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Nachhaltige Entwicklung

Bengalischer Arzt sieht SDG-Agenda von Pandemie bestätigt

Bangladesch sei mit der Corona-Pandemie besser zurechtgekommen als ursprünglich befürchtet, urteilt Manzur Kadir Ahmed von Gonoshasthaya Kendra, einer auf Gesundheitsversorgung spezialisierten zivilgesellschaftlichen Organisation. Entwicklungsfortschritte in den vergangenen Jahrzehnten hätten das Land widerstandsfähiger gemacht.
„Wir hätten in kürzerer Zeit mehr erreichen können, wenn wir in Bangladesch einen Impfstoff hätten herstellen dürfen“: Krankenpflegerin zieht Spritze auf. picture-alliance/AA/Stringer „Wir hätten in kürzerer Zeit mehr erreichen können, wenn wir in Bangladesch einen Impfstoff hätten herstellen dürfen“: Krankenpflegerin zieht Spritze auf.

Im Sommer 2021 haben internationale Medien viel über die verheerende Covid-19-­Infektionswelle in Indien berichtet. War Bangladesch ebenso betroffen?
Die Pandemie hat uns zwar schwer zu schaffen gemacht, aber wir waren nicht in dem Sinne überfordert, dass Leichen wie in Indien im Ganges getrieben hätten. Wohlfahrtsorganisationen sorgten dafür, dass die Toten ordnungsgemäß begraben wurden. Als die Pandemie 2020 begann, fühlten wir uns aber mental überwältigt. Wir wussten nicht, wie wir zurechtkommen würden. Im Rückblick sehe ich echte Schwierigkeiten, aber kein Desaster.

Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf arme Gemeinschaften?
Die Krankheit betraf alle, auch die Mittelschichten und unteren Mittelschichten. Jeder und jede konnte infiziert werden, manche wurden krank, einige mussten ins Krankenhaus, und es gab auch Todesfälle. Die ökonomischen Folgen war jedoch für arme Menschen härter. Haushaltshilfen verloren zum Beispiel ihre Arbeit, denn ihr Auftraggeber sagte ihnen, sie sollen nicht mehr kommen, um Infektionsrisiken zu Hause zu reduzieren. Märkte blieben geschlossen, kleine Betriebe stellten die Produktion ein, und der Transportsektor stand weitgehend still. Kurzfristig stockte sogar die Textilindustrie. Folglich verdienten Menschen mit normalerweise niedrigen oder mittleren Einkommen kein Geld mehr. Das führte zu großem Leid.

Auch zu Hunger?
Sicherlich begnügten sich viele Familien, die zuvor drei Mahlzeiten am Tag hatten, mit nur noch zwei. Es gab aber keine Hungersnot. In schwierigen Zeiten unterstützen sich Gemeinschaftsmitglieder in unserem Land gegenseitig. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie wir versorgten bedürftige Menschen mit Lebensmitteln, und die Regierung legte gezielte Hilfsprogramme für die ärmsten gesellschaftlichen Gruppen auf. Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft und Staat haben gut kooperiert. Andererseits haben mehr Menschen als sonst vermutlich nicht ausreichend Proteine und Vitamine bekommen, aber die Lage normalisiert sich wieder.

Bangladesch war früher eines der ärmsten Länder der Welt, aber nach drei Jahrzehnten rasanten Wachstums gehört es jetzt zur Kategorie mit niedrigen mittleren Einkommen. Wäre die Lage schlimmer gewesen, wenn Covid-19 nicht 2020, sondern schon 1990 aufgetreten wäre?
Auf jeden Fall. Das Land entwickelt sich aber auch weiter, sodass wir uns 2030 als noch resilienter als heute erweisen würden. Unsere sozialen Kennzeichen sind besser geworden. Das gilt für Durchschnittseinkommen, Alphabetisierungsrate und Lebenserwartung. Auch unsere Daten für Mütter- und Kindersterblichkeit sind im südasiatischen Vergleich ausgezeichnet. Die Geburtenrate ist schon seit einiger Zeit auf Reproduktionsniveau; unsere Bevölkerung wächst also nicht mehr. Die Infrastruktur ist besser geworden, und das schließt das Gesundheitswesen ein. Im Schnitt sind Bangladeschis heute folglich gesünder als vor 30 Jahren, sodass wir auch mit neuen Gesundheitsproblemen besser zurecht kommen.

