Togo
Mit Solidarität aus der Pandemie
Die Covid-19-Pandemie hat die Menschen in Togo besonders hart getroffen. Und das, obwohl Statistiken zeigen, dass die für den afrikanischen Kontinent prognostizierte Anzahl an Todesopfern bei weitem nicht eingetreten ist. Nicht das Virus stellte die größte Herausforderung dar, sondern vor allem das Krisenmanagement der Regierung.
So gab es zwischen März 2020 und Juli 2022 nur 282 Todesfälle bei 38 410 infizierten Personen in einer Bevölkerung von 8 Millionen. Zwar ist Vorsicht geboten im Umgang mit solchen Statistiken – bekanntermaßen kann es schwierig sein, in Afrika Daten zu sammeln. Doch erklären die Zahlen die Unzufriedenheit der togoischen Bevölkerung mit der Kommunikation der Regierung während der Pandemie. Hatten die Menschen zunächst große Angst vor dem Virus, so lehnten sie doch schnell die rigorosen Maßnahmen ab, die zur Pandemiebekämpfung eingeleitet wurden. Es folgte ein gewaltloser Widerstand, der noch immer spürbar ist, etwa wenn Teile der Bevölkerung Impfungen ablehnen (zu Covid-19-Impfkampagnen in Subsahara-Afrika siehe Benjamin M. Kagina auf www.dandc.eu).
Unterfinanziertes Gesundheitssystem
Ärztinnen und Ärzte waren in Togo vor der Corona-Krise sehr angesehen, doch die Pandemie hat das Vertrauen der Bevölkerung in medizinisches Fachpersonal beschädigt. Der Zugang zum Gesundheitswesen war freilich auch schon zuvor schlecht. Die Digitalzeitung Republicoftogo enthüllte 2018, dass es im Land insgesamt 139 Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner sowie 295 Fachärztinnen und Fachärzte gab, das heißt auf einen Arzt oder eine Ärztin kamen gut 16 700 Einwohner.
In Krankenhäusern und Pflege arbeiteten weniger als 40 000 Menschen. Der Zugang zu öffentlichen und privaten Gesundheitseinrichtungen ist auch seither ein Privileg geblieben, das weniger als 10 Prozent der togoischen Bevölkerung vorbehalten ist, darunter Beamte der öffentlichen Verwaltung.
Viele verlassen sich deshalb auf traditionelle Heilerinnen und Heiler zurück – oder beschaffen sich selbst Heilmittel im Straßenverkauf (siehe Ben ezeamalu auf www.dandc.eu). In die Notaufnahmen kommen viele Patientinnen und Patienten erst, wenn ihre Krankheit bereits deutlich fortgeschritten ist. Dies führt zu zahlreichen Todesfällen. Darüber hinaus befinden sich medizinisches Fachpersonal und Gesundheitseinrichtungen oft in den Städten. Jene 80 Prozent der Bevölkerung, die in ländlichen Gebieten leben, haben kaum eine Chance auf regelmäßige fachmedizinische Betreuung.
Nachholbedarf im Gesundheitswesen
Das war nicht immer so. Nach der Unabhängigkeit Togos 1960 versuchte die Regierung, eine flächendeckende und bevölkerungsnahe Gesundheitsversorgung aufzubauen. Diese Anstrengungen endeten aber wegen der Strukturanpassungsprogramme von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in den 1980er. Die Krise im Zusammenhang mit der Demokratisierung des Landes 1990 war ebenfalls problematisch. Ein Vierteljahrhundert fehlender Gesundheits-Investitionen ist nachzuholen.
In den 2000er-Jahren streikte das Gesundheitspersonal aufgrund der Unterfinanzierung des Sektors. Die wiederholten Spannungen mit der Regierung und die mangelnde Wertschätzung veranlassten viele Ärztinnen und Ärzte dazu, nach Europa auszuwandern, um dort unter besseren Bedingungen zu arbeiten und zu leben.
Die Corona-Pandemie erschwerte allerdings Investitionen in das Gesundheitssystem. Zu Beginn der Krise verfügte Togo nur über vier Beatmungsgeräte für die gesamte Bevölkerung. Kurzfristig musste das Land deshalb 250 weitere Atemgeräte anschaffen – neben Covid-Tests, Mund-Nasen-Masken, andere Ressourcen und schließlich auch Impfstoff. Dies erfolgte auf Kosten des Aufwands für andere Krankheiten wie Malaria, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Magen-Darm-Erkrankungen.
Da die Bevölkerung der Impfung misstraute, führte die Regierung weitreichende Maßnahmen ein. Nur Geimpfte hatten beispielsweise noch Zugang zum öffentlichen Dienst. Anstatt die gesamte Bevölkerung gegen eine gemeinsame Gefahr zu vereinen, diente der Kampf gegen die Pandemie für die Regierung als Vorwand, um bürgerliche Freiheiten zu untergraben und die Bürgerinnen und Bürger stärker zu kontrollieren.
