Horn von Afrika

Ernährungssicherheit braucht Friedensförderung und Existenzsicherung

Die Länder am Horn von Afrika stehen vor vielfältigen Herausforderungen in Bezug auf Ernährungssicherheit. Ein Beispiel aus Äthiopien verdeutlicht, dass Friedenskonsolidierung, humanitäre Hilfe und Entwicklungsbemühungen zusammenspielen müssen, um diese zu bewältigen.
Die Nuer, eine der beiden größten ethnischen Gruppen in Gambela, leben hauptsächlich von der Viehhaltung. picture-alliance/Caro/Trappe Die Nuer, eine der beiden größten ethnischen Gruppen in Gambela, leben hauptsächlich von der Viehhaltung.

Der Klimawandel ist der Hauptgrund für häufigere Dürren, Überschwemmungen und Schädlingsbefall wie die Wüstenheuschreckenplage 2021. Auch ethnische Konflikte, knappe Finanzen, ineffiziente Logistik, politische Instabilität und Sicherheitsprobleme beeinträchtigen die Nahrungsmittelproduktion und -verteilung in der Region.

Um Ernährungssouveränität zu gewährleisten, brauchen Landwirt*innen vor Ort Unterstützung beim Erhalt der einheimischen Pflanzensorten. Beim Kauf von Saatgut müssen sie sich gegen die zunehmende Abhängigkeit von der globalen Agrarindustrie wehren. Das komplexe Zusammenspiel von globalem Agrobusiness, nationaler Ernährungssouveränität und lokaler Nahrungsmittelproduktion verdient eine genauere Analyse an anderer Stelle.

Der sogenannte Triple-Nexus-Ansatz ist in den letzten Jahren in der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit immer wichtiger geworden. Wirksam umgesetzt fördert er auch Ernährungssicherheit. Er zielt darauf ab, humanitäre Hilfe, Entwicklungsbemühungen und Friedenskonsolidierung in eine kohärente Strategie einzubinden und anzuerkennen, dass die drei Bereiche komplex und eng verwoben sind.

Angesichts dieser Komplexität sind strategische Kooperationen wichtig, um unterschiedliche Fachkenntnisse und Ressourcen zusammenzuführen und ganzheitlich auf Probleme wie Ernährungsunsicherheit zu reagieren.

Action by Churches Together

Die ACT Alliance (Action by Churches Together) ist eine weltweite Koalition von in nationalen und regionalen Foren organisierten Kirchen. Sie fördert einen lokalen und koordinierten Ansatz für anwaltschaftliche, humanitäre und entwicklungspolitische Fragen.

Innerhalb des ACT-Alliance-Netzwerks in Äthiopien haben die Mitglieder Konsortien gebildet, um integrierte Triple-Nexus-Projekte durchzuführen. Ein besonderes Merkmal aller ACT-Konsortien ist, dass ihre nationalen und internationalen Mitglieder gleichberechtigt zusammenarbeiten.

Das Konsortium im Bundesstaat Gambela im Südwesten Äthiopiens besteht aus vier ausführenden und zwei zahlenden Mitgliedern. Eines der lokalen Mitglieder ist dabei die federführende Stelle, was in anderen Konstellationen selten der Fall ist. Das Projekt läuft zwei Jahre, und das Budget kofinanzieren zu 75 Prozent die Geber und zu 25 Prozent die Mitglieder des Konsortiums.

Die Region eignet sich für Landbau, Viehzucht und Fischerei und verfügt über reichlich Wasser- und Waldressourcen. Doch die Gemeinschaften sind chronisch von Ernährungsunsicherheit betroffen, vor allem wegen wenig ergiebiger Subsistenz-Monokulturen. Es kommen aber auch zu wenige nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken zum Einsatz, etwa Boden- und Wasserschutz, Bodenfruchtbarkeitsmanagement, Feuchtigkeitsspeicherung, Agroforstwirtschaft und diversifizierter Anbau. Fischfang ist eine Haupteinnahmequelle, allerdings wird jährlich nur wenig Fisch produziert, da es keinen Zugang zu Fanggeräten, Märkten und Transport gibt. Zudem wird der Fang schlecht verarbeitet und kann nur für einen geringen Preis verkauft werden.

Interkommunale Konflikte

Gambela ist ethnisch divers. Interkommunale Konflikte gibt es schon lange. Seit Beginn des Bürgerkriegs im Südsudan 2013 leben nun auch viele südsudanesische Geflüchtete in Äthiopien. Gambela hat eine Gesamtbevölkerung von 436 000 Menschen. Hinzu kommen laut UN-Flüchtlingsrat (UNHCR) derzeit 387 155 Geflüchtete – meist Nuer. Weil sie so viele sind, haben sie die ethnische Struktur des Ortes verändert. Das heizt ethnische Konflikte an, besonders zwischen den beiden größten Gruppen, den Anyuak und den Nuer. Es gibt auch Konflikte um Ressourcen zwischen den Aufnahmegemeinschaften und den Geflüchteten. Plastikmüll, vor allem in Flüchtlingslagern und Städten, beeinträchtigt darüber hinaus natürliche Ressourcen wie Wasser.

