtigkeit schaffen

Ihren Bericht aus dem Jahr 2008 schloss die WHO mit dem Fazit: „Soziale Gerechtigkeit ist eine Frage von Leben und Tod“. Sie bestimmt maßgeblich, ob Menschen hungern, in Armut leben, an Infek­tionskrankheiten erkranken, an den Folgen sterben. Philanthropen wie Bill Gates und ihr Engagement für den „guten Zweck“ sind zwar nicht die Ursache für fehlgeleitete Entwicklungspolitik. Sie sind aber die andere Seite der Medaille sozialer Ungerechtigkeit.

In einer Welt, in der einzelne Wenige mehr besitzen als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, besteht das Hauptproblem nicht darin, was sie mit ihrem Reichtum machen. Entscheidend ist, dass die Anhäufung dieses gewaltigen Reichtums Armut, soziale Ungleichheit und Umweltzerstörung verursacht. Dieses Grundproblem müssen wir angehen. Die Bekämpfung von Hunger, Armut und Krankheit in der Welt entscheidet sich nicht an der Spendenbereitschaft und dem Agenda-Setting wohlmeinender Philanthropen. Das Gerechtigkeitsproblem können wir nur lösen, wenn wir eine sozial und ökologisch gerechtere Welt für alle schaffen.


Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.
vorstand@boell.de

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.