Klimafinanzierung
„Die Mittel zu kürzen, wird sie nicht retten“

Hindou Oumarou Ibrahim Im Interview mit Eva-Maria Verfürth
Als Vertreterin Indigener Völker müssen Sie voller Optimismus gewesen sein, als öffentliche und private Geber 2021 rund 1,7 Milliarden Dollar über fünf Jahre zur Unterstützung Indigener Völker zusagten. Damit erkannten sie auch die wichtige Rolle von Indigenen Völkern beim Naturschutz an. Wie haben Sie diesen Moment erlebt?
Ich war auf der COP26, als die 1,7-Milliarden-Dollar-Zusage gemacht wurde. Ich habe applaudiert, mit Staatsoberhäuptern gesprochen und hatte das Gefühl, dass die Stimmen der Indigenen Völker nun endlich gehört würden. Endlich schien man zu verstehen, dass es keine „Geber“ und „Empfänger“ gibt, sondern dass es um Zusammenarbeit geht. Die einen schützen die natürlichen Ressourcen, die anderen steuern die Finanzierung bei. Doch auf der COP28 wurde bekannt, dass nur etwa zwei Prozent der fast 500 Millionen Dollar, die bis Ende 2022 für Indigene Völker ausgegeben worden waren, tatsächlich bei den Indigenen Gemeinschaften angekommen sind. Ich war schockiert. Der Rest ging an internationale NGOs, UN-Organisationen und Regierungen, wo ein Großteil der Gelder in der Bürokratie versickert.
Die Situation hat sich nur geringfügig verbessert: 2023 sind etwa zehn Prozent der Mittel direkt an Indigene Gemeinschaften geflossen. Warum kommt das Geld nicht direkt bei den Menschen vor Ort an?
Die Institutionen, die die Gelder verwalten, sind davon überzeugt, dass nur sie wissen, was zu tun ist. Statt die Indigenen Gemeinschaften selbst entscheiden und die Maßnahmen steuern zu lassen, bauen sie bürokratische Hürden auf und behaupten, wir bräuchten „capacity building“. Das zeigt einen tiefen Mangel an Vertrauen und Verständnis. Wir brauchen kein Capacity Building: Wir brauchen Mittel, um die Natur zu erhalten, so wie wir es seit Generationen tun. Wir sind die besten Naturschützer der Welt. Stattdessen sollten die Institutionen selbst Capacity Building betreiben und lernen, die Ansätze und Lösungen Indigener Gemeinschaften zu verstehen und zu fördern. Ich habe einen Bericht über die finanziellen Bedürfnisse Indigener Völker verfasst, der auf der 23. Sitzung des Ständigen Forums der Vereinten Nationen für indigene Angelegenheiten im Jahr 2024 vorgestellt und vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen angenommen wurde. Darüber hinaus haben wir Leitlinien entwickelt, wie Indigene Gemeinschaften finanziell gefördert werden können – ohne zwischengeschaltete Stellen.
Warum ist es so wichtig, dass Indigene Völker direkten Zugang zu den Geldern haben?
Zum einen, weil Entwicklungs- und Klimafinanzierung echte Veränderungen unterstützen sollte – und Indigene Völker diejenigen sind, die Klimaschutzmaßnahmen vor Ort vorantreiben. Da sie sehr naturverbunden leben, entwickeln sie auch ständig neue Lösungen, um ihre Umwelt widerstandsfähiger zu machen und an den Klimawandel anzupassen. Sie schützen unser Land, unsere Wälder, unser Weideland und unsere Meere. Zum anderen: Wenn wir mehr Gerechtigkeit und Integration wollen, müssen wir in diejenigen investieren, die es am dringendsten brauchen. Ob in Skandinavien, Nord- und Südamerika, Neuseeland oder in Entwicklungsländern: Indigene Völker haben noch heute oft keinen Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung oder sauberem Wasser. Das Hirtenvolk der Mbororo im Tschad, dem ich angehöre, muss aus Flüssen und Seen trinken, es gibt keine ärztliche Versorgung in der Nähe, und der Zugang zu Bildung ist schwierig.
Können Sie ein Beispiel nennen, wie Indigene Völker die Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit der Natur in ihren Gemeinschaften verbessern?
Im Tschad bringen wir traditionelles Wissen und aktuelle Forschung zusammen. Wir nutzen Satellitenbilder und Geodaten, um partizipative Karten zu erstellen. Anhand dessen ermitteln die Gemeinschaften, wo die Umwelt geschädigt ist und die Artenvielfalt verloren geht. Auf Basis ihres traditionellen Wissens entwickeln sie dann Pläne zur Regeneration und zum Naturschutz. Zum Beispiel pflanzen sie neue Bäume oder stellen Wasserquellen wieder her.
