Religion und Nachhaltigkeit

Die heiligen Wälder Äthiopiens

Die Kirchenwälder der Äthiopisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche sind ein beeindruckendes Beispiel für Naturschutz. Aufrechterhalten werden sie durch spirituelle Ehrfurcht, indigenes Wissen und traditionelle Überzeugungen.
Prozession auf dem Rückweg von einer Baumpflanzaktion im Kirchenwald Mantogera bei Addis Zemen, Region Amhara, 2019. Christof Krackhardt Prozession auf dem Rückweg von einer Baumpflanzaktion im Kirchenwald Mantogera bei Addis Zemen, Region Amhara, 2019.

Die Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche (EOTC – Ethiopian Orthodox Tewahedo Church) ist die größte der orientalisch-orthodoxen Kirchen und eine der einflussreichsten Institutionen Äthiopiens mit mehr als 45 Millionen Anhänger*innen, einer halben Million Geistlicher, über 75 000 Kirchen und 3000 Klöstern.

Mehr als 35 000 dieser Kirchen sind von heiligen Wäldern umgeben, die von einem halben Hektar bis zu mehreren Tausend Hektar groß sind. Sie sind oft die letzten verbliebenen Reste natürlicher Vegetation in durch intensive Landnutzung degradierten Regionen. Sie bewahren eine breite Artenvielfalt und dienen einheimischen Pflanzen- und Tierarten als Schutzgebiet.

Viele lokale Landwirt*innen erinnern sich, wie bewaldet die Landschaften in ihrer Kindheit einst waren – ein Zeichen für die dramatische Veränderung der vergangenen Jahrzehnte. Die Verschlechterung der Böden ist größtenteils auf das rasche Bevölkerungswachstum und die Ausweitung der Landwirtschaft zur Deckung des Nahrungsmittelbedarfs in Gebieten zurückzuführen, die häufig von Ernährungsunsicherheit geprägt sind. Zudem fehlt es an Bewusstsein für eine nachhaltige Land- und Forstwirtschaft.

Die Kirchenwälder haben vor allem aufgrund der spirituellen Bedeutung überlebt, die die EOTC und ihre Anhänger*innen ihnen beimisst. Gläubige betrachten alle Elemente der Kirchenwälder als heilig, ob Bäume, Sträucher, Gras, Wasser oder Tiere. Auch die Lebensweise der klösterlichen Gemeinschaften, die in vielen dieser Wälder heimisch sind, ist von dieser Ehrfurcht geprägt. Ihre nachhaltigen Bräuche sind tief in religiösen Lehren verwurzelt. Dazu gehört, im Einklang mit der Natur zu leben und die Wälder nur schonend und respektvoll zu nutzen – auch wenn sie für ihre grundlegenden Bedürfnisse auf den Wald angewiesen sind. Für den Naturschutz ist diese Verknüpfung ökologischer Nachhaltigkeit mit spirituellen und kulturellen Praktiken eine wichtige Ergänzung zur konventionellen Forstwirtschaft.

Arbeit, Holz und Artenvielfalt

In Zusammenarbeit mit der Entwicklungsorganisation der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche (Ethiopian Orthodox Church Development and Inter-Church Aid Commission – EOC-DICAC) und Brot für die Welt wurde unter dem Namen „Sustainable 
Church Forest Management Program“ (SCFMP, „Nachhaltiges Kirchenwald-Management-Programm“) ein Projekt entwickelt, das Gemeinschaften bei der Renaturierung und dem Schutz ihrer Wälder unterstützt.

Die Wälder sollen langfristig Arbeitsplätze, Bau- und Brennholz bereitstellen und die Artenvielfalt und Bodenfruchtbarkeit verbessern. Die Bäume binden zudem CO2 und mildern so die Folgen des Klimawandels. Aufgrund der engen Beziehungen zwischen der EOC-DICAC und den lokalen Gemeinschaften sowie deren Verwaltungen auf Dorf- und Bezirksebene konnte das Programm bereits auf umliegende Gebiete ausgeweitet werden. EOC-DICAC arbeitet auch mit Forschungseinrichtungen und Regierungsbehörden zusammen.

Einige der Kirchenwälder sind allerdings nicht klar abgegrenzt, was zu Interessenkonflikten zwischen den Klöstern und den umliegenden Gemeinden führen kann. Dem beugt die EOC-DICAC vor, indem sie zwischen den verschiedenen Gruppen vermittelt, die Kirchen- und Gemeindeleiter*innen von Anfang an einbezieht und so ein gemeinsames Verständnis für die Bedeutung der Kirchenwälder fördert.

Im Mittelpunkt des Programms stehen Wiederaufforstungsmaßnahmen, vor allem für jene, die von den natürlichen Ressourcen der Kirchenwälder abhängen. Dazu gehören im Wesentlichen zwei Ansätze:

1.    Grüne Korridore – Mensch und Natur verbinden:

Das Konzept der „grünen Korridore“ von EOC-DICAC fördert den Austausch von Gemeinden außerhalb der Wälder mit Klostergemeinschaften, die in den Wäldern leben. Vereinzelte Waldstücke oder natürliche Lebensräume werden dabei verbunden und bestehende Flächen unterschiedlicher Größe und Form erweitert, damit Pflanzen- und Tierarten sich ausbreiten können. Die Korridore können auf regionaler, subregionaler und lokaler Ebene eingerichtet werden. Das Konzept bietet ein Bewertungssystem für die Planung der Korridorstrukturen, die im Hinblick auf Schutz und Vernetzung am besten geeignet sind. Diese sind entscheidend für die Wiederherstellung und Aufwertung von Landschaften.

