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MENA-Jugendstudie

Wie blickt die Jugend in MENA auf ihre Zukunft?

Wie steht es um die Hoffnungen und Zukunftsaussichten der Jugend in Nordafrika und im Nahen Osten rund zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling? Das untersucht eine neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Die Ergebnisse sind größtenteils ernüchternd.
Demonstration für Demokratie während der Covid-19-Pandemie 2021 in Algerien. picture-alliance/AA/Mousaab Rouibi Demonstration für Demokratie während der Covid-19-Pandemie 2021 in Algerien.

Die Chancen junger Menschen in der MENA-Region auf ein selbstbestimmtes Leben und eine glückliche Zukunft sind in den vergangenen Jahren gesunken. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie mit dem passenden Titel „Die enteignete Generation“. Demnach wurden viele der Hoffnungen, die mit den Revolutionen 2010/11 und den Protesten 2018/19 verbunden waren, enttäuscht. Die Covid-19-Pandemie, politische und militärische Konflikte sowie Wirtschaftskrisen hätten Jugendlichen enorm zugesetzt.

Für die Studie wurden 2021 und 2022 Interviews mit Menschen in verschiedenen Ländern von Marokko bis Irak geführt. Die rund 12 000 Teilnehmenden waren 16 bis 30 Jahre alt. Sie beantworteten Fragen zu ihrer Lebenssituation, ihren Werten, ihrem gesellschaftlichen Engagement und ihren Zukunftsaussichten. Die Studie wurde nach 2016 zum zweiten Mal durchgeführt.

Nun ergab sich, dass die meisten jungen Menschen die ökonomische Lage ihrer Familie schlechter einschätzen als 2016. Ein Drittel der Befragten bezeichnete sich als arbeitslos. Dabei war das formelle Bildungsniveau gestiegen. Zu den Folgen gehören laut FES-Studie Ohnmachtsgefühle und Angst vor sozialem Abstieg.

Für viele spiele die Familie eine zentrale Rolle, heißt es in der Studie. 71 Prozent der Befragten wohnten noch bei den Eltern. Ein unabhängiges Leben sei ihnen häufig finanziell nicht möglich. Junge Familien mit eigenem Haushalt seien zudem besonders stark von Wirtschaftskrisen betroffen. Dennoch sei in der Lebensplanung junger Frauen zunehmend der Beruf wichtiger als eine gute Ehe.

Tiefgreifende Folgen der Pandemie

Die Covid-19-Pandemie hatte gravierende Auswirkungen. Die befragten Jugendlichen berichteten von Zukunftsängsten, Frustration, Depressionen und Einsamkeit. Den weitgehend solidarischen Umgang der Gesellschaft mit der Krankheit sahen viele jedoch als positive Entwicklung.

Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie haben den Umfrageergebnissen zufolge soziale Ungleichheit und Versorgungsengpässe verschärft. 70 Prozent der Befragten gaben an, die wichtigste Veränderung der letzten fünf Jahre in ihrem Leben sei Nahrungsknappheit – noch vor Arbeitslosigkeit, zunehmender Gewalt und Klimawandel.

Auch der gewachsene Anteil derer, die über Migration nachdenken, zeugt laut den Autor*innen von der um sich greifenden Ratlosigkeit. Jedoch sei nur ein kleiner Teil der jungen Menschen fest zur Auswanderung entschlossen. Mangels ökonomischer und sozialer Ressourcen sei Migration für viele ohnehin unmöglich. Tatsächlich nähmen die Jugendlichen die erzwungene Immobilität als Verlust von Lebenschancen wahr.

Die Studie attestiert den jungen Leuten ein gespaltenes Verhältnis zum Staat. Einerseits wünschten sich viele mehr staatliche Unterstützung: 70 Prozent sagten, der Staat solle eine größere Rolle in ihrem Leben einnehmen. Andererseits sei das Misstrauen groß und das Interesse an der Politik gering. Sie werde vor allem mit Korruption und Parteipolitik assoziiert.

Viele autoritäre Regierungen beschränken politische und gesellschaftliche Beteiligungsmöglichkeiten. Dennoch engagieren sich laut der Umfrage 78 Prozent der jungen Menschen regelmäßig sozial, allerdings meist im privaten Umfeld außerhalb institutioneller Strukturen. Das wird als Zeichen dafür gewertet, dass viele weiterhin glaubten, die Welt um sich herum positiv beeinflussen zu können.

Die Aussichten vieler Jugendlicher haben sich seit 2021 offensichtlich weiter verschlechtert, zum Beispiel wegen der extremen humanitären Not im Sudan oder in Gaza. Die trotz allem bestehende Resilienz dieser Generation sollte nach Möglichkeit gestärkt werden. Die Studie leistet durch ihre differenzierte Darstellung komplexer Lebensrealitäten einen wichtigen Beitrag, um der Enteignung von Lebenschancen entgegenzuwirken.

Buch
Gertel, J., Kreuer, D., Stolleis, F., 2024: Die enteignete Generation. Jugend im Nahen Osten und Nordafrika. Bonn, Dietz.

Konstantin Auwärter hat diesen Text im Rahmen seines Praktikums in der E+Z/D+C-Redaktion verfasst, während er Internationale Beziehungen und Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt studierte. 
euz.editor@dandc.eu