Islamismus

Rekrutierung Jugendlicher durch Boko Haram verhindern

Die Terrorgruppe verbreitet im Norden Nigerias ihre extremistischen Ansichten über den Islam mit brutaler Gewalt. Ungebildete junge Leute ohne Zukunftsperspektive fallen ihrer Propaganda leicht zum Opfer. Regierungsbehörden und zivilgesellschaftliche Organisationen müssen mit lokalen Gemeinschaften zusammenarbeiten, um Boko Haram entgegenzuwirken.
Ehemalige Boko-Haram-Kindersoldaten nahmen 2020 an einem von der EU finanzierten Reintegrationsprogramm teil. picture-alliance/photothek/Ute Grabowsky Ehemalige Boko-Haram-Kindersoldaten nahmen 2020 an einem von der EU finanzierten Reintegrationsprogramm teil.

Weltweit nutzen extremistische Gruppen das menschliche Grundbedürfnis nach Gemeinschaft aus, um junge Menschen für ihre Organisationen zu gewinnen. Ein bekanntes Beispiel ist Boko Haram, ein islamistisches Terrornetzwerk, das im Nordosten Nigerias und in benachbarten Ländern aktiv ist. Der Name bedeutet so viel wie „westliche Bildung ist verboten“ und bezieht sich auf die Lehren von Mohammed Yusuf, der die Gruppe bis zu seiner Ermordung 2009 anführte. Die Mitglieder bezeichnen sich selbst nicht als Boko Haram. Unterschiedliche Lager der Gruppe verwenden verschiedene Namen.

Anfangs prangerte Boko Haram die grassierende Korruption und die Misswirtschaft der staatlichen Stellen, insbesondere im Nordosten Nigerias, an. Mit steigender Gewaltbereitschaft ihrer Mitglieder machte sich die Gruppe aber zunehmend als regierungsfeindliche Sekte einen Namen.

Ihr Ziel ist es, die eigene Vision eines islamischen Staates durchzusetzen – und das erfordert Personal. Wie andere Terrorgruppen weltweit rekrutiert Boko Haram vor allem Jugendliche, hauptsächlich aus Nigeria und den Nachbarländern Niger, Tschad und Kamerun.

Die Mehrheit dieser jungen Menschen kommt aus benachteiligten Verhältnissen und wurde vernachlässigt. Das macht sie empfänglich für Indoktrination. Da sie öffentlich nicht besonders auffallen, setzt die Terrorgruppe sie als Spione, Selbstmordattentäter und Kuriere ein. Sie bringt ihnen auch oft das Kämpfen bei.

Kanäle der Rekrutierung

Das Internet ist inzwischen zur wichtigsten Plattform geworden, über die Boko Haram und andere extremistische Organisationen Mitglieder rekrutieren und Menschen radikalisieren. Sie verbreiten ihre Terrorpropaganda über Chatrooms, Videos, Literatur und Gruppen, auch auf Social-Media-Plattformen wie WhatsApp, Facebook und X. Indem sie die Interessen junger Menschen analysieren und eine Vertrauensbasis schaffen, findet die Terrorgruppe einen Weg in ihre Köpfe.

Einige Mitglieder treten dazu Onlinegruppen bei oder gründen scheinbar harmlose Gruppen für Themen wie Arbeit, Geschäftliches oder Religion, um das Verhalten der Nutzer*innen zu beobachten. So identifizieren sie Personen, die für Extremismus anfällig sind oder damit sympathisieren, und passen ihre Botschaften entsprechend an.

Eine weitere wirksame Strategie von Boko Haram ist Radikalisierung. Die Terrorgruppe verzerrt religiöse Forderungen und zielt auf junge Menschen ab, die religiösen Autoritäten vertrauen und die heiligen Schriften nicht selbst studieren. Ihre Mitglieder infiltrieren Koranschulen, Moscheen, Gefängnisse, Märkte und Fußballplätze. Einige Jugendliche glauben daher, Boko Haram verrichte „Gottes Werk“. Andere kommen zu Boko Haram durch Familienmitglieder, die der Gruppe angehören. Wieder andere machen mit, weil sie Rache fürchten.

