Baseline-Studien

Wertvolle Daten

In vielen ländlichen Regionen fehlt es an belastbaren Daten zu tatsächlichen Lebensumständen. Eine Lösung ist, bei der Datenerhebung auf Menschen aus den jeweiligen Regionen zu setzen.
In vielen Gegenden fehlt es an Daten zu den Menschen, die dort leben. Rainer Kwiotek/Menschen für Menschen In vielen Gegenden fehlt es an Daten zu den Menschen, die dort leben.

Nur eine von zehn Familien im äthiopischen Distrikt Hambela Wamena hat Zugang zu sauberem Trinkwasser. Der Rest trinkt aus Rinnsalen und Wasserlöchern, aus denen auch das Vieh säuft. Eine Konsequenz daraus ist, dass ein Zehntel der winzigen Einkommen für Medikamente gegen Durchfallerkrankungen aufgewendet werden muss. 

Die Felder pro Familie sind kleiner als ein Fußballfeld – von den Erträgen dieser Felder können sie mit im Durchschnitt sieben Mitgliedern nicht leben. Die Folge: Siebzig Prozent der Familien hungern fünf bis acht Monate im Jahreslauf.

Gewöhnlich sind Daten in dieser Tiefe im ländlichen Äthiopien nicht verfügbar. Man muss sie selbst erheben. Einheimische Interviewende befragten daher im Auftrag des Schweizer Hilfswerks „Menschen für Menschen“ Mitte 2023 insgesamt 373 zufällig ausgewählte Familien, um ihre Lebensumstände zu dokumentieren.

Aufgrund der Erkenntnisse und Empfehlungen in dieser Baseline-Studie wurden alle Aktivitäten für ein dreijähriges Entwicklungsprojekt beschlossen. Ab diesem Frühjahr werden sie umgesetzt. So quantifizierte die Studie die katastrophale Trinkwasserversorgung. Als Ergebnis werden nun zehn defekte Brunnen repariert und 16 neue Wasserstellen gebaut. Davon profitieren rund 6000 Menschen. Um die Nachhaltigkeit zu sichern, werden sogenannte Wasserkomitees geschult: Einwohner*innen sind künftig selbst für die Wartung der Brunnen zuständig. Die Komitees ziehen auch die Wassergebühren für etwaige Reparaturen ein, die dann eigenständig durchgeführt werden können.

Hundert Prozent Zinsen

Die Baseline-Studie ergab auch, dass die Familien bislang kaum Zugang zu Finanzdienstleistungen hatten. Bei Banken bekommen arme Landwirt*innen kein Geld, sie müssen es sich von Privatleuten leihen. Diese verlangen traditionell hundert Prozent Zinsen. Wenn also Familien Geld leihen, um Lebensmittel oder auch Samen für die nächste Aussaat erwerben zu können, müssen sie mit einem großen Teil der nächsten Ernte die Zinsen bedienen. Deshalb legt das Projekt nun einen Fokus auf den Aufbau von Kooperativen und Spargruppen, an die faire Mikrokredite vergeben werden.

Die Spargruppen richten sich speziell an Frauen, die dort vielfältige Schulungen erhalten, zum Beispiel auch zu Familienplanung. Denn die Baseline-Studie ergab weiter, dass 55 Prozent der Familien nicht verhüten. Von diesen gaben 38,5 Prozent an, dass sie aus einem Mangel an Wissen keine Familienplanung betreiben.

Träger des Wandels sind einheimische Berater*innen, die in den Dörfern leben und täglich von Hof zu Hof unterwegs sind. Sie helfen mit verbessertem Saatgut, Vieh auf Mikrokreditbasis und indem sie ihr Wissen über eine angepasste Landwirtschaft weitergeben. Binnen drei Jahren sollen 3600 Familien mit insgesamt 25 000 Mitgliedern ihre Lebensumstände wesentlich verbessern, indem sie etwa Überschüsse für den Markt produzieren.

Ob das gelungen ist, wird nach drei Jahren eine erneute Befragung der Familien klären. Diese Evaluation kann dann anhand der Zahlen und Indikatoren in der Baseline-Studie genau untersuchen, ob und welche Fortschritte die Familien wirtschaftlich erzielt haben.

Getachew Zewdu hat an der FU Berlin Betriebswirtschaft studiert. Er arbeitet als Länderrepräsentant für die Schweizer Stiftung Menschen für Menschen (www.mfm.ch) in Addis Abeba.
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