In vielen Ländern hat Corona das Gesundheitswesen überfordert. Auf den Intensiv­stationen lagen zum Beispiel so viele Covid-Patienten, dass es keine Betten für andere mehr gab und wichtige Operationen verschoben werden mussten. Manche Patienten trauten sich auch aus Angst vor Infektionen nicht mehr in Kliniken.
Solche Probleme gab es selbstverständlich auch in Bangladesch. Viele privatwirtschaftliche Gesundheitseinrichtungen schlossen sogar wegen der Infektionsrisiken. Covid-19 ist ein globales Phänomen und hat auch uns sehr belastet. Worauf ich hinauswill, ist aber, dass es nicht so schlimm kam, wie anfangs befürchtet. Wir haben zum Beispiel gelernt, wie hilfreich Mobiltelefone sind. Viele Menschen haben sich auf diesem Weg ärztlichen Rat geholt, anstatt ein Gesundheitszentrum zu besuchen. Heute haben in Bangladesch fast alle ein Handy. Alphabetisierungsfortschritte sind auch wertvoll, denn viele Menschen informieren sich im Internet. Insgesamt hat sich der Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte in der Covid-19-Krise als nützlich erwiesen.

Wie bewerten Sie Long Covid?
Das ist schwer zu sagen. Es ist international noch viel Forschung nötig, und wir hoffen, davon zu profitieren. Ich hatte selbst drei Covid-Infektionen. Jetzt spüre ich manchmal leichte Krämpfe, die ich früher nicht hatte. Ist das eine Covid-Nachwirkung? Ich weiß es nicht. Klinische Forschung wird solche Fragen irgendwann beantworten. Möglicherweise haben viele andere dieselben oder ähnliche Symptome, aber wir erfahren das nicht. In einem Entwicklungsland wie Bangladesch erdulden Menschen klaglos leichte Symptome, die sie nicht ernsthaft behindern, ohne gleich zum Arzt zu gehen. Manche armen Menschen verzichten sogar ganz auf medizinische Leistungen, weil sie diese nicht bezahlen können. Um ein umfassendes Bild aller mit Covid verbundenen Symptome zu bekommen, brauchen wir internationale Studien.

Wie lief die Impfkampagne?
Wir haben vor allem zwei Vakzine verwendet – das von der Universität Oxford und ein chinesisches. Wir sind gut vorangekommen, hätten aber in kürzerer Zeit mehr erreichen können, wenn wir in Bangladesch einen Impfstoff hätten herstellen dürfen. Unsere Industrie wäre dazu in der Lage. Die Universität Oxford kooperiert bekanntlich mit dem Pharma-Multi AstraZeneca, hat aber auch einen Vertrag mit einem indischen Hersteller. Im Gegenzug für die Produktionslizenz versprach diese Firma, den Impfstoff zum Selbstkostenpreis in Entwicklungsländern zu vertreiben. Als die Infektionszahlen dann in Indien in die Höhe schossen, wurde der Export aber eingestellt. Zum Glück konnten wir zu diesem Zeitpunkt auf das chinesische Präparat zurückgreifen. Unsere Hersteller hätten beide Vakzine herstellen können. Das wäre billiger gewesen, ist aber nicht geschehen.

Die innovativen mRNA-Vakzine von Pfizer/BioNTech und Moderna gelten als effektiver, erfordern aber auch bessere Infrastruktur – zum Beispiel, was Kühlketten angeht. Wäre es sinnvoll gewesen, diese Impfstoffe in Bangladesch zu produzieren?
Ja, selbstverständlich. In unseren Städten haben wir die Infrastruktur, um medizinische Vorräte kontinuierlich zu kühlen, aber ich gebe zu, dass es im ländlichen Raum oft schwieriger ist. Eine Lehre der Pandemie für Bangladesch ist ganz klar: Wir müssen die Kapazitäten unserer Pharmaindustrie weiter ausbauen. Bislang wird hier nur an einem Impfstoff geforscht. Wir brauchen mehr Forschung und Entwicklung, damit wir selbst innovative Arzneimittel erfinden können. Wir können das schaffen – und werden das auch schaffen.

Wenn Sie zurückschauen, welche internationale Unterstützung braucht Bangladesch in einer weltweiten Pandemie?

  • Vor allem brauchen wir Information. Ohne genaue Kenntnis von dem, was anderswo passiert, können wir uns nicht auf die neue Bedrohung vorbereiten. Ehrliche und vollständige Information ist wesentlich, um evidenzbasierte Politik zu betreiben.
  • Technologietransfer ist ebenfalls wichtig, auch wenn unsere Arzneimittelindustrie schon so stark ist, dass sie oft nur die Lizenz zur Nutzung geistigen Eigentums braucht.
  • Es lässt sich nicht bestreiten, dass wir auch Geld brauchen.
  • Schließlich müssen internationale Lieferketten so gut wie möglich aufrechterhalten werden. Unsere Menschen leiden, wenn Ein- und Ausfuhren begrenzt werden.