Nicht nur Sie beklagen, dass die Mittel nicht effektiv eingesetzt werden. Wo liegen die Schwächen der bisherigen Klimafinanzierung?
Viele Gelder, auch die 1,7 Milliarden Dollar, werden nur für bestimmte Gebiete in bestimmten Ländern ausgegeben. Sie sollen zum Beispiel in die Tropenwälder des Kongobeckens in der Demokratischen Republik Kongo investiert werden. Um Ihnen eine Vorstellung von der Größe des Kongobeckens zu geben: Es umfasst elf Länder! Dieser Ansatz verkennt, dass Ökosysteme vernetzt sind. Die Natur kennt keine Grenzen. Wenn man einen Teil schützt und einen anderen vernachlässigt, gerät das Gleichgewicht aus den Fugen. Im Tschad gibt es Wüsten im Norden, Savannen im Zentrum und tropische Wälder im Süden. Der Klimawandel zwingt Menschen und Tiere, auf der Suche nach Wasser und Nahrung vom Norden in die Tropenwälder im Süden zu wandern. Wer also das Gleichgewicht im Tropenwald erhalten will, muss auch die Savanne schützen.
Wie würde eine gute, direkte Finanzierung aussehen – können Sie ein Beispiel nennen?
Die effektivste finanzielle Unterstützung, die ich je erhalten habe, habe ich durch Auszeichnungen oder Stipendien bekommen. Ich habe 2019 den Pritzker Emerging Environmental Genius Award der University of California erhalten, gefolgt vom Rolex Award for Enterprise 2021 und dem Diane von Fürstenberg Award 2022. Da die Förderungen nicht an starre Bedingungen geknüpft waren, konnte ich Risiken eingehen und meine Projekte nach Bedarf anpassen. Den Rolex Award habe ich zum Beispiel bekommen, um ein partizipatives Kartierungsprojekt im Tschad und in Niger umzusetzen. Wir haben mit einer Organisation in Niger zusammengearbeitet und große Fortschritte gemacht. Doch als dort die Krise ausbrach, konnten wir nicht weitermachen. Statt mich unter Druck zu setzen, halfen mir meine Partner, das Projekt in eine andere Region im Tschad zu verlegen. Genau diese Flexibilität braucht es, damit von Indigenen geführte Projekte Erfolg haben können.
War das Projekt denn trotzdem erfolgreich?
Ja, wir haben sogar einen historischen Durchbruch erzielt: Zum ersten Mal haben Frauen in meiner Gemeinde Landrechte zugesprochen bekommen. Das hat es noch nie gegeben. Sie begannen, das Land zu bewirtschaften, bekamen Zugang zu Märkten und verdienten ihr eigenes Einkommen.
Wie kam es dazu?
Nachdem wir gemeinsam die Karten erstellt hatten, kamen alle Gemeinden zusammen, um Klimaschutzmaßnahmen zu entwickeln. In den Diskussionen haben wir gemerkt, dass auch die Frauen mitmachen müssen, dafür aber Landrechte brauchen. Bei uns wird Besitz über Indigenes Gewohnheitsrecht geregelt und die Dorfobersten verfügen über große Landflächen. Sie beschlossen kurzerhand, 233 Frauen einen Teil des Landes zu überlassen. Nachdem diese mit der Bewirtschaftung begonnen hatten, stellten sie ein weiteres Problem fest: Viele ihrer Kinder gingen nicht zur Schule. Also stellten wir einen Genehmigungsantrag, und die Gemeinde baute eine Schule. Heute besuchen dort mehr als 100 Kinder den Unterricht. Diese Kinder werden in 20 Jahren die nächsten Führungspersonen sein. So beginnt echte, dauerhafte Veränderung – und all das war möglich, weil Frauen Landrechte bekommen haben. Das Projekt hat übrigens sogar die Oberhäupter von zwei weiteren Gemeinden so begeistert, dass auch sie einen Teil des Gemeindelandes an Frauen gegeben haben. Stellen Sie sich vor, nur ein Bruchteil der 1,7 Milliarden Dollar, die den Indigenen Völkern versprochen wurden, würde auf diese Weise ausgegeben. Die Wirkung wäre enorm! Finanzierung kann Wunder bewirken, wenn sie flexibel eingesetzt wird und auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht.
Häufig fließen nur kleinere Summen direkt an Indigene Völker. Ist das sinnvoll?
Mit symbolischen Beträgen von 10 000 bis 15 000 Dollar werden wir nie echte Lösungen entwickeln können. Wir brauchen Vertrauen, Risikotoleranz und Direktinvestitionen. Und wenn wir auf dem Weg Fehler machen, können sowohl wir als auch die Finanzierungsinstitutionen daraus lernen und es besser machen. Die Institutionen, die internationale Gelder verwalten, glauben, alles besser zu wissen. Aber wenn ihr Ansatz funktionieren würde, dann wären unsere Wälder nicht abgeholzt, und wir hätten nicht mit immer stärkeren Klimakatastrophen zu kämpfen. Sie sind es, die ihre Gelder nicht effizient einsetzen.
