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Sicherheit

Islamistische Rebellen agieren wie andere Aufständische auch

Um die politische Instabilität in Westafrika besser zu verstehen, betreibt das Institute for Security Studies (ISS Africa) empirische Forschung vor Ort. Lori-Anne Théroux-Bénoni hat E+Z/D+C einige Einsichten erläutert.
Wenn ein Familienmitglied sich den Extremisten anschließt, ist die Herde sicher: Rinderhirten 2019 nahe Mopti. picture alliance/dpa/MAXPPP / Nicolas Remene / Le Pictorium Wenn ein Familienmitglied sich den Extremisten anschließt, ist die Herde sicher: Rinderhirten 2019 nahe Mopti.

Es heißt gemeinhin, in Westafrika tobe ein Kampf zwischen gewalttätigem Islamismus und demokratischen Staaten. Stimmt das?
Gängige Meinungen sind oft nicht hilfreich. Andernfalls würden wir nicht beobachten, wie die Sahelkrise vom Südrand der Sahara auf Küstenstaaten übergreift. Lassen Sie mich beide Konzepte dekonstruieren. Aktuelle Staatsstreiche haben gezeigt, dass es typischerweise nur eine demokratische Fassade gab. Nach Wahlen wurde regelmäßig ignoriert, was Wähler und Wählerinnen wollten. Es gibt keinen echten Gesellschaftsvertrag, der Rechte und Pflichten festschreibt und das Verhältnis von Staat zu Bürgern und Bürgerinnen regelte. Im ländlichen Raum ist das Missverhältnis besonders ausgeprägt.

Und was ist mit gewalttätigem Islamismus?
Wir haben vor Ort hunderte von in Extremismus involvierte Menschen interviewt. Wir haben erfahren, dass einfache Kämpfer und Anführer auf mittleren Rängen aus verschiedenen Gründen mitmachen, aber religiöse Indoktrination kaum eine Rolle spielt. Die Spitzenleute haben eine fundamentalistische Rhetorik, und vielleicht glauben sie auch daran. Glaubensdogmen motivieren aber offensichtlich nicht alle Mitglieder ihrer Organisation.

Was motiviert sie denn?
Verschiedene Dinge. Eine Schlüsselthema ist Schutz. Menschen wollen in Sicherheit für sich selbst, ihre Familien, Gemeinschaften und Erwerbstätigkeit. Wenn ein Familienmitglied sich einer bestimmten extremistischen Gruppe anschließt, greift diese die Angehörigen normalerweise nicht an.

Das klingt nach einem mafiösen Schutzsystem.
Ich will darauf hinaus, dass es keinen großen Unterschied zwischen Dschihadisten und anderen bewaffneten Gruppen gibt, ob das nun Rebellen, Mafiabanden oder selbsternannte Bürgerwehren sind. Alle müssen Mitglieder rekrutieren und Material und Geld beschaffen. Die Vorstellung, religiöser Fundamentalismus treibe die extremistische Gewalt an, ließe uns übersehen, dass die Vorgehensweise altbekannt ist. Wir sollten lieber das Szenario als Aufstand betrachten. Die Rekrutierungsmuster sind dieselben. Mobilisiert wird mit lokalen Missständen, die auf mangelhafter Regierungsführung beruhen. Tatsächlich bleiben grundlegende Bedürfnisse vielfach unbefriedigt – von Sicherheit über Infrastruktur zu ökonomischen Chancen und Rechtsstaatlichkeit. Viele Menschen fühlen sich vom Staat vernachlässigt oder im Stich gelassen.

Das Grundproblem ist also die Kluft zwischen Regierenden und Regierten? Das hat kürzlich Vladimir Antwi-Danso von der Streitkräftehochschule Ghanas ähnlich dargestellt (siehe seinen Beitrag auf www.dandc.eu).
Wir sehen umfassendes Staatsversagen. Mangels echter Gesellschaftsverträge funktionieren weder Politik noch Justiz noch Wirtschaft – jedenfalls nicht gut genug, um breiten Wohlstand zu ermöglichen. Stattdessen fürchten viele um ihre Leben.  

Wie sehen Sie die ökonomischen Bedingungen?
Es heißt ständig, arbeitslose junge Männer schlössen sich den Extremisten an. Das ist nur Teil der Wahrheit. Unsere Forschung zeigt, dass Rekruten bestehende Erwerbstätigkeiten absichern wollen. In Zentralmali beispielsweise ging es einigen um Schutz für die Rinderherden der Familie – und zwar nicht nur vor Viehdieben, sondern auch vor als unfair empfundener Besteuerung. In anderen Fällen sagten uns Gesprächspartner, sie seien Jäger, würden aber als Wilderer bezeichnet. Auch Leute, die verbotenerweise Gold schürfen, suchten Schutz von bewaffneten Extremisten. [LATB2] 

Folgt daraus etwas für die Politik?
Selbstverständlich. Projekte, die Jobs schaffen sollen, reichen nicht, wenn Leute unbedroht gewohnten Erwerbstätigkeiten nachgehen wollen. Schutz muss also auf die Agenda, und es wäre auch gut, solche Möglichkeiten noch attraktiver zu machen. Zentral sind der Wunsch nach Sicherheit sowie die Staatsaufgabe, dafür unparteiisch zu sorgen. Das geht nicht nur internationale Organisationen an. Die Führungsrolle gebührt nationalen Regierungen. Allzu oft greifen Behörden aber zu spät oder auf als ungerecht empfundene Weise ein. Folglich nehmen Frustrationen zu.

Sind Stammes-, Sprach- und Glaubensunterschiede wichtig?
Ja, aber nicht auf grundlegende Weise. Sowohl staatliche Stellen als auch