Soziale Krise
Dem Beispiel anderer Länder folgend, schloss die togoische Regierung öffentliche Verwaltungen und Bildungseinrichtungen. Außerdem führte sie Abstandsregelungen im öffentlichen Raum ein. Es gab nächtliche Ausgangssperren und ein Reiseverbot zwischen den Städten. Da ein erheblicher Teil der Bevölkerung darauf angewiesen ist, mobil zu sein, waren diese Maßnahmen für viele schwer zu akzeptieren. Insbesondere gegen die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen erwuchs starker Protest. Die Polizei setzte die Ausgangssperre brutal durch. Sie misshandelte informell Beschäftigte, die während der Ausgangssperre spät nach Hause kamen. Ein junger Familienvater kam ums Leben, als die Polizei auf ihn schoss, um die Einhaltung der Ausgangssperre durchzusetzen.
In Togo hängt das Einkommen der Privathaushalte primär von informellen wirtschaftlichen Aktivitäten ab, etwa in der Landwirtschaft, im Einzelhandel auf den Straßen und Märkten, in persönlichen Dienstleistungen sowie im Fernhandel und Transportwesen. In diesem Umfeld führten die Einschränkungen zur Pandemiebekämpfung zwangsläufig zu einer sozialen Krise. Die Ersten, die sich beschwerten, waren benachteiligte Bevölkerungsgruppen auf dem Land und in den Arbeitervierteln der Städte. Die Maßnahmen hinderten sie schlicht daran, ihren täglichen Lebensunterhalt zu verdienen.
Maßnahmen für sozialen Frieden
Der togoische Staat sah sich gezwungen, Maßnahmen gegen den Hunger und Unmut der Bevölkerung zu ergreifen, um eine soziale Revolte zu verhindern. Mehr soziale Sicherheit war gefragt – in einem Umfeld geprägt von sinkenden Einnahmen aus Steuern und Tourismus, einer rückläufigen internationalen Nachfrage nach Rohstoffen sowie geringeren Rücküberweisungen von Migrantinnen und Migranten an ihre Familien.
In dieser Situation setzte die Regierung auf die Aufnahme neuer Schulden und auf Innovationen. Sie führte einen Förderfonds für Bedürftige ein und schuf für die Verwaltung eine digitale Plattform namens „Novissi“. Das bedeutet „Solidarität“ in der Sprache Ewe, die in den meisten Regionen Togos gesprochen wird. Über die Plattform konnten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des informellen Sektors, die zu Beginn der Pandemie arbeitslos geworden waren, ein Ersatzeinkommen beziehen. Auf diese Weise wurden 13,3 Milliarden CFA-Francs (20,2 Millionen Euro) an 820 000 Menschen ausgezahlt, ohne dass diese ihre Häuser verlassen mussten.
Solidarität und soziale Sicherheit
Die Pandemie hat somit eine Dynamik in Gang gesetzt, die zu mehr nationaler Solidarität und universeller sozialer Sicherheit führte. Daran war vor der Krise nicht zu denken. Unter anderem übernahm der Staat auch Strom- und Wasserrechnungen und unterstützte besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen mit Nahrungsmittelhilfen.
Gleichwohl konnten diese Maßnahmen nicht alle Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger decken. Um zu verhindern, dass die Hungerrevolten anderer westafrikanischer Länder auch Togo erreichen, lockerte der Staat die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung relativ schnell. So konnten die wirtschaftlichen Aktivitäten wieder aufgenommen werden.
Eine der wenigen beibehaltenen Maßnahmen war die Grenzschließung zu den Nachbarländern – geöffnet wurden nur die Luftgrenzen. Allerdings sind die Landesgrenzen in Westafrika schwer zu überwachen, und der grenzüberschreitende Handel ist wichtig für die Wirtschaft, insbesondere in dem Korridor, der die Städte Lagos (Nigeria), Cotonou (Benin), Lomé (Togo), Accra (Ghana) und Abidjan (Côte d’Ivoire) miteinander verbindet. Da die Grenzen von Beginn der Pandemie bis zum Sommer 2022 geschlossen blieben, entstand eine Schattenwirtschaft mit verschiedenen Arten von Schmuggel. Manche Importwaren wurden knapp, und die Bevölkerung musste auf den Märkten hohe Preise zahlen.
Mittlerweile sieht es so aus, als habe Togo die Krise überstanden. Eine wesentliche Lehre aus der Pandemie wird aber hoffentlich sowohl der Bevölkerung als auch der Regierung in Erinnerung bleiben: Unsere globalisierte Welt ist vernetzt. Millionen von Menschen in den ländlichen Gebieten Togos wurde erst während der weltweiten Gesundheitskrise bewusst, dass weit entfernt stattfindende Ereignisse konkrete Auswirkungen auf ihr tägliches Leben haben können.
Diese globale Vernetzung erfordert allerdings auch eine weltweite Solidarität. Wir müssen uns bewusst werden, welchen Einfluss die Handlungen Einzelner auf die gesamte Menschheit haben können. Nur so sind wir in der Lage, uns in Zukunft gegenseitig vor weiteren Katastrophen zu schützen.
Samir Abi arbeitet für Visions Solidaires, eine nichtstaatliche Entwicklungsorganisation in Togo.
samirvstg@gmail.com