Entwicklung und
Zusammenarbeit

Gendergerechtigkeit

Eine Frau an der Macht sorgt nicht automatisch für Gleichstellung

Namibia schreibt Geschichte mit einer erstmals rein weiblichen Staatsspitze. Doch der politische Aufbruch muss sich für die Frauen des Landes in gesellschaftliche Realität übersetzen.
Netumbo Nandi-Ndaitwah, Präsidentin Namibias. dpa/ASSOCIATED PRESS/Dirk Heinrich
Netumbo Nandi-Ndaitwah, Präsidentin Namibias.

Namibia hat mit Netumbo Nandi-Ndaitwah im November letzten Jahres zum ersten Mal eine Frau ins Präsidentenamt gewählt. Neben Nandi-Ndaitwah wurde Lucia Witbooi zur Vizepräsidentin ernannt, und mit Saara Kuugongelwa-Amadhila steht erstmals eine Frau dem Parlament vor. Acht Ministerposten gingen an Frauen. Das ist nicht nur für Namibierinnen ein historischer Moment.

Der internationale Vergleich unterstreicht den Fortschritt des Landes: Im Global Gender Gap Report 2024 des Weltwirtschaftsforums zur Geschlechtergleichstellung belegt Namibia unter allen Ländern Afrikas Platz eins und weltweit Rang acht. Maßgeblich dafür sind eine progressive Verfassung, die Gleichberechtigung garantiert, sowie gezielte Gesetzgebungen zur Förderung von Frauen.

Grenzüberschreitender Feminismus

Afrikanische Frauen im Aufschwung

Die neue Präsidentin betonte in ihrer Antrittsrede im März, dass ihre Wahl auf Leistung, nicht auf Geschlecht, beruhe. Frauen sollten „nicht darum bitten, gewählt zu werden, weil wir Frauen sind, sondern weil wir fähige Mitglieder der Gesellschaft sind“, sagte sie. Das Erreichen des Gleichstellungsziels sei weltweit ein andauernder Prozess.

Frauenstärkung hat eine hohe Priorität im Wahlprogramm ihrer Partei SWAPO (South West Africa People’s Organisation) und wird Nandi-Ndaitwah nun als politische Leitlinie dienen. So will sie den Zugang zu Land, Krediten, Märkten und Arbeitsplätzen verbessern, Gewalt gegen Frauen bekämpfen und die unternehmerischen Kompetenzen von Frauen stärken. Ein weiterer Fokus liegt auf dem Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt, etwa durch spezialisierte Polizeieinheiten.

Zweifel in der Zivilgesellschaft

Zivilgesellschaftliche Stimmen weisen allerdings darauf hin, dass formale Gleichstellung nicht automatisch zu echter Teilhabe führt. Liz Frank, Aktivistin und Direktorin des Women’s Leadership Centre in Namibia, kritisiert den Rückgang des Frauenanteils im Parlament auf 33 %. Sie fordert ein Gesetz, das politische Parteien zur Gleichstellung verpflichtet.

Trotz der Präsenz von Frauen in Regierungsposten zeigten sich in den ersten Personalentscheidungen der Präsidentin Rückschritte. Bei der Besetzung von Gouverneursposten in den Regionen wurde das 50/50-Prinzip ignoriert: Sechs von sieben neu ernannten Gouverneursposten gingen an Männer. Alle weiteren Gouverneure sind ebenfalls Männer. Das sei ein Zeichen dafür, dass Gleichstellung nicht systematisch mitgedacht werde, so Frank.

Brigit May Loots, eine namibische Beraterin, die im Bereich Gender und soziale Entwicklung tätig ist, hebt hervor, dass viele Namibierinnen von Gleichstellung wenig spüren: Arbeitslosigkeit, sexuelle Gewalt und eingeschränkter Zugang zu reproduktiver Gesundheitsversorgung prägen ihre Realität. Jede vierte Frau sei von Partnerschaftsgewalt betroffen, jede fünfte Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren sei bereits schwanger gewesen.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Haltung der Präsidentin zur Gleichstellung sexueller Minderheiten. Die Ablehnung von Rechten für lesbische Frauen durch die Staatsführung steht im Kontrast zu ihrer allgemeinen Gleichstellungsrhetorik.

James Itana, Direktor von Regain Trust, einer zivilgesellschaftlichen Organisation zur Stärkung von Frauen und Mädchen in Namibia, mahnt zudem, Jungen und Männer in Gleichstellungsstrategien einzubeziehen. In Namibia sei ein Rückgang bei den Bildungschancen und der psychischen Gesundheit unter Männern und Jungen zu verzeichnen, was sich in hohen Suizidraten niederschlage.

Die Herausforderung für die neue Regierung besteht nun darin, die politischen Erfolge in strukturelle Fortschritte zu überführen. Dazu gehören gezielte Fördermaßnahmen für benachteiligte Frauengruppen, etwa für Frauen mit Behinderung, in ländlichen Regionen oder aus marginalisierten Gemeinschaften wie den San oder den Ovahimba. Nur wenn politische Repräsentation mit echter Teilhabe einhergeht, kann Namibia sein Potenzial als Vorreiterin in Sachen Geschlechtergerechtigkeit wirklich entfalten.

Clemence Manyukwe ist ein Journalist aus Simbabwe, der hauptsächlich zu Themen aus den Bereichen Menschenrechte und Regierungsführung schreibt. 
charindapanze2020@yahoo.com 

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