Grenzüberschreitender Feminismus
Afrikanische Frauen im Aufschwung
Anfang November 2024 verstarb Simi Olusola. Drei Jahre zuvor, sie war gerade mit ihrem Sohn schwanger, kandidierte Simi für das State House of Assembly im nigerianischen Bundesstaat Ekiti. Die Wahl verlor sie, und wenige Monate später wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. Olusola unterzog sich einer Chemotherapie. Unzufrieden mit den Rückschlägen in der Regierungsführung und bei den Frauenrechten in Nigeria arbeitete sie trotz ihrer Schmerzen an einer Wahlkampagne für 2027. Olusola wollte ihr Erfahrungswissen weitergeben und ermutigte junge Mütter, für politische Ämter zu kandidieren. Institutionen forderte sie dazu auf, sie dabei zu unterstützen. Sie starb im Alter von 34 Jahren.
Simi verkörpert die feministische Bewegung in Nigeria, aus der im vergangenen Jahrzehnt viele mutige junge Frauen hervorgingen, die sich trauen, Führungspositionen zu übernehmen. Als 2014 276 Schülerinnen in Chibok aus der Schule entführt wurden, gründete sich die Bewegung „Bring Back Our Girls“. Sie macht darauf aufmerksam, wie schlecht es um die Bildung von Mädchen steht. „Unrecht gegenüber einer Person irgendwo ist Unrecht gegenüber allen Menschen überall“, sagt Aisha Yesufu, Mitbegründerin der Bewegung. Während laut Amnesty International im Jahr 2024 noch immer 82 der entführten Mädchen in Gefangenschaft waren, haben viele von ihnen fliehen können oder wurden befreit. Der Bewegung ist es gelungen, sowohl viele der Mädchen zu retten als auch Bildung als grundlegend für den Fortschritt einer Gesellschaft in den Mittelpunkt zu stellen.
Frauenbewegungen in Nigeria und Kenia
Feministische Bewegungen in Nigeria sind zunehmend intersektional geworden – sie betreffen verschiedene Bereiche und soziale Identitäten wie Klasse, Sexualität, Religion, Alter oder ethnische Zugehörigkeit. Sie beschäftigen sich mit Regierungsangelegenheiten und stellen den Status quo infrage. Sitzblockaden und Proteste gehörten zum Markenzeichen der Studierendenbewegung in den 1980er- und frühen 1990er-Jahren, die sich gegen die Militärdiktatur und Schulschließungen in Nigeria richteten. Doch die Millennials haben feministische Siege errungen mit ihrer Fähigkeit, Menschen entlang ethnischer Grenzen, Ideologien und Kolonialgrenzen – und darüber hinweg – zu vereinen.
Im Jahr 2020 wurde etwa bei friedlichen Massenprotesten die vollständige Auflösung der nigerianischen Polizeieinheit Special Anti-Robbery Squad (SARS) gefordert, die für ihren Machtmissbrauch bekannt war. Die Feminist Coalition (FemCo), ein kleines Bündnis junger nigerianischer Feministinnen, organisierte unter anderem ein Netzwerk an Anwält*innen und stellte Nahrung sowie medizinische Versorgung für die überwiegend jungen Protestierenden zur Verfügung. FemCo zeigte: Wenn sich Frauen organisieren, kommt das nicht nur Frauen zugute, sondern der gesamten Gesellschaft. „Verlieren wir diesen Kampf gegen SARS, werden Frauen die größten Verliererinnen sein“, sagte Mitbegründerin Odunayo Eweniyi. Die Bewegung war tatsächlich erfolgreich: Die Spezialeinheit wurde aufgelöst. Ebenso wichtig war, dass FemCo den Diskurs über Feminismus in Nigeria vorantrieb – während das Wort „Feministin“ zuvor lange als Beleidigung galt.
Auch die Generation Z in Kenia hat uns in den vergangenen Monaten gezeigt, wie stark Frauen sind, wenn sie gemeinsam die Stimme erheben. Im Januar 2024 gingen kenianische Frauen auf die Straße bei der bis dato größten Veranstaltung gegen geschlechtsbasierte Gewalt und sexuellen Missbrauch in Kenia. Die Bewegung forderte Präsident Ruto auf, Femizide zu einer nationalen Krise zu erklären. Trotzdem wurden noch im selben Jahr innerhalb von drei Monaten mindestens 97 Frauen getötet. Die kenianische Frauenbewegung hat ihr Ziel zwar noch nicht erreicht – sie hat aber die Regierung und andere Akteure aufgefordert, Femizide ernst zu nehmen.
