Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Frauen in Konfliktregionen

In Krisenzeiten ein neues Leben aufbauen

Im von Unruhen gezeichneten Kamerun fordern Frauen die Chance, sich trotz anhaltender Konflikte ein neues Leben aufzubauen. Wichtig ist vor allem, dass sie sich einen sicheren Lebensunterhalt verdienen können. Davon würde das ganze Land profitieren.
Kameruner*innen in der Diaspora protestierten 2017, als die anglophone Krise begann, in Rom. Der Konflikt dauert bis heute an. picture alliance / Pacific Press / Patrizia Cortellessa Kameruner*innen in der Diaspora protestierten 2017, als die anglophone Krise begann, in Rom. Der Konflikt dauert bis heute an.

Seit 2016 prägt die sogenannte „anglophone Krise“ die englischsprachigen Regionen Kameruns, den Nordwesten und den Südwesten, schwer. Die Krise steht im Zusammenhang mit den Unabhängigkeitsbestrebungen des einst britisch kolonialisierten Landesteils und hat zu massiven Vertreibungen geführt – innerhalb des Landes und außerhalb. 

Weder staatliche Kräfte noch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen achten in diesem Konflikt das humanitäre Völkerrecht. Nicht endende Gewalt ist die Folge. Fast 700 000 Zivilist*innen mussten bereits flüchten, Gesundheits- und Bildungsdienste sind lahmgelegt. Auch die Volkswirtschaften beider Regionen leiden massiv.

Nach acht Jahren des Konflikts benötigen enorm viele Menschen humanitäre Hilfe. Wie in den meisten Konflikten trifft es auch hier Frauen besonders hart. Sie sind Menschenrechtsverletzungen und geschlechtsspezifischer Gewalt (GBV) ausgesetzt, von staatlichen Kräften, bewaffneten Gruppen und Intimpartnern. 

Frauen sind unverzichtbar, nicht zuletzt für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Der Konflikt zwingt sie aber, unter miserablen Bedingungen und für wenig Lohn zu arbeiten, was sie zudem anfällig für sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel und Gewalt macht – auch in den Aufnahmegemeinschaften. Dort nehmen die Spannungen wegen mangelnder Ressourcen und Jobs zu. Frauen aus anglophonen Regionen werden oft ausgegrenzt und diskriminiert. Auch wenn vertriebene Frauen heimkehren, haben sie es in ihren Herkunftsgemeinschaften schwer hinsichtlich Sicherheit, Ressourcenmobilisierung und Wiederaufbau.

Die anglophone Krise ist sehr komplex. Zu bestimmten Zeiten – oft bedingt durch regionale oder nationale Feiertage – nimmt die Gewalt deutlich zu. Dies führt zu wechselnden Mustern von Flucht und Vertreibung. Bisweilen fliehen Menschen von Gemeinde zu Gemeinde oder kehren temporär in ihre Heimat zurück, was den (wirtschaftlichen) Wiederaufbau und die Integration der Frauen in die verschiedenen Gemeinden zusätzlich erschwert. Zudem sind die Aufnahmegemeinschaften, in denen die Frauen stranden, sozial, religiös und kulturell sehr divers – auch das beeinflusst die Integration.

Durch den Konflikt können Frauen ihre Herkunfts- oder Aufnahmegemeinschaften noch weniger wirtschaftlich unterstützen als ohnehin schon. Der Zugang zu Bildung und Ausbildung war für Frauen und Mädchen immer schwierig – nun ist ihnen ein Schulbesuch oft gar nicht mehr möglich. Schwere Kriegstraumata hindern sie zusätzlich daran, Geld zu verdienen. Es braucht einen echten Heilungsprozess und die (Wieder-) Eingliederung von Frauen in Schulsystem und Wirtschaft – sonst bleiben Gleichstellung, integrative Entwicklung und Wirtschaftswachstum landesweit, besonders aber in den Konfliktregionen, unerreichbar.

Frauen erheben ihre Stimme

Immer häufiger ergreifen kamerunische Frauen aber das Wort. Sie kritisieren den Zustand der humanitären Hilfe und den wirtschaftlichen Wiederaufbau, und sie bemängeln, dass es keine Maßnahmen zu langfristiger Integration und nachhaltiger finanzieller Stabilität gibt. Aufgrund dieses Aufschreis wurde nicht zuletzt 2021 die National Women’s Convention for Peace in Cameroon gegründet. Diese Plattform vereint 77 Frauenorganisationen und -netzwerke aus allen zehn Regionen Kameruns und bemüht sich um Frieden. Dem Land machen neben der anglophonen Krise auch ständige Angriffe der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram im Norden zu schaffen. Hinzu kommt die Aufnahme tausender Geflüchteter aus der Zentralafrikanischen Republik im Osten.

Inzwischen haben die Frauen auch auf eine Reform von Integrationsmechanismen und Maßnahmen zur finanziellen Eingliederung in den Konfliktregionen aufmerksam gemacht. Sie fordern, dass Regierung und internationale Entwicklungsinstitutionen diese besser umsetzen – vor allem, um die Wirtschaftskraft der Frauen zu stärken, damit sie sich von den verschiedenen Krisen lösen können, die der Konflikt ihnen beschert hat.

