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Sozialversicherung

Alleingelassen im Alter

Älter werden bedeutet im Nachkriegs-Liberia auch, sich Sorgen zu machen, wer sich wohl einmal um einen kümmern wird. Private oder öffentliche Altersversorgungsprogramme gibt es nicht. Bürgerkriegsinvaliden sind häufig gezwungen, um Essen zu betteln.

Von Samwar Fallah
Old man and grandchild in Memieh Town, Liberia. Heldur Netocny/lineair Old man and grandchild in Memieh Town, Liberia.

Martha Nyemah ist 96 Jahre alt. Den Kontakt zu ihren vier Kindern hat sie während des Bürgerkriegs verloren. Soweit sie weiß, sind zwei von ihnen gestorben und die anderen beiden haben das Land verlassen. Martha Nyemah ist zur Bettlerin geworden. Jeden Tag schiebt eine entfernte Verwandte sie in ihrem Rollstuhl vor eine Bankfiliale in Monrovia, wo sie um Almosen bittet. In Afrikas ältester unabhängiger Republik müssen Familien die Versorgung der älteren Generation komplett allein stemmen. Viele Familien, die sich das nicht leisten können, überlassen die alten Leute am Ende sich selbst.

Es gibt zwar eine staatliche Rentenversicherung, die National Social Security and Welfare Corporation (NASSCORP), für die muss man aber während des Arbeitslebens Premiumbeiträge einzahlen. NASSCORP ist eine öffentlich-rechtliche Stiftung mit der Aufgabe, die staatlichen Sozialversicherungsprogramme zu verwalten, die bei Verletzung, Erwerbsunfähigkeit, Alter oder Tod greifen. Aber Liberia hat mit sehr hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Viele Menschen arbeiten im informellen Sektor und können keine NASSCORP-Beiträge zahlen. Wenn sie alt werden, sind die meisten schlicht von ihren Familien abhängig.

NASSCORP wurde 1975 gegründet. Sie soll Versicherten eine monatliche Rente von mindesten 25 Prozent ihres durchschnittlichen Arbeitslohns garantieren – gerechnet auf das gesamte Arbeitsleben. Die Beiträge von derzeit 7,75 Prozent des Gehalts zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam. Der Arbeitgeber bezahlt drei Prozent, der Arbeitnehmer den Rest.

Um Anspruch auf die 25-Prozent-Rente zu haben, muss der Empfänger mindestens 60 Jahre alt sein und mindestens 100 Monate lang einbezahlt haben. Wenn er länger Beiträge gezahlt hat, steigt die Rente pro 10 Monate Einzahlungen um je ein Prozent des Durchschnittseinkommens. Im armen Liberia aber sind die Einkommen niedrig. Eine Rente von 25 Prozent des durchschnittlichen Verdienstes reicht nicht aus.

 

Verloren und zerstört

Dennoch wünschten viele Leute, sie hätten immerhin diese kleine Unterstützung. In 15 Jahren Bürgerkrieg sind viele Dokumente verloren gegangen. Infolgedessen können viele ältere Menschen ihren Rentenanspruch nicht nachweisen. Davon abgesehen waren die meisten Leute nie formell beschäftigt, insbesondere auf dem Land.

In ganz Liberia müssen ältere Menschen sich darauf verlassen, dass ihre Familie für sie sorgt. Das funktioniert auf dem Land besser als in der Stadt, wo die Lebenskosten höher und die traditionellen Bindungen nicht so stark sind. Mary Mulbah erzählt von den Schwierigkeiten, die die Versorgung einer älteren Person mit sich bringt. Ihre 93-jährige Mutter ist Diabetikerin und muss jede Woche ins Krankenhaus, um Medikamente zu erhalten. Die Medikamente sind teuer. Mary Mulbah arbeitet für eine Bank und ihr Mann arbeitet auch. Sie haben vier Kinder. „Wir müssen für meine Mutter ein anderes Essen kochen als für den Rest der Familie“, erzählt Mary Mulbah. „Es ist nicht einfach.“ Die Familie gibt tendenziell mehr aus, als sie verdient.

Catherine Sumo, deren Familie ähnliche Probleme hatte, hält es für das Beste, die alten Leute aufs Land zu schicken. Dort sei es nicht so schwierig, Essen zu bekommen, und die traditionelle Medizin sei relativ günstig. „Meiner Mutter geht es gut dort. Wenn ich mit ihr telefoniere, klingt sie immer fröhlich“, berichtet sie. „Als sie hier in Monrovia war, war es, als sei sie permanent krank.“ Manche Liberianer, die in den USA leben, nehmen ihre Eltern mit und bringen sie dort in Altersheimen unter.

Neben NASSCORP hat die liberianische Regierung noch zwei Unterstützungsprogramme für behinderte Menschen und Veteranen. Leider bewegen sie nicht viel, weder die „Group of 77“ noch das „National Veterans Bureau“.

Die „Group of 77“ wurde 1977 gegründet, um für benachteiligte Bürger zu sorgen. Sie ist dem Büro des Vizepräsidenten angegliedert; die geschäftsführende Direktorin ist die Frau des Vizepräsidenten. Unter anderem soll die Organisation behinderten Kindern helfen, die Schule zu besuchen, und sicherstellen, dass Menschen mit Behinderung selbst für sich sorgen können. Aber wegen des Bürgerkrieges gibt es in Liberia sehr viele körperlich behinderte Menschen. Viele ehemalige Kämpfer haben ein Körperteil verloren. Die Mehrheit von ihnen schlägt sich als Bettler in Monrovia und anderen Städten durch. Die „Group of 77“ kann ihren Bedürfnissen nicht gerecht werden.

Für Veteranen der Armee, der Polizei und verschiedenen anderen Regierungsbehörden ist das National Veterans Bureau zuständig. Es wird staatlich finanziert und soll Einkommens- sowie Weiterbildungsmöglichkeiten bieten. Allerdings fehlen dem Veteranen-Büro die nötigen finanziellen Mittel. Im Finanzjahr 2012/13 verfügte es über ein Budget von 400 000 US-Dollar, wovon allerdings 250 000 Dollar für Verwaltung und Management vorgesehen waren und nur 150 000 Dollar für die Ausbildung von Veteranen in Bereichen von Landwirtschaft über Ingenieursarbeit bis hin zu Gesundheitswesen. Zudem kümmert sich das Büro nur um Veteranen, die vom Verteidigungsministerium als solche registriert wurden. Alle, die nicht im Land waren, als die Registrierung im Jahr 2007 durchgeführt wurde, sind nicht zuwendungsberechtigt. Viele ehemalige Soldaten waren aber aus Liberia geflüchtet und kehrten erst nach den zweiten Nachkriegswahlen 2011 zurück.

Liberia kämpft noch immer mit den Folgen seines verheerenden Bürgerkriegs. Und die älteren Menschen, deren Leben durch den Krieg zerstört wurde, tragen weiter die Hauptlast.

 

Samwar Fallah arbeitet als Journalist für africanstandardnews.com in Monrovia. samwar2005@yahoo.com

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