Nation-Building

Herausforderung für ein junges Land

Dreizehn Jahre nach seiner Unabhängigkeit kämpft der Südsudan weiterhin damit, seine verschiedenen ethnischen Gemeinschaften zusammenzubringen. Tribalismus erschwert das Funktionieren als Nationalstaat.
Der südsudanesische Präsident Salva Kiir Mayardit, ein Dinka, setzt auf den christlichen Glauben als Identitätsmerkmal, um sein Land zu einen. picture-alliance/ZB/Matthias Tödt Der südsudanesische Präsident Salva Kiir Mayardit, ein Dinka, setzt auf den christlichen Glauben als Identitätsmerkmal, um sein Land zu einen.

Im Südsudan – der jüngsten Nation der Welt – leben schätzungsweise 11 Millionen Menschen, aufgeteilt in 64 ethnische Gruppen mit eigenen Sprachen und kulturellen Praktiken. 36 Prozent der Südsudanes*innen sind Dinka, mit 16 Prozent sind die Nuer die zweitgrößte Gruppe. Die übrigen Prozent bestehen aus kleineren Gemeinschaften.

Viele Südsudanes*innen identifizieren sich stark mit ihrer ethnischen Gruppe, was es für das Land schwierig macht, eine nationale Identität zu entwickeln. Es scheint, dass wir bei der Frage, was es bedeutet, Südsudanes*in zu sein, nicht über oberflächliche Dinge wie das Aussehen hinausgekommen sind. Um als echte*r Südsudanes*in zu gelten, muss man ein bestimmtes Aussehen haben: groß, dunkelhäutig und schlank. Ich bin klein und weniger dunkel als die meisten meiner Landsleute. Daher zweifeln manche von ihnen daran, dass ich wirklich Südsudanesin bin.

Der Südsudan spaltete sich 2011 nach mehr als 20 Jahren Bürgerkrieg vom Sudan ab. Im Krieg starben viele Menschen, Millionen wurden vertrieben und Eigentum zerstört. Unzählige Menschen sind nach wie vor traumatisiert.

Der Konflikt zwischen dem Sudan und dem Südsudan wird oft auf ethnisch-religiöse Identitäten zurückgeführt. Die tief verwurzelten Spannungen zwischen den arabischen Muslim*innen im Norden und den meist christlichen nilotischen Volksgruppen im Süden eskalierten zu einem endlosen Krieg, da jede Seite ihre Kultur und Religion für überlegen hielt.

Macht, Land und Viehbestand

Nach der Spaltung hat jedoch keines der beiden Länder Frieden gefunden – im Gegenteil, im Sudan tobt ein verheerender Krieg. Auch im Südsudan hat die Unabhängigkeit die ethnischen Spannungen nicht beendet. Die ethnische Zugehörigkeit beeinflusst die Wahl politischer Parteien, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, sogar die Sozialstruktur ganzer Städte. Die ethnopolitischen Konflikte und der Wettbewerb um Macht und Ressourcen zwischen den Eliten einiger ethnischer Gruppen haben das Land zudem in eine wirtschaftliche Schieflage gebracht.

Vor allem die beiden größten Ethnien, die Dinka und Nuer, zwei vom Nil stammende Gruppen, die vor allem Viehzucht betreiben, sind seit jeher Rivalen. Heute drückt sich das vor allem in Konkurrenz um politische Macht und immer wieder in Gewalt und Konflikten aus.

Auch bei anderen ethnischen Gruppen gibt es häufig Konflikte um Weideland und Vieh, wodurch sich Gewalt und Vergeltung scheinbar endlos wiederholen. Der Bundesstaat Eastern Equatoria etwa, wo mehr als zwölf ethnische Gruppen und Untergruppen leben, ist berüchtigt für Viehdiebstähle und Straßenüberfälle zwischen benachbarten Gruppen. Wegen mangelnder Sicherheit behindern die trotz Friedensgesprächen und -verhandlungen andauernden Konflikte die Entwicklung der Region.

Gespaltene Diaspora

Ethnische Zugehörigkeit hat auch einen großen Einfluss auf das Arbeitsleben. Um von der Regierung angestellt zu werden, ist es von großem Vorteil, ein Dinka zu sein. Sogenannte „äquatorianische“ Gruppen aus dem Osten, dem Zentrum und dem Westen haben bessere Chancen in der Privatwirtschaft oder bei zivilgesellschaftlichen Organisationen.

 

Die ethnische Identität spielt auch in der südsudanesischen Diaspora eine große Rolle. Die ethnischen Gruppen bleiben unter sich – migrantische Siedlungen in Städten und Flüchtlingslager sind nach ethnischer Zugehörigkeit organisiert. In Kenia, wohin viele Südsudanes*innen nach dem Krieg geflohen sind, leben in einer Stadt Didinga, in der nächsten Kakwa und in der dritten Nuer. Das verhärtet die Spannungen zwischen den Gruppen und spaltet die Südsudanes*innen weiter, statt die Diasporagemeinschaften zu vereinen.

Ethnische Identität ist von zentraler Bedeutung, um das reiche kulturelle Erbe des Landes zu bewahren, aber es ist auch wichtig, die damit verbundenen Herausforderungen anzugehen, um die Nation voranzubringen. Der Südsudan braucht einen wirklich inklusiven öffentlichen Diskurs, um eine Politik umzusetzen, die den Interessen aller Bürger*innen dient.

Alba Nakuwa ist freie Journalistin aus dem Südsudan. Sie lebt in Nairobi.
albanakwa@gmail.com