Das Thema ist nach wie vor dringlich. Laut den Vereinten Nationen wurden 2023 weltweit fast 85 000 Frauen und Mädchen vorsätzlich getötet, wobei Afrika im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl die höchste Zahl an Opfern von Femiziden durch Intimpartner oder Familienmitglieder verzeichnet (2,9 pro 100 000; UN Women 2024). Der gefährlichste Ort für Frauen ist das eigene Zuhause.
Neue Formen des transnationalen Aktivismus
Ein gemeinsamer Nenner feministischer Erfolge von Millennials und Generation Z ist der digitale Aktivismus. Er umfasst:
- geplanten und digital mobilisierten landesweiten Protest,
- die Bereitstellung von Updates in Echtzeit,
- die Bekämpfung von Fehlinformationen und das Aufdecken von Missbrauch sowie
- Crowdfunding für rechtliche Unterstützung für Aktivist*innen.
Zu den neuen Tools gehören Direct Messages auf Instagram, WhatsApp-Gruppen, Telegram-Communities, Hashtags, X-Space-Debatten, TikTok-Lives und Snapchat-Unterhaltungen, die nach 24 Stunden automatisch gelöscht werden. Staatliche und nichtstaatliche Institutionen sind gezwungen, sich dieser digital versierten und gut organisierten Bewegung zu stellen. Die digitale Welt ist sowohl Werkzeug als auch Schauplatz.
Eine der neuen Formen des Aktivismus ist es, quasi ununterbrochen Aktivist*in in eigener Sache zu sein und Ungleichheit aufzudecken, indem man die eigene Geschichte teilt. Frauen teilen etwa ihre Scheidung und den Kampf um das Sorgerecht live auf Facebook. In Instagram-Storys prangern sie den Brautpreis an oder erzählen, wie sie aus einer von Missbrauch geprägten Ehe entkommen. Das Patriarchat belohnt Frauen für ihr Schweigen – also ist der Kampf vor allem einer um ihre Stimme.
Diese neuen Formen des Aktivismus wirken auch als Multiplikatoren: Afrikanische feministische Bewegungen haben weltweit Nachahmer*innen gefunden. Die Proteste der Generation Z in Kenia haben sich zum Beispiel ausgeweitet auf Uganda, Nigeria und Mosambik.
Frauen in Führungspositionen
So sehr das Patriarchat auch Frauen Führungspositionen vorenthält, insbesondere indem es ihnen suggeriert, sie seien „zu jung, um zu führen“ – eine neue Generation von Leaderinnen erhebt sich unerschrocken. Dazu zählen:
- Bogolo Joy Kenewendo, Ministerin für Mineralien und Energie in Botswana,
- Emma Theofelus, Ministerin für Informations- und Kommunikationstechnologie in Namibia,
- Filsan Abdullahi Ahmed, ehemalige Ministerin für Frauen, Kinder und Jugend in Äthiopien,
- Jaha Dukureh, gambische Frauenrechtsaktivistin, die sich 2021 zur Präsidentschaftskandidatin für Gambia erklärte, und
- Jokate Mwegelo, Generalsekretärin der Jugendorganisation der tansanischen Partei CCM – um nur einige zu nennen.
Getragen wird dieser Wandel von generationenübergreifenden feministischen Bewegungen, die sich für mehr Frauen in Führungspositionen einsetzen. Sie haben erfolgreich für mehr politische Mitbestimmung plädiert, und Frauen übernehmen zunehmend das Ruder. Obwohl sie oft die ersten oder jüngsten Frauen in einer Führungsposition sind, lassen sie sich nicht von patriarchalen Strukturen einschränken. Viele kommen aus dem Aktivismus und treten ihre öffentlichen Ämter mit der Überzeugung an, mehr Frauen den Weg in die Führung zu ebnen.
Diese Frauen setzen sich nicht nur für die Gleichstellung der Geschlechter ein, sondern wenden sich auch gegen Wahlfälschungen, schlechte Regierungsführung, Korruption und Steuererhöhungen. Ein häufiger Trend unter jungen Frauen in Führungspositionen ist es, Wohltätigkeitsorganisationen zu leiten, die Mädchen unterstützen und für sie Mentorfunktionen erfüllen. Sie tun das, weil sie aus erster Hand die Herausforderungen kennen, die in Führungspositionen auf sie warten, und bereit sind, das Gatekeeping zwischen den Generationen aufzubrechen.
