Polizeiliches Fehlverhalten

Lange aufgestauter Ärger in Lagos - und landesweit

Nigerias Regierung musste im Oktober eine umstrittene Polizeieinheit auflösen, weil deren Gewalttätigkeit Proteste ausgelöst hatten. Ob sich langfristig wirklich etwas ändert, steht noch längst nicht fest.
Demonstrant im Bundesstaat Lagos am 16. Oktober. Sunday Alamba/picture-alliance/ASSOCIATED PRESS Demonstrant im Bundesstaat Lagos am 16. Oktober.

Anfang Oktober verbreitete sich ein Video rasant im Internet. Es zeigte, wie Männer, die angeblich zu der Polizeieinheit Special Anti-Robbery Squad (SARS) gehörten, jemanden töteten. Bald danach brachen Proteste aus – zuerst in Lagos und Abuja und dann im ganzen Land.

SARS hat schon lange einen schlechten Ruf. Seit 2016 hat die Regierung viermal angekündigt, die Einheit entweder aufzulösen, zu reformieren oder abzuschaffen. Diesmal hat sie als Ersatz eine neue Einheit namens SWAT (Special Weapons and Tactical unit) eingerichtet.

Geschaffen wurde SARS 1992 mit dem Auftrag, Raubüberfälle, Geiselnahmen und andere schwere Verbrechen zu bekämpfen. Allerdings war die Einheit bald dafür bekannt, Bürger zu erpressen. Auch Vorwürfe wegen Folter und Tötungen im Dienst wurden immer wieder erhoben.

2016 wurde der Hashtag #EndSARS in sozialen Medien beliebt. Im selben Jahr veröffentlichte Amnesty International einen Bericht darüber, dass SARS-Beamte festgenommene Personen regelmäßig nur nach Zahlung hoher Geldbeträge freiließen. Im Juni 2020 erschien ein weiterer Amnesty-Bericht über Menschenrechtsverletzungen durch SARS. 2017 hatten beispielsweise Beamte einen 23-jährigen Mann gefoltert, dem sie den Diebstahl eines Laptops vorwarfen. In einem anderen Fall hatten sie 2018 einem 24-jährigen Festgenommenen fünf Wochen lang jeglichen Kontakt zu Familie, Rechtsanwälten und Ärzten verwehrt.

Aus Anlass des Videos gingen im Oktober wütende junge Leute massenhaft auf die Straßen. Nun nutzten sie soziale Medien, um Treffpunkte zu vereinbaren. Ihre Straßenblockaden lähmten die Wirtschaftstätigkeit. Ihre Bewegung breitete sich landesweit aus, und eine Liste mit fünf Forderungen wurde sehr beliebt. Es ging um:

  • die Freilassung aller festgenommenen Aktivisten,
  • die juristische Aufarbeitung der Vergehen und Entschädigung der Betroffenen oder ihrer Familien,
  • die Schaffung einer unabhängigen Institution, um Fehlverhalten der Polizei zu kontrollieren,
  • die psychologische Evaluierung und Fortbildung von Polizisten sowie
  • bessere Bezahlung, damit Beamte endlich angemessen verdienen.

Einerseits begann die Regierung sich ernsthaft mit den Forderungen auseinanderzusetzen, andererseits entschied sie sich aber wieder für Repression. In der Nacht vom 20. auf 21. Oktober sollten Soldaten eine Straßenblockade in einem wohlhabenden Teil des Ballungsraums Lagos aufzulösen. Sie schossen scharf und töteten mehrere Menschen. Daraufhin brachen Krawalle aus, und es kam zu Plünderungen und Brandanschlägen.

Die Protestbewegung entstand spontan auf Basis informeller Verbindungen zwischen wütenden Menschen. Eine formale Führung gab es nicht. Folglich hat die Regierung auch keine eindeutig benennbaren Ansprechpartner für Verhandlungs- oder auch Bestechungsversuche. Es gab derweil auch niemanden in der Bewegung, der die Verantwortung dafür hätte übernehmen können, gewalttätige Aktionen zu unterbinden. Aus Sicht der Protestierenden war das Fehlen einer formalen Führung sogar eine Stärke. Die Erfahrung lehrt schließlich, dass die Staatsmacht solche Personen regelmäßig kooptiert oder durch Festnahme, wenn nicht auf noch brutalere Weise, zum Schweigen bringt.

Mittlerweile geht die Regierung gegen diejenigen vor, die sie für die Strippenzieher hält. Bankkonten wurden gesperrt, und es gibt Vorwürfe der Terrorismusfinanzierung. Mindestens ein Pass wurde eingezogen, sodass eine Frau nicht mehr ins Ausland reisen kann. Die Spitzenpolitiker ärgert die Entschlossenheit und die Kraft der Protestbewegung – und sie scheinen nun auf Strafe erpicht.

Es bleibt abzuwarten, ob die neue SWAT-Einheit sich künftig als besser erweist als SARS. Wenn nicht, werden die Politikverdrosseneheit und Unzufriedenheit der Jugend weiterwachsen. Manche Politiker scheinen zu glauben, aggressive Polizeirepression belege ihre Stärke. Tatsächlich beweist sie unzureichende Amtsführung und unterhöhlt die Glaubwürdigkeit der Politik.


Link
Amnesty International, June 2020: Time to end impunity.
https://www.amnesty.org/en/documents/afr44/9505/2020/en/


Ben Ezeamalu ist Journalist und arbeitet für die Premium Times in Lagos.
ben.ezeamalu@gmail.com
Twitter: @callmebenfigo