Medien

Mangel an Meinungsbildung

Nationale Parlamente generieren zu jeder Regierungsposition auch eine Oppositionsmeinung. Daran orientieren sich die Medien. Ideen von grenzüberschreitendem Gemeinwohl kommen dagegen systematisch zu kurz – sogar innerhalb der EU, die in vielen Politikfeldern Souveränität vergemeinschaftet hat.
Zusätzlicher Umschlag verdeckt französische Autorennamen. Hofmann Zusätzlicher Umschlag verdeckt französische Autorennamen.

Ein Buchumschlag illustriert, wie wenig internationales Interesse ein deutscher Verlag den Bundesbürgern zutraut. Das Buch ist 2016 erschienen und dokumentiert Gespräche, die zwei prominente Journalisten aus Deutschland und Frankreich mit den Finanzministern dieser beiden Länder geführt haben. In den Geschäften prangten aber nur die Namen von Wolfgang Schäuble und Ulrich Wickert auf dem Titel. Die ihrer französischen Kollegen Michel Sapin und Dominique Seux waren von einem Foto verdeckt, das auf einem zweiten, kleineren Umschlag ein Foto der beiden Deutschen zeigte. Der Verlag hielt Sapin und Seux offenbar für zu unbekannt, um die Verkaufszahlen zu steigern.

Leider betrachten die Medien der Mitgliedsländer die EU fast nur aus nationaler Perspektive. Sie fragen, ob die eigene Regierung aus der EU genug herausholt, aber nicht, wie aus der Union das meiste gemacht werden könnte. Die Idee von einem gesamteuropäischen Gemeinwohl kommt zu kurz.

Folglich ist auch vielen Europäern gar nicht klar, wie weit Einschätzungen von Land zu Land auseinanderklaffen. Was hier als selbstverständlich gilt, gilt dort als ideologisch borniert. So ist zum Beispiel die „schwarze Null“ in Deutschland praktisch unumstritten. Deshalb galt in der hiesigen Öffentlichkeit die strenge Haltung der Bundesregierung angesichts der griechischen Schuldenprobleme im Sommer 2015 als alternativlos.

Britische Zeitungen sahen das ganz anders. Im konservativen Telegraph, im linken Guardian und in der liberalen Financial Times schrieben Kommentatoren, weitere Austerität sei perspektivlos, denn ohne Schuldenerlass komme Griechenland nicht wieder auf die Beine.

Elf Monate später verabschiedeten sich die Briten per Volksentscheid aus der EU. Den Ausschlag gaben Labour- und Gewerkschaftsanhänger, die in den 90er Jahren die EU noch als Bastion der Sozial- gegen die Sparpolitik sahen, sich mittlerweile aber enttäuscht abgewendet haben. Sie waren beim Brexit-Votum das Zünglein an der Waage. Dass Euroskepsis im britischen Königreich nicht nur unter konservativen Hardlinern, sondern auch in traditionellen Labour-Hochburgen verbreitet war, wusste hierzulande kaum jemand.


Dissens klar artikulieren

Gemeinsame Politik braucht gemeinsame Öffentlichkeit. Es geht nämlich nicht nur darum, wer recht hat, sondern auch darum, worüber es sich zu streiten lohnt und welche Positionen ernst genommen werden müssen. Kontroverse Diskurse dienen dazu, Dissens klar zu artikulieren, Alternativen auszuloten sowie Kompromisse und vielleicht sogar Konsens anzubahnen.

In demokratischen Nationalstaaten gelingt das weitgehend, weil sich Medien an Parlamenten orientieren, die zu jeder Regierungsposition auch eine Oppositionsmeinung liefern. Journalisten spiegeln in ihrer Arbeit diesen systemischen Pluralismus wider.

Die Berichterstattung über internationale Politik läuft anders. Korrespondenten schreiben vor allem darüber, was ihre Regierung in Verhandlungen fordert – und erreicht. Dazu trägt natürlich auch bei, dass Journalisten von den heimischen Politikern auch immer O-Töne in der eigenen Sprache bekommen können.

Das gemeinsame Interesse aller beteiligten Seiten kommt indessen zu kurz. Dass dem selbst innerhalb der EU, die in vielen Politikfeldern Souveränität vergemeinschaftet hat, so ist, zeigt, dass das Europäische Parlament weiterhin sehr schwach ist. Entscheidungen fallen in intransparenten Sitzungen, und das letzte Wort haben die versammelten Fachminister oder Regierungschefs. Ihnen kommt es weniger auf inhaltliche Kohärenz an als darauf, dass alle Betei­ligten zu Hause einen Erfolg präsentieren können. Entsprechend zerklüftet ist die öffentliche Wahrnehmung der EU.

