Umwelt

„Die Verantwortung unserer Generation“

Klimawandel und sinkende Biodiversität gehen Hand in Hand. Sie treffen arme Länder besonders hart. UNEP-Chef Achim Steiner erörtert im Interview ihre Wechselwirkung und betont, dass schnell gehandelt werden muss.

[ Interview mit Achim Steiner ]

Wie hängen Klimawandel und sinkende Biodiversität zusammen?
Klimawandel spielt sich zwar in der Atmosphäre ab, die größten Auswirkungen gibt es aber in der Biosphäre. Steigende Temperaturen und außergewöhnliche Niederschlagsmuster bewirken Störungen und Instabilität der Biosphäre. Die Folgen sind für die Menschheit gravierend, da wir von den Ressourcen, welche die Biosphäre erzeugt, abhängen. Denken Sie nur an Lebensmittel. Zudem brauchen wir bestimmte Dienste der Biosphäre: Ohne die CO2-Senken der Wälder wäre der Klimawandel noch schlimmer. Wenn Arten verdrängt werden oder gar verschwinden, werden Ökosysteme weniger belastbar.

Sinkende Biodiversität verstärkt also den Klimawandel?
In der Tat, diese Phänomene verstärken sich gegenseitig. Abnehmende Biodiversität bedeutet, dass Ökosysteme anfälliger werden und Schocks schlechter absorbieren können. Zugleich spielen Ökosysteme eine stabilisierende Rolle für das Klima. So reguliert zum Beispiel der Amazonas-Regenwald den Niederschlag und damit die Wasservorkommen generell für ganz Südamerika.

Dennoch scheint für den Schutz der Biodiversität mindestens so wenig getan zu werden wir für den des Klimas.
Ja, Ausmaß und Umfang der menschlichen Bemühungen stehen nicht im Einklang mit dem, was dringend nötig ist. Wir ringen mit unvollständigem Wissen. Es ist unmöglich vorherzusagen, was genau passieren wird, da es um überaus komplexe Systeme geht. Wir wissen aber, dass große Veränderungen in Gang gesetzt sind und dass sie umso destruktiver und chaotischer werden, je länger wir zögern zu handeln. UNEPs „Green Economy Initiative“ hilft Regierungen, ihre Politik neu zu fokussieren. Investitionen in Energieeffizienz haben zudem einen klaren wirtschaftlichen Vorteil. Im Blick auf die dramatischen Risiken des Klimawandels ist es unvernünftig, einfach nur abzuwarten.

Aber es gibt doch wissenschaftliche Zweifel?
Nein, nicht über den allgemeinen Trend. Er ist gut dokumentiert und unter Wissenschaftlern unumstritten. Der Forschungsstand wird auch immer präziser. Um die politisch Verantwortlichen zum Handeln zu bewegen, ist es wichtig, auf wirtschaftliche Konsequenzen hinzuweisen. Nicholas Stern und sein Team haben vor vier Jahren einen aufrüttelnden Überblick über die ökonomischen Folgen des Klimawandels veröffentlicht. UNEP koordiniert derzeit die internationale Forschungsinitiative „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“ – TEEB. Sie bereitet eine ähnliche Studie vor, diesmal über die Folgen des Verlusts von natürlichen Systemen. Das haben die G8 sowie Umweltminister aus Entwicklungsländern gefordert. Die Initiative wird unter anderem von Deutschland unterstützt, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat reges Interesse gezeigt. Der Bericht wird in Nagoya auf der Tagung der Konvention über die biologische Vielfalt Ende Oktober veröffentlicht.

Können Sie schon etwas über die Ergebnisse sagen?
Wir wissen zum Beispiel, dass die Forstwirtschaft nur fünf bis sieben Prozent des indischen BIP ausmacht, dass aber Wälder die Quelle für etwa Zweidrittel des Lebensunterhalts der Armen dort sind. In Indien leben rund 400 Millionen arme Menschen. Offensichtlich hängen arme Menschen also stärker von natürlichen Rohstoffen ab als wohlhabende. Vermögende Schichten finden meist Alternativen, wenn sie in Schwierigkeiten geraten. Für arme Leute gilt das nicht. Wenn ihre lokalen Ressourcen wegen der Umweltzerstörung erschöpft sind, können sie nicht einfach sicherstellen, dass ein Leitungssystem gebaut wird, um Wasser aus der Ferne heranzuschaffen.

Folglich wird der Kampf um Ressourcen auf regionaler, supranationaler und sogar globaler Ebene härter.
Ja, genau, und deswegen müssen wir schnell handeln. Relevant ist auch, dass die wohlhabenden Teile der Welt auf ihrem Entwicklungspfad in den letzten 150 Jahren ihre Biodiversität ausgelaugt haben. Ihr Modell ist schlicht nicht nachhaltig, und auf globaler Ebene schon gar nicht.

Können die geringstentwickelten Länder ihre Biodiversität alleine schützen oder brauchen sie Unterstützung?
In den letzten 15 Jahren wurden etwa 70 Prozent der neuen Schutzgebiete in Entwicklungsländern geschaffen. Das war ein Resultat des Erdgipfels in Rio de Janeiro 1992. Damals hieß es, die reichen Länder würden dazu beitragen, das natürliche Erbe der Menschheit zu schützen. Heute beläuft sich die Unterstützung durch die Global Environment Facility auf diesem Feld nur auf etwa eine Milliarde Dollar, was kaum Anreize schafft. Es muss betont werden, dass es hier nicht um Entwicklungshilfe geht, sondern um eine Lastenverteilung im Sinne des Allgemeinwohls.

Was muss geschehen?
Es kommt darauf an, dass die internationale Gemeinschaft wirtschaftlich sinnvolle Systeme etabliert. Bisher tragen diejenigen, die von Naturzerstörung profitieren, nicht die Kosten. Das muss sich ändern. Es muss ökonomisch attraktiv werden, Ökosys­teme zu schützen – und wir wissen, wie das geht. In der Klimadiplomatie ist die Debatte über REDD – das Kürzel steht für „Reducing Emissions from Deforestation and Degradation“ – gut vorangekommen. Wenn solche Regeln in Kraft treten, können in der reichen Welt Mittel generiert werden, um arme Länder bei ihren Diensten für die Weltgemeinschaft zu unterstützen und dazu beizutragen, dass sie die Millennium-Entwicklungsziele erreichen.

Aber ist REDD nicht eng mit dem heftig umstrittenen Kyoto-Protokoll verknüpft?
Ja, REDD passt zum Kyoto-Protokoll, aber das Konzept hängt nicht davon ab. Ein stimmiger Rechtsrahmen für REDD ist auch ohne Konsens über Kyoto möglich. Es gibt keinen Grund, wieso der Klimagipfel in Cancún im Dezember nicht zu Einigung in diesem und anderen wichtigen Punkten führen sollte.

Das haben Sie aber vor dem Fehlschlag von Kopenhagen auch gesagt, oder?
Ich bin immer mehr der Überzeugung, dass es um die Verantwortung unserer Generation geht. Wir verfügen über die nötige Technik und wir können das nötige Geld mobilisieren. Was bisher fehlt, ist der politische Wille, die gemeinsame Entschlossenheit zu handeln. Wenn die Spitzenpolitiker der Welt keine tragfähigen Abkommen zu diesen drängenden Themen abschließen, werden uns spätere Generationen beschuldigen, abwendbare globale Katastrophen nicht verhindert zu haben.

Die Fragen stellte Hans Dembowski.