Gibt es eine grundlegende politische Lehre, die sie aus der Pandemie ziehen?
Aus meiner Sicht hat sie abermals gezeigt, dass wir ein holistisches Verständnis von Entwicklung brauchen. Wirtschaftswachstum reicht nicht. Es muss für den Ausbau der Infrastruktur einschließlich Gesundheits- und Bildungswesen genutzt werden. Das macht Gemeinschaften resilienter und stärkt letztlich auch wieder das Wachstum. Es gibt solche Wechselwirkungen. In diesem Sinne lässt sich auch sagen, dass die Pandemie gezeigt hat, dass die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs – Sustain­able Development Goals) ein stimmiges Gesamtkonzept sind.


Manzur Kadir Ahmed ist Arzt und Geschäftsführer von Gonoshasthaya Kendra (GK), einer auf Gesundheitsversorgung spezialisierten zivilgesellschaftlichen Organisation.
https://gonoshasthayakendra.com/

 

The country’s birth rate has been close to the replacement rate for quite some time, so our population is not growing anymore  (see Najma Rizvi on www.dandc.eu).

Our infrastructure has improved, and that includes health care. All this adds up to Bangladeshis’ average health status being better today than it was 30 years ago. Therefore, we are obviously in a better position to cope with any new health challenge.

In many countries, health systems were overwhelmed. For example, there were so many Covid-19 patients in intensive care, that there were no beds left for other patients. Important operations had to be postponed. Moreover, some patients shied away from going to clinics because they feared they might be infected there.
We obviously had those problems in Bangladesh too. Indeed, many private-sector health facilities closed for some time to avoid infection risks. Coronavirus is a global phenomenon, and it definitely caused hardship here. My point is that things did not turn out as bad as we initially feared. Among other things, we found that mobile telephones were very useful, with many people asking for – and getting – medical advice without going to health centres. In Bangladesh, almost everyone has a mobile phone today. Increased literacy rates helped too, because many people today access information on the internet. Generally speaking, the development achieved in the past decades has proved useful in this health crisis.

How do you assess long Covid?
That is hard to say. Much research still needs to be done internationally, and we hope to benefit from such information. I have had three Covid infections myself, and I now experience a kind of mild cramp that I did not have before.

Are those cramps a consequence of coronavirus?
I do not know. Eventually, clinical research will provide information. As a matter of fact, many people may be experiencing similar or other symptoms, but they do not inform us. In a developing country like Bangladesh, people will tolerate symptoms that do not really disable them without going to the doctor. Some poor people do not try to access medical care at all, given that they lack money to pay for services. To get a full picture of all Covid-related symptoms, we will need international studies.

How did the vaccination campaign go?
Well, we basically used two vaccines. The one developed by Oxford University and a Chinese one. We made good progress, but would have achieved more in shorter time if we had been allowed to manufacture a vaccine in Bangladesh. We have the industrial capacity. Oxford University prominently cooperated with AstraZeneca, the pharma multinational, but it also made an agreement with an Indian company. In return for the production license, the company promised to distribute the vaccine to developing countries in a cost-covering non-profit approach. But India stopped exporting that vaccine when its death toll started to rise fast last year. Luckily, we could rely on the Chinese vaccine at that point. Bangladeshi facilities could have produced either vaccine, and that would have reduced costs. That did not happen.

The innovative mRNA vaccines of Pfizer/­BioNTech and Moderna are considered to be more effective, but they also require better infrastructure, especially in regard to cold chains. Would it have made sense to manufacture them in your country?
Yes, of course. In our urban areas, we have the capacity to keep medical supplies cold, though I’ll admit it can be quite difficult in rural areas. One lesson for Bangladesh certainly is that we must keep improving the capacities of our pharma sector. So far, only one vaccine is under research in our country. We need more research and must become able to create innovative pharmaceuticals ourselves. We can – and will – get there.

Looking back, what kind of international support does Bangladesh need in a global pandemic?

  • First of all, we need information. Unless we know what is going on in other countries, we cannot prepare for what may happen here. Honest and comprehensive information is essential. Without it, we cannot adopt evidence-based policies.
  • Technology transfer matters too, though our pharma industries have become so strong that in many cases the license to use intellectual property rights will do.
  • There is no denying that we also need funding.
  • Finally, international supply chains must be kept viable to the extent possible. Our people suffer when imports and exports become restricted.

Is there any general lesson policymakers should learn from the pandemic?
I think that Covid-19 showed us once again that we need a holistic understanding of development. Economic growth in itself is not enough. It must be used to improve infrastructure, including in the health and education sectors. Better infrastructure makes communities more resilient, and it will ultimately reinforce economic growth. These things are interrelated. In this sense, the pandemic actually proved that the Sustainable Development Goals add up to a convincing agenda.


Manzur Kadir Ahmed is a medical doctor and the chief executive of Gonoshasthaya Kendra (GK), a non-governmental organisation focused on health care.
Gonoshasthaya Kendra (GK):
https://gonoshasthayakendra.com/