Unter Konflikten und schlechten Lebensbedingungen leiden Frauen und Mädchen am meisten. Sie sind mit Herstellung von Nahrung, Kinderbetreuung und Haushalt mehrfach belastet und verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt, besonders geschlechtsspezifischer Gewalt (gender-based violence, GBV). Auch die hohe Arbeitslosigkeit setzt den Gemeinschaften zu. Arbeitslose Jugendliche neigen zu riskanter Migration und lassen sich leicht von bewaffneten Gruppen rekrutieren.

Äthiopien hat ein umfassendes Rahmenwerk zum Umgang mit der Flüchtlingskrise verabschiedet. Es soll erleichtern, dass Maßnahmen für Geflüchtete außerhalb der Lager – wie Einschulung, Erteilung von Arbeitserlaubnissen, Bereitstellung von bewässerbarem Land und Integration – umgesetzt werden. Diese Aktivitäten müssen ein Gleichgewicht herstellen zwischen oben genanntem Rahmen und der lokalen, regionalen und nationalen Politik für die gesamte Entwicklung der Region. Bei knappen Ressourcen ist das besonders schwierig. Problematisch ist vor allem, dass sich die Aufnahmegemeinschaften angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Vorteile der Geflüchteten benachteiligt fühlen.
Das Projekt des Konsortiums verbindet Frieden mit Entwicklung und humanitärer Hilfe, indem es Dialog fördert, um eine friedliche Koexistenz zwischen ethnischen Gruppen und mit Geflüchteten zu ermöglichen. Zudem fördert es die Gleichstellung der Geschlechter, um die Lebensbedingungen von Frauen und Männern zu verbessern. Benachteiligte Gruppen wie Kinder, Frauen, Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen und Minderheiten werden soweit möglich in die Projektaktivitäten einbezogen.

Frieden und Lebensunterhalt

Das Projekt umfasst zwei Hauptaspekte: friedensstiftende Ansätze und solche zur Existenzsicherung in Aufnahme- und Flüchtlingsgemeinschaften. Im Rahmen der ersten Komponente werden Schulungen angeboten, um Friedens- und Konfliktmanagement religiöser und kommunaler Führungspersonen von Aufnahme- und Flüchtlingsgemeinschaften zu verbessern und traditionelle Konfliktlösungsmechanismen zu reaktivieren. Mitglieder akademischer Einrichtungen und Regierungsangestellte werden in konfliktsensibler Programmarbeit und Do-No-Harm geschult. Lokale Radiosender verbreiten Friedensbotschaften in den lokalen Sprachen. Schulen bemühen sich über Friedensclubs darum, dass Friedenserziehung in den Lehrplan aufgenommen wird. Projektmitarbeitende werden ebenfalls in Gender Mainstreaming und Do-No-Harm geschult. Gefördert wird zudem die Bildung von Foren für lokale Regierungsangestellte und Geflüchtete sowie anderer Unterstützungsstrukturen für die Gemeinden.

Ansätze zur Existenzsicherung sind unter anderem Aufklärung über landwirtschaftliche Praktiken wie Diversifizierung von Kulturen, Landwirtschaft mit wenig Input, integrierter Pflanzenschutz, Gartenanbau im Hinterhof sowie die Bereitstellung einheimischen Saatguts ohne Hybride. Für Jugendliche werden neue Fischereigruppen gebildet und bestehende Kooperativen gestärkt durch Ausrüstung sowie Trainings in Fischereipraktiken, Marketing und Wertschöpfungskettenentwicklung.

Auch neue Selbsthilfegruppen erhalten Schulungen, etwa zu Unternehmertum, Aufzucht kleiner Wiederkäuer, Bienen- oder Geflügelzucht und Kleinhandel. Andere werden bei der Gründung von Abfallverwertungsunternehmen und dem Bau von Latrinen aus Plastikflaschenabfall, etwa in Schulen, unterstützt.

Frauen lernen mit Öfen umzugehen und werden in der Nahrungsmittelproduktion geschult, um ihr Einkommen zu steigern. Gemeindevertreter*innen lernen, Diskussionsforen zu GBV durchzuführen und dazu funktionierende Berichtsstrukturen einzuführen.

Erfahrungsaustausch und Weitergabe von Best Practices sind für Friedensförderung und Existenzsicherung sehr wichtig. So wird das erworbene Wissen mit den Erfahrungen vor Ort verknüpft.

Eigenverantwortung der Zielgemeinschaft wird erreicht, indem ihre Vertreter*innen, religiöse Führer*innen und Älteste von der Planung an bis zur Auswahl der Begünstigten und der Durchführung der Projekte einbezogen werden. Dafür arbeiten bestehende und neue gemeindebasierte Einrichtungen eng zusammen.

Ernährungssicherheit ist zentral für den Aufbau einer Gesellschaft. Bei Best-Practice-Modellen ist zu prüfen, ob sie zum jeweiligen Kontext passen. Dazu müssen alle Beteiligten aus Wissenschaft, Regierungen, Zivilgesellschaft, Privatsektor und UN kooperieren. Der Schlüssel zu Ernährungssicherheit liegt in friedlicher Konfliktlösung und nachhaltiger Bewirtschaftung von Ressourcen. Nur eine friedliche Gesellschaft kann gedeihen, klimabedingten Herausforderungen standhalten und Ressourcenreichtum für ihren Fortschritt nutzen.

Christoph Schneider-Yattara leitet in Addis Abeba das Horn-von-Afrika-Büro von Brot für die Welt.
csyattara@padd-africa.org