Boko Haram nutzt gezielt zerrüttete Familienstrukturen aus. Die Gruppe benutzt Jugendliche und Kinder aus zerbrochenen Familien, Waisen und verlassene Kinder für Waffenhandel oder Botengänge. Auch ist bekannt, dass Boko Haram brutale Gewalt anwendet, um neue Mitglieder zu rekrutieren, darunter die willkürliche Entführung von Schulkindern.

Begünstigendes Umfeld

Wirtschaftliche und soziale Faktoren begünstigen, dass sich junge Menschen Boko Haram anschließen und an religiös motivierter Gewalt beteiligen. Hohe Armut und Arbeitslosigkeit bei niedrigem Bildungsniveau schaffen ein günstiges Umfeld für die Terrorgruppe. Sie propagiert ihre religiöse Ideologie als Allheilmittel zur Lösung gesellschaftlicher Missstände. Andere westafrikanische Länder kämpfen mit ähnlichen sozioökonomischen Problemen wie der Norden Nigerias, mit vergleichbaren Folgen für die Bereitschaft junger Menschen, sich Aufständischen anzuschließen, beispielsweise in Mali, Niger und Burkina Faso.

Viele Kinder im schulpflichtigen Alter gehen nicht zur Schule. Die Alphabetisierungsrate ist niedrig. Können junge Menschen aber nicht lesen und schreiben, fällt es ihnen tendenziell schwerer, die Narrative extremistischer religiöser Gruppen zu hinterfragen.

Boko Haram lockt Jugendliche zudem mit finanziellen Anreizen, verspricht etwa Arbeit und zinslose Kredite. Das Terrornetzwerk unterstützt auch Familien von „Märtyrer*innen“, Rekrut*innen und Veteran*innen.

Wie viele Jugendliche genau von Boko Haram rekrutiert werden, ist nicht bekannt – nicht zuletzt, weil es in Nigeria keine genauen Bevölkerungsdaten gibt. UNICEF schätzt, dass Boko Haram und andere bewaffnete Gruppen zwischen 2009 und 2022 Tausende Kindersoldaten in Nigeria rekrutiert haben.

Boko Haram besteht hauptsächlich aus arbeitslosen Männern. Unter den Mitgliedern sind jedoch auch Frauen und einflussreiche Personen. Das Netzwerk finanziert sich durch Entführungen und Raubüberfälle, aber auch durch religiös motivierte Spenden und finanzielle Unterstützung von internationalen Terrorgruppen.

Maßnahmen gegen die Rekrutierung

Die nigerianische Regierung und andere Akteure sollten Maßnahmen ergreifen, um die Rekrutierung junger Menschen durch Extremist*innen zu verhindern. Bildung muss im Norden Nigerias an erster Stelle stehen. Junge Menschen, die lesen und schreiben können und gelernt haben, selbstständig zu denken, sind weniger anfällig für Terrorpropaganda. Gemeinden und Regierung müssen sicherstellen, dass Bürger*innen die Werte und Vorteile der westlich geprägten Bildung verstehen.

Im Zentrum steht die Förderung einer friedlichen und toleranten Koexistenz. Diese Botschaft sollte breit gestreut werden, von Kunst und Medien bis hin zu Bürgerversammlungen. Radikalen Botschaften muss entgegengewirkt werden.

Arbeitsplätze zu schaffen muss ebenfalls Priorität haben. Die Regierung sollte Förderprogramme zur beruflichen Qualifizierung auflegen, um jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Alle haben eine Chance verdient, der Armut zu entkommen. Sie brauchen menschenwürdige Arbeit, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können und nicht auf die Finanzierung durch extreme Gruppen angewiesen zu sein.

Auf Gemeindeebene braucht es gut finanzierte, zivilgesellschaftlich organisierte Programme für besonders gefährdete Kinder. Kein Waise und kein Kind aus einer zerrütteten Familie sollte mehr der Rekrutierung durch Terrorist*innen zum Opfer fallen. 

Dazu müssen Regierungsbehörden und zivilgesellschaftliche Organisationen mit lokalen Verantwortlichen und Familien zusammenarbeiten. Nur gemeinsam können sie das soziale und wirtschaftliche Gefüge stärken, das die leichte Rekrutierung Jugendlicher in Nigeria durch Boko Haram und andere extremistische Gruppen verhindert.

Adaze Okeaya-inneh ist Journalistin und Drehbuchautorin in Lagos.
adazeirefunmi@gmail.com

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