Bisher kümmern sich vor allem zivilgesellschaftliche Organisationen um gefährdete Gruppen wie Frauen und Kinder. Kamerunische Organisationen wie das Centre for Human Rights and Democracy in Africa (CHRDA) und Common Action for Gender Development (COMAGEND) setzen sich für Frauen ein.

Sexuelle Ausbeutung und Marginalisierung

Laut Violet Fokum, Geschäftsführerin von CHRDA, ist eines der größten Probleme konfliktbetroffener und intern vertriebener Frauen aus der Südwestregion die sexuelle Ausbeutung – etwa in Form von erzwungener Sexarbeit oder sexuellen Missbrauchs. Auch Marginalisierung und Diskriminierung innerhalb der kamerunischen Aufnahmegemeinschaften, wo sie nicht für ihren Lebensunterhalt aktiv werden können, sind erhebliche Probleme. „Weil es allgemein an Ressourcen und Möglichkeiten mangelt, fühlen sich die Aufnahmegemeinschaften durch die vertriebenen Frauen bedroht“, sagt Fokum und ergänzt: „Wenn Gemeinschaften nicht lernen, einander auf Basis menschlicher Werte willkommen zu heißen, brauchen wir politische Maßnahmen und Mechanismen, die sie miteinander verbinden.“

CHRDA führt lang- und kurzfristige Empowerment-Programme und Schulungen durch. Gefährdete und vertriebene Frauen können so Fähigkeiten erwerben, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten und wirtschaftlich auf die Beine kommen können. „Wir arbeiten mit anderen Organisationen zusammen, um sicherzustellen, dass diese Programme so umfassend und effektiv wie möglich sind“, erklärt Fokum.

In der Nordwest-Region hat sich die Konfliktsituation stärker zugespitzt als in der Südwest-Region, und die Bevölkerung durchlebt immer mehr „Geisterstadt“-Tage. Zu Beginn des Konflikts führten Separatistengruppen „Geisterstadt“-Tage an Montagen ein, um Aktivitäten der Regierung zu stören. An solchen Tagen sind beide Regionen komplett abgeriegelt, und wirtschaftliche, soziale oder religiöse Aktivitäten finden nicht statt. In der Nordwest-Region gibt es diese „Geisterstadt“-Tage mittlerweile immer öfter. Teils halten sie wochenlang an. Wer sich dem widersetzt, wird entführt, erpresst, gefoltert und bisweilen auch willkürlich hingerichtet.

Common Action for Gender Development (COMAGEND) ist in der Region tätig und konzentriert sich auf die Stärkung von Frauen. Laut der Programmmanagerin Achem Evi Claire sind von Konflikten betroffene und vertriebene Frauen von fast allen Lebensbereichen ausgeschlossen – vom Zugang zu Gesundheitsdiensten bis hin zur Mitsprache bei wichtigen Entscheidungen. 

OMAGEND setze sich für die Wiedereingliederung dieser Frauen ein, sagt sie: „Wir stellen Informationen bereit, um Wiederaufbau und Integration zu ermöglichen, und Ressourcen, um Frauen in Entscheidungsprozessen und Führungspositionen zu stärken. Dies geschieht durch Capacity Building, psychosoziale Unterstützung und politische Lobbyarbeit.“

Allerdings tut sich inzwischen auch auf nationaler und internationaler Ebene einiges. Internationale Organisationen und die kamerunische Regierung arbeiten immer stärker zusammen, um Programme und Strategien zu entwickeln, die die Integration vertriebener Frauen in neue Gemeinschaften oder ihre Wiedereingliederung in ihre alten Gemeinschaften gewährleisten und fördern. Zuallererst müssen aber die wirtschaftlichen Kapazitäten der vom Konflikt betroffenen Frauen verbessert und gestärkt werden, damit sie wieder für sich selbst aufkommen können.

Die Mobilisierung von Ressourcen ist auf allen Ebenen maßgeblich. Sie ermöglicht Graswurzelorganisationen und auch solchen auf regionaler und nationaler Ebene, Programme zur wirtschaftlichen Teilhabe anzubieten, die machbare und nachhaltige Lösungen für die wirtschaftliche Eingliederung von Frauen in den betroffenen Regionen bieten. Klar ist aber, dass der kamerunischen Regierung die wichtigste Rolle zukommt: Sie muss Wege für einen dauerhaften Frieden finden, eine integrative Politik schaffen und eine geschlechtergerechte Entwicklung für das ganze Land gewährleisten.

Glein Neneng ist Programmmitarbeiter und Community Manager bei der Friedrich-Ebert-Stiftung für Kamerun und Zentralafrika. Zu seinen Hauptinteressengebieten gehören soziale Ungleichheit, Geschlechtergleichheit und integrative Entwicklung. 
nenengglein@gmail.com