2.    Agroforstwirtschaft – ein Schlüssel zu nachhaltiger Ernährungssicherheit:

Auf den Baumplantagen und dem Ackerland zwischen Dörfern und Kirchenwäldern können verschiedene Kombinationen von Bäumen, Nutzpflanzen und Gemüse angebaut werden. Auf diese Weise trägt die Agroforstwirtschaft gleich mehrfach positiv zum Ökosystem bei. Sie sorgt für:

  • höhere Lebensmittel- und Nährstoffvielfalt, die länger im Jahr verfügbar ist,
  • geringeres Risiko von Witterungs- und Schädlingsschäden als bei Monokulturen,
  • Anhebung des Grundwasserspiegels und Verminderung des Oberflächenabflusses mithilfe von Wurzeldrainagen,
  • Beschattung und Verringerung der Grundwasserverdunstung,
  • Düngung durch Stickstofffixierung und Mulchbildung durch fallende Blätter und
  • Verringerung der Bodenerosion.

Mit diesen Ansätzen kann das SCFMP die Ernährungssicherheit in den jeweiligen Regionen grundlegend verbessern. Die Zahl der Hungertage konnte bereits verringert, die Ernteerträge konnten gesteigert und die Vielfalt der Ernährung durch den Anbau von Obst und Gemüse verbessert werden.

Nicht zuletzt trägt das Programm auch zu höheren Einkommen bei, indem es nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken fördert, unternehmerische Fähigkeiten vermittelt und eine Kultur des Sparens etabliert. Das Programm zielt besonders auch auf Frauen und Jugendliche ab, indem es lokale Frauengruppen und Jugendliche ohne Chancen auf Landbesitz in alle wirtschaftlichen Aktivitäten und in die Etablierung der grünen Korridore einbezieht.

Dem Naturschutz kommen die Korridore und andere Aktivitäten auf vielfältige Weise zugute: Sie erhalten und stellen Ökosysteme und degradierte Flächen wieder her, erhöhen die Dichte und Artenvielfalt der Kirchenwälder, verringern die Verbreitung wasserbürtiger Krankheiten und verbessern nicht zuletzt Kenntnisse und Fähigkeiten lokaler Gemeinschaften bei Naturschutz und Forstwirtschaft.

Bewahren aus religiöser Ehrfurcht

Äthiopiens Kirchenwälder sind ein bemerkenswerter Teil des spirituellen Erbes des Landes und der nationalen Green Legacy Initiative, die Teil der vielseitigen Reaktionen Äthiopiens auf die Folgen des Klimawandels ist. Das Besondere ist, dass sie nicht nur aus ökologischen Absichten, sondern auch durch eine tief verwurzelte religiöse Verehrung geschützt werden. Dies verleiht ihnen einen einzigartigen Schutzstatus und einen Rahmen, der bei anderen Erhaltungsmaßnahmen selten zu finden ist.

Für die nachhaltige Bewirtschaftung und den Schutz dieser lebenswichtigen natürlichen Ressourcen sind ein Bewusstsein und ein Gefühl der gemeinsamen Verantwortung entscheidend. Die EOTC spielt hier mit ihrem ökotheologischen Ansatz eine wichtige Rolle, die traditionelles Wissen mit Erkenntnissen laufender Nachhaltigkeitsprogramme verbindet. Die Programmpartner setzen sich deshalb dafür ein, dass die EOTC die Eigentumsrechte an den Kirchenwäldern erhält. Nur so kann sie ihre nachhaltigen Bewirtschaftungs- und Schutzpraktiken effektiv fortführen.

Mit dem SCFMP greift Brot für die Welt auch auf wichtiges indigenes Wissen hinsichtlich der Nutzung natürlicher Ressourcen zurück. Hierin liegt das enorme Potenzial des Programms, möglichst viele Kirchenwälder Äthiopiens zu schützen. Starke Partnerschaften mit kirchlichen Organisationen wie EOC-DICAC sowie lokalen und internationalen Partnern tragen dazu bei, den Umweltschutz landesweit und darüber hinaus zu fördern. Zugute kommt das auch dem friedlichen Zusammenleben und gemeinsamen Engagement für Äthiopiens Naturerbe. Die Kirchenwälder sind ein Beispiel dafür, wie spirituelle Werte und Nachhaltigkeit in Einklang gebracht werden können, um Ökosysteme zu schützen und als Vorbild für einen gemeindezentrierten, ökotheologischen Naturschutz zu dienen.

Christoph Schneider-Yattara leitet in Addis Abeba das Horn-von-Afrika-Büro von Brot für die Welt. 
csyattara@padd-africa.org 

Peter. M. Borchardt ist freiberuflicher Restaurierungsberater und arbeitet als leitender Forscher und Projektmanager u. a. für Brot für die Welt, Plant-for-the-Planet und die Norwegische Kirchenhilfe. 
pbo1@gmx.de