Die aktuelle Situation ist besonders schwierig: Die USA planen den Rückzug aus der internationalen Zusammenarbeit und auch andere reiche Länder kürzen ihre Gelder. Was denken Sie darüber?
Das ist zutiefst ungerecht. Die westlichen Nationen scheinen vergessen zu haben, wie sie reich geworden sind: Sie haben die natürlichen Ressourcen anderer Länder ausgebeutet, die unser gemeinsames ökologisches Kapital sind. Sie haben den Klimawandel herbeigeführt, unter dem jetzt insbesondere diejenigen leiden, die direkt von der Natur abhängig sind. Dennoch tun sie so, als sei es eine gute Tat, Entwicklungsländern zu helfen. Das ist es nicht: Es ist Gerechtigkeit. Am Ende werden sie selbst den Preis dafür zahlen. Die Mittel zu kürzen, wird sie jedenfalls nicht retten.
Wovor?
Glauben sie wirklich, dass sie sich schützen können, indem sie ihren Reichtum horten? Sie können Mauern bauen, sie können sich abschotten – aber es gibt nun mal nur eine Atmosphäre. Die Umweltverschmutzung in Europa und den USA ist viel schlimmer als in vielen Entwicklungsländern. In unseren Wäldern im Tschad können wir noch frische Luft atmen, während die Luft in Berlin, Paris, New York oder Washington giftig ist. Was ich sagen will: In den globalen Süden zu investieren bedeutet für die reichen Länder, in ihr eigenes Überleben zu investieren. Die gesündesten Ökosysteme, die größte Artenvielfalt und die letzten unberührten Landstriche befinden sich schließlich in unseren Gebieten. Mehr noch: Wenn die westlichen Nationen die Klimafinanzierung einstellen, verlieren sie jedes moralische Recht, Entwicklungsländern vorzuschreiben, wie sie mit ihren Ressourcen umzugehen haben.
Setzen die reichen Länder ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel?
Die Nationen, die der Welt Demokratie und Menschenrechte gepredigt haben, ziehen sich stillschweigend zurück. Sie haben internationale Organisationen wie die UNO gegründet, aber jetzt wollen sie ihren Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten nicht mehr nachkommen. Wenn sie schon ihre eigenen Regeln und Grundsätze nicht einhalten – wie können sie das dann von anderen erwarten?
Was erwarten Sie von der Vierten Financing-for-Development-Konferenz (FfD4)?
Es ist eine Gelegenheit, die Begriffe „Entwicklung“ und „Schulden“ neu zu definieren. Bisher wurden sie von den sogenannten Industrieländern geprägt. Doch anstatt nur über die finanzielle Verschuldung der Entwicklungsländer zu sprechen, müssen wir über die ökologischen Schulden der Industrieländer sprechen – für den Schaden, den sie unserem Planeten zugefügt haben. Wir dürfen nicht länger zulassen, dass sie die Bedingungen diktieren. Wir müssen sie zur Rechenschaft ziehen, wenn sie ihre eigenen Versprechen nicht einhalten und den bedürftigsten Ländern die Mittel entziehen. Die FfD4 ist eine Chance für Entwicklungs- und Industrieländer, auf Augenhöhe miteinander zu sprechen und die Menschen mit einzubeziehen, die vor Ort aktiv sind.
Indigene Völker müssen mit am Tisch sitzen, wenn über Verträge, Abkommen und Erklärungen verhandelt wird. Ich appelliere an alle Staats- und Regierungschefs, sich vor dieser Konferenz gründlich Gedanken darüber zu machen, wie sie die Weltwirtschaft verändern und unsere Welt fairer und gerechter machen können – und dann Ideen in die Verhandlungen einzubringen, die umsetzbar und realistisch sind.
Links
Ibrahim, H. O., 2024: Indigenous Peoples are the world’s best conservationists. Climate funders must recognize that. time.com/6983186/indigenous-peoples-climate/
UN ECOSOC, 2024: Financing the future: the financial needs of Indigenous Peoples to support their actions for biodiversity, climate and the protection of Mother Earth
digitallibrary.un.org/record/4038517?v=pdf
Principles and guidelines for direct access funding for Indigenous Peoples’ climate action, biodiversity conservation and fighting desertification for a sustainable planet:
assets.takeshape.io/86ce9525-f5f2-4e97-81ba-54e8ce933da7/dev/01375808-c4d4-412c-80a5-8a516e835976/Indigenous%20peoples%20-%20principles%20%26%20guidelines%20for%20direct%20access%20funding.pdf
Hindou Oumarou Ibrahim is the President of the Association for Indigenous Women and Peoples of Chad (AFPAT).
afpat.net