Wenn es um globale Institutionen wie die UN, die Weltbank und andere multilaterale Entwicklungsbanken geht, ist die Lage noch deutlich schlimmer. Dazu tragen zwei Faktoren bei:

  • In autoritär regierten Ländern sind die Medien nicht frei. Folglich gibt es selbst über innenpolitische Fragen keine ernstzunehmende öffentliche Debatte. Die Propaganda der Regierung dominiert. Verständnis für komplexe internationale Zusammenhänge kann so nicht wachsen. Vor allem aber hat die öffentliche Debatte keinen Einfluss auf die Politik.
  • Auch in der Medienlandschaft gibt es ein großes Machtgefälle zwischen reichen Nationen und Entwicklungsländern. Das beginnt damit, dass die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht vielfach noch als Amtssprache dient. In anglofonen Ländern sind Verlage, Sender und Nachrichtenagenturen aus London und New York sehr einflussreich, weil heimische Medien ihre Beiträge übernehmen. Für frankofone Länder spielt Paris eine entsprechende Rolle. Der Nachrichtenfluss über internationale Beziehungen läuft über Europa und Nordamerika. Der Haken daran ist, dass er als parteiisch wahrgenommen wird.

Grundsätzlich werden Global-Governance-Perspektiven durchweg danach beurteilt, was diese das eigene Land kosten werden. Weltpolitik wird zum Nullsummenspiel, bei dem jeder Erfolg einer Partei tendenziell bedeutet, dass eine andere Partei zahlt. Eine Vorstellung von globalen Gemeinschaftsgütern wird nicht gepflegt.

Das entspricht zwar der Logik des Nationalstaats, aber nicht dem globalen Charakter der wichtigsten Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht. Wichtige Stichworte sind unter anderen Klimawandel, Krieg, Terrorismus, Steuerflucht, Artenschwund, organisiertes Verbrechen, Armut und Infektionskrankheiten. Diesen und anderen internationalen Herausforderungen sind Einzelstaaten alleine nicht gewachsen.

Leider schaffen auch internationale Sender wie die BBC, CNN oder Al Jazeera nur bedingt so etwas wie einen echten grenzüberschreitenden Diskurs. Ihre Programme sind stark von den Interessen ihres jeweiligen Standorts geprägt. Frei von Propagandaverdacht sind sie alle nicht. Sender wie Russia Today steuert ihre jeweilige Regierung, und sie sind dafür bekannt, Fakten mit Fiktion zu durchmischen.

Auch die Deutsche Welle ist nicht auf der Höhe der Zeit – und das liegt unter anderem an ihrem Auftrag. Sie strahlt vor allem deutsche Standpunkte in die Welt aus, anstatt internationale Kontroversen auszutragen, bei denen auch ausländische Positionen gut begründet und klar formuliert werden. Das würde ein viel größeres Publikum im In- und Ausland ansprechen. Leider soll aber dieser Bundessender ausdrücklich nur für das Ausland arbeiten, damit er den öffentlich-rechtlichen Landesanstalten nicht in die Quere kommt. Das entspricht dem Denken der Adenauer-Jahre, in denen die Deutsche Welle gegründet wurde, trägt aber nicht dazu bei, wirklich grenzüberschreitende Debatten zu führen. Dazu müsste der Sender auch in Deutschland rezipiert werden.

Die BBC, die für das In- und Ausland produziert, findet viel größere Resonanz. Weil sich ihre Programmverantwortlichen traditionell dem gesamten Commonwealth gegenüber verpflichtet fühlen, sind ihre Inhalte auch weniger ethnozentrisch. Ob das im Brexit-Britannien so bleibt, ist noch nicht abzusehen. Die regierenden britischen Konservativen finden die BBC schon seit langem zu unabhängig.

Letztlich dürfen demokratische Regierungen aber auf die Medienberichterstattung keinen Einfluss nehmen. Pressefreiheit ist unverzichtbar. Unabhängige Zeitungen, Sender und Nachrichtenagenturen stehen in der Verantwortung. Sie müssen Probleme angemessen darstellen und Lösungen auf den richtigen Ebenen einfordern. Das Bewusstsein dafür, dass dies auf nationalstaatlicher Ebene oft nicht möglich ist, muss wachsen – und darauf können gern auch Politiker immer wieder hinweisen.


Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@fs-medien.de

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