Elektromobilität

Äthiopien setzt auf Elektromobilität

Als erstes Land der Welt beschränkt Äthiopien die Einfuhr von Verbrenner-Autos. Der Schritt wird als Entwicklungssprung gefeiert. Gleichzeitig gibt es in weiten Teilen des Landes nach wie vor weder ausreichende Stromversorgung noch Straßen.
In vielen Teilen Äthiopiens ist unklar, wie Elektromobilität umgesetzt werden soll. Rainer Kwiotek/Menschen für Menschen In vielen Teilen Äthiopiens ist unklar, wie Elektromobilität umgesetzt werden soll.

Im Februar 2024 verblüffte Äthiopien mit einem kühnen Plan: Der Verkehrsminister gab bekannt, dass die Einfuhr von Autos mit reinen Verbrennungsmotoren künftig verboten sei. Hybridmotoren bleiben erlaubt. So weit ging bislang kein anderes Land.

Das sei ein Paradebeispiel von „Leap­frogging“, kommentierten internationale Medien – der Begriff hat sich in der Entwicklungspolitik etabliert, wenn ein Land „Entwicklungsstufen“ überspringt und direkt zu fortgeschritteneren Lösungen übergeht.

Es wäre nicht das erste Mal: Heute haben die Menschen auch in den entlegensten Dörfern Äthiopiens chinesische Smartphones oder zumindest alte Nokia-Mobiltelefone – während die wenigsten von ihnen je ein Festnetztelefon in den Händen hielten.

Äthiopiens Sprung zur Elektromobilität ist durch die gewaltigen Mengen an Strom aus erneuerbaren Energien möglich, die das Land produziert. Äthiopien hat einen ähnlichen Energiemix wie Norwegen: 95 Prozent der Elektrizität kommen aus Wasserkraft.

Das größte Wasserkraftwerk Afrikas steht an der Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre (GERD), die im Nordwesten des Landes den Blauen Nil staut. Seine Leistung soll rund 6000 Megawatt erreichen – das ist vergleichbar mit den weltweit größten Atomkraftwerken. Den Rest des Stroms in Äthiopien liefert der Wind. Fossile Kraftwerke gibt es so gut wie nicht.

Mangel statt Moral

Äthiopiens Schritt hin zur Elektromobilität ist eher durch Mangel als durch Moral getrieben: Es geht nicht nur um Klima- und Umweltschutz, sondern auch um die Knappheit an Benzin und Diesel. Der hohe Treibstoffpreis hat gerade in jüngster Zeit die Armut im Land verschärft.

Der Import von Kraftstoffen in das Land ohne direkten Meerzugang schlug im Jahr 2022 mit 4,2 Milliarden Dollar zu Buche. Zur Einordnung: Der Staatshaushalt beträgt im laufenden Jahr 15 Milliarden Dollar. Der Kraftstoffverbrauch belastete die Wirtschaft in immer größerem Maße – auch die öffentliche Hand, denn der Staat hatte Benzin und Diesel stark subventioniert.

Die Regierung sah sich 2023 gezwungen, diese Subventionen angesichts der multiplen Krisen der vergangenen Jahre zu kürzen. Ab 2020 warf die Covid-19-Pandemie Wirtschaft und Gesellschaft zurück. Dann lähmte ein zwei Jahre andauernder Bürgerkrieg im Norden das Land, nachdem ein Machtkampf zwischen der abtrünnigen Regionalregierung im Bundesstaat Tigray und der nationalen Regierung in Addis Abeba eskaliert war. Im November 2022 wurde endlich ein Friedensabkommen unterzeichnet.

Darüber hinaus sind viele Distrikte des Landes, vor allem im Süden, weiter von endlosen Dürren als Folge der Klimakrise betroffen. Der Distrikt Abaya etwa erlebte 2023 zum dritten Mal in Folge eine ungewöhnlich lange Trockenzeit, gefolgt von Starkregen – die Ernte fiel gering aus.

Hinzu kommt, dass der russische Angriff auf die Ukraine Getreideimporte erschwerte. Als Folge schnellten die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe. Hinzu kam die Subventionskürzung für Benzin und Diesel. Der Treibstoffpreis verdoppelte sich innerhalb eines Jahres, und damit schlugen auch die höheren Transportkosten auf die Lebensmittelpreise durch.

Die Inflation lag 2023 offiziell landesweit bei rund 30 Prozent. Doch regional sind Preise für einzelne Grundnahrungsmittel innerhalb eines Jahres zum Teil auch um 50 bis 60 Prozent gestiegen. Das belastet gerade die ärmsten Familien extrem. Viele geben praktisch ihren gesamten Verdienst für Lebensmittel aus.

Zehn Millionen Esel

So zum Beispiel in Hambela Wamena, einem Distrikt mit 200 000 Einwohner*innen im Süden des Landes. Hier erscheint nicht nur wegen der hohen Kosten für ein Auto unklar, wie Elektromobilität funktionieren soll. Abseits des Hauptortes gibt es im Distrikt kaum Stromversorgung. Es gibt auch keine asphaltierten Straßen, nur Staubpisten. Auf ihnen sind die Menschen vor allem zu Fuß unterwegs. Wer privilegiert ist, hat einen Esel, um Lasten zu tragen. In ganz Äthiopien kommt auf hundert Einwohner*innen nur ein Auto, aber es gibt rund zehn Millionen Esel – so viele wie in keinem anderen Land.

Die Hälfte der 1,2 Millionen Kraftfahrzeuge Äthiopiens hupt und schleicht durch den Smog und Stau in der Hauptstadt Addis Abeba. Hier sind bereits immer häufiger Elektrofahrzeuge zu sehen, meist aus chinesischen Fabriken.

Im größten Teil des Landes geht es aber weniger zu wie in Addis Abeba, sondern eher wie in Hambela Wamena. Dort gibt es keine Industrie, kaum Handwerk, kaum Handel. Praktisch die gesamte Bevölkerung lebt von Subsistenzlandwirtschaft. Viele leiden Hunger.

Bevor Äthiopien also erfolgreich auf Elektromobilität umsteigen kann, muss die Landbevölkerung zunächst ein menschenwürdiges Auskommen erreichen. Dafür braucht es nicht zuletzt ausreichend belastbare Daten zu den Menschen auf dem Land, die dann Grundlage für umsichtige politische Entscheidungen und nachhaltige Entwicklungsprojekte sein müssen.

Getachew Zewdu hat an der FU Berlin Betriebswirtschaft studiert. Er arbeitet als Länderrepräsentant für die Schweizer Stiftung Menschen für Menschen (www.mfm.ch) in Addis Abeba.
info@mfm.ch

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