Der Aktivismus hat in Afrika zu zahlreichen fortschrittlichen Gesetzen geführt. Ein Beispiel ist der Affirmative Action (Gender Equality) Act 2024 in Ghana, der erst nach jahrelangem Lobbying von Aktivist*innen entstanden ist. Es schreibt vor, dass Frauen in die wichtigsten Entscheidungsorgane der Öffentlichkeit entweder gewählt oder berufen werden müssen. Ein weiterer solcher Erfolg ist Marokkos neues Familienrecht Moudawana, das Frauen mehr Freiheit und Schutz bieten könnte – etwa bei Kinderehen, Erbschaft, Scheidung und Vormundschaft.
Die Erfolge für Frauen in Führungspositionen werden immer sichtbarer. Laut dem monatlichen IPU-Parline-Ranking zum Frauenanteil in nationalen Parlamenten (in der unteren oder einzigen Kammer) führt Ruanda mit 63,8 Prozent. Südafrika folgt auf Platz 16 (44,7 Prozent), während Deutschland auf Platz 47 (35,3 Prozent) und die USA auf Platz 74 (28,7 Prozent) liegen. Auch die kürzliche Wahl der ersten weiblichen Präsidentin Namibias, Netumbo Nandi-Ndaitwah, und der ersten Vizepräsidentin Ghanas, Jane Naana Opoku-Agyemang, sind wichtige Schritte.
Erinnerung an die Pekinger Erklärung von 1995
In diesem Jahr jährt sich die Pekinger Erklärung und Aktionsplattform (Beijing Declaration and Platform for Action) von 1995 zum 30. Mal. Sie gilt laut den Vereinten Nationen als das fortschrittlichste Konzept zur Förderung der Frauenrechte. Afrikanische Frauen haben auf der vierten UN-Weltfrauenkonferenz in Peking maßgeblich zu ihrer Entstehung beigetragen, etwa indem sie ein Ende der geschlechtsspezifischen Gewalt und Ungleichheit in der Arbeit forderten. Darüber hinaus setzten sie sich für sexuelle und reproduktive Gesundheit ein – und für Frauen in Führungspositionen. Eine von ihnen ist Gertrude Mongella aus Tansania, damals Generalsekretärin der UN-Weltfrauenkonferenz.
Doch während die Frauenbewegung stärker wird, wächst auch der Widerstand gegen sie: Gegenbewegungen entstehen, Freiräume schwinden, und vielerorts wird die Zivilgesellschaft geschwächt. Aktivist*innen für Frauen und Menschenrechtsverteidiger*innen in Ländern wie Simbabwe, Sudan und Uganda sind weiterhin Unterdrückung und Gewalt ausgesetzt. Oft werden sie eingeschüchtert, festgenommen, körperlich angegriffen oder sogar gezielt ermordet. In Simbabwe wurde die Aktivistin und Oppositionspolitikerin Joana Mamombe mehrfach verhaftet und gefoltert, nachdem sie sich offen politisch geäußert hatte.
Ziel der Gegenbewegung ist es, fortschrittliche Gesetze rückgängig zu machen, reproduktive Rechte wieder einzuschränken und die Mitbestimmung von Frauen zu untergraben. Ein Beispiel dafür ist der Versuch, das Verbot der Genitalverstümmelung in Gambia wieder aufzuheben. Das Parlament hielt jedoch an dem Verbot fest.
Die feministische Bewegung zeigt sich weiterhin entschlossen, Mädchen eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Entscheidend für weitere Erfolge wird sein, sich geschlossen gegen den Widerstand zu wenden. Ende der 1990er-Jahre galt Feminismus noch als Schimpfwort – Feministinnen wurden als unangenehme, hässliche und alle Männer hassende Frauen mit Schnurrbart dargestellt. Noch immer besteht ein Teil dieser Stereotype fort, aber die junge Frauenbewegung zeigt sich mutig und ungerührt beim „Zerschlagen des Patriarchats“. Junge afrikanische Frauen werden ihre Rechte nicht einfach aufgeben – sie werden kämpfen.
Links
Feminist coalition Nigeria:
https://feministcoalition2020.com/
UN Women, 2024: Femicides in 2023: Global estimates of intimate partner/family member femicides.
https://www.unwomen.org/en/digital-library/publications/2024/11/femicides-in-2023-global-estimates-of-intimate-partner-family-member-femicides
Aya Chebbi ist eine panafrikanische Feministin und Gründerin von Nalafem, einem Kollektiv von Politikerinnen und Aktivistinnen, die sich für die Befreiung der afrikanischen Frauen und Mädchen einsetzen.
hello@ayachebbi.com
http://ayachebbi.com