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Covid-19

In Indien fehlt es an psychologischer Unterstützung

Als vergangenes Jahr in Indien die verheerende zweite Welle der Pandemie einsetzte, lag unser Autor als Corona-Patient in der Klinik. Dort mangelte es aus seiner Sicht vor allem an psychosozialer Unterstützung und menschlicher Empathie.
Boro Baskis Krankenstation. Boro Baskis Krankenstation.

Mitte April 2021 kämpfte ich um mein Leben. Ich lag in einem Corona-Bett in der Trauma-Unit einer öffentlichen Klinik in Singur, einer kleinen Stadt bei Kalkutta. Damals tobte in Indien die tödliche zweite Corona-Welle (siehe Roli Mahajan auf www.dandc.eu).

Ich hatte Glück, dass die Klinik mich aufnahm. Einer meiner Freunde ist Arzt in Kalkutta und half mir. In der Klinik gab es medizinisches Personal und Sauerstoffflaschen, die Lage war also relativ gut.

Dennoch beobachtete ich täglich den Abtransport von Leichen aus meiner Station. Oft starben die Patientinnen und Patienten nicht, weil Personal oder Sauerstoff gefehlt hätten, sondern mangels menschlicher Anteilnahme.

Ich erinnere mich an einen Patienten Ende 60. Eines Tages hatte er schwere Atemprobleme und bekam sofort Sauerstoff. Er war zu schwach, um sich eigenständig zu bewegen. Der Tag verlief gut, aber am nächsten Morgen lag er tot unter seinem Bett. Er hatte wohl versucht, an seine Sauerstoffmaske zu kommen, als er seinen letzten Atemzug machte. Man fand die Maske direkt neben ihm. Er hatte sie offenbar verloren, als er aus dem Bett fiel. In der Nacht war niemand da, um ihm zu helfen. Wir anderen im Zimmer schliefen oder fieberten vor uns hin – vom Pflegepersonal war keiner da.

Solch tödliche Vernachlässigung hat mehrere zusammenhängende Gründe. Das Klinikpersonal hatte viel zu tun, einige waren völlig erschöpft. Möglicherweise war der Nachtdienst unterbesetzt. Ein Teil des staatlichen Personals in Indien ist zudem nicht sehr kompetent und auch nicht gerade hochmotiviert. Wer politische Kontakte und Einfluss hat, wird tendenziell besser behandelt. Auch Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen spielt eine Rolle. Menschen zeigen sich gern solidarisch mit Menschen aus ihrer eigenen sozialen Gruppe, aber nicht zwingend mit anderen.

Andere wiederum trauen nicht einmal ihrer eigenen Familie. Einmal wurde ein älterer Corona-Patient in meiner Klinik gefragt, warum er so viel Geld dabeihabe. Er sagte, seine Familie habe ihn so verabschiedet, als käme er nicht mehr lebendig heim. Also nahm er sein ganzes Geld mit – für den Notfall. Das heißt, er war darauf vorbereitet, Schmiergeld zu zahlen. Wie es mit ihm weiterging, weiß ich nicht, weil ich kurz darauf in eine andere Klinik verlegt wurde.

Beeinträchtigtes Sozialleben

Die Pandemie hat viele Ängste geschürt und Keile zwischen die Menschen getrieben. Nach meiner Entlassung erholte ich mich in der kleinen Stadt Bandel, wo ich mit meiner Frau und meinen Töchtern lebe. Als mich der Corona-Krankenwagen heimbrachte, musste ich über den Hintereingang ins Haus, um die Nachbarn nicht in Panik zu versetzen.

Natürlich sprach es sich trotzdem herum, und manche reagierten seltsam. Sie vermieden zum Beispiel Augenkontakt, selbst von Weitem. Offenbar hielten sie mich auch nach meiner Entlassung noch für ansteckend.

Angst und Unwissenheit beeinträchtigten also das Sozialleben. Vielen war offenbar egal, dass es durchaus strikte Quarantäneregeln gab. Als Klinikpatient war ich von der Außenwelt abgeschottet. Meine Frau durfte mich nicht besuchen, versuchte es aber täglich. Zu wissen, dass sie draußen wartete und mich sehen wollte, tat mir sehr gut. Auch dank ihrer psychischen Unterstützung konnte ich die Krankheit bewältigen.

Ich hatte typische Long-Covid-Symptome, fühlte mich wochenlang schwach, kam schnell außer Atem und schlief schlecht. Ich hatte Verdauungsprobleme und starke Stimmungsschwankungen. Schließlich merkte ich, dass ich langsamer reagierte, wenn Leute mich ansprachen, ob direkt oder am Telefon. Freunde und Familie sagten, ich sei vergesslich geworden. Mein geistiger Verfall begann mir Sorgen zu machen. Langsam wurde es schließlich besser, aber es dauerte.

Sowohl staatliche Stellen als auch zivilgesellschaftliche Organisationen haben Corona-Betroffenen und ihren Familien sehr geholfen. Sie verteilten etwa Sauerstoffflaschen und kostenlose Lebensmittel an Bedürftige, auch in unserem Umfeld. Allerdings mangelte es an psychologischer Betreuung und menschlichem Einfühlungsvermögen.

Dorfleben

Ich komme aus dem Santal-Dorf Bishnubati. Wir Santal sind eine marginalisierte ethnische Minderheit und gehören zu den Adivasi (siehe meinen Artikel auf www.dandc.eu).

Anfangs hielt ich meine Corona-Erkrankung vor der Dorfgemeinschaft geheim. Ich wollte keine Angst schüren. Aber als sie davon erfuhren, wollten nicht nur meine Eltern, sondern das ganze Dorf, dass ich nach Hause komme. Sie hatten keine Angst davor, dass ich sie anstecken würde.

Das liegt daran, dass die Pandemie unser Dorf weitgehend verschont hat. In Bishnubati und auch im benachbarten Santal-Dorf Ghosaldanga ist niemand an Corona gestorben (was ich im ersten Pandemie-Jahr über unsere Dörfer schrieb, gilt weitgehend weiterhin, siehe www.dandc.eu).

Tatsächlich war unser Distrikt weniger stark betroffen als viele andere Teile Indiens. Die offiziellen Zahlen sind allerdings umstritten, und es ist unmöglich, die tatsächlichen Infektionszahlen zu beziffern. Das liegt vor allem daran, dass auf dem Land weniger getestet wurde als im städtischen Raum, insbesondere auch aus Kostengründen (siehe Suparna Banerjee auf www.dandc.eu).

Doch auch ohne offizielle Statistiken lässt sich feststellen, dass es in unserer Gegend kaum Tote gab. Die Landwirtschaft und andere tägliche Aktivitäten liefen in unseren Dörfern normal weiter. Allerdings gab es weniger Austausch mit der nahe gelegenen Stadt Bolpur. Die relativ gelassene Haltung in unseren Dörfern ist dennoch erstaunlich, zumal die Pandemie andernorts regelrecht traumatisch verlief.

Medien spielen eine Rolle

Ein Grund dafür ist meiner Meinung nach unser Umgang mit Social Media und Fernsehen. Diese waren wichtig, um die Menschen auf das Coronavirus aufmerksam zu machen. Aber sie verbreiteten auch Falschinformationen und schürten Ängste. Natürlich sind digitale Medien auch in unseren Dörfern sehr populär, aber Agitation und sensationslüsterne Nachrichtensendungen beachten die Leute nicht weiter. Da wir nicht Teil der Mainstream-Gesellschaft sind, gehören wir auch nicht zur typischen Zielgruppe von Social Media oder Meinungsmache im Fernsehen. Hier interessieren sich die Leute mehr für Sport, Musik und andere Unterhaltung.

Wichtig ist auch das starke Solidaritätsgefühl in den Dorfgemeinschaften. Wir Santal halten die physische und mentale Unterstützung von Familie und Freunden in Krisen für zentral. Solche psychologischen Aspekte sind besonders wichtig in marginalisierten Gemeinschaften, die oft keinen Zugang zu moderner Medizin haben. In unserer Region hat sich viel verbessert, aber viele Santal haben nicht die notwendigen Dokumente, um Zugang zu staatlichen Einrichtungen zu bekommen. In schwierigen Zeiten müssen wir uns aufeinander verlassen.


Boro Baski arbeitet für die lokale Organisation Ghosaldanga Adibasi Seva Sangha in Westbengalen.
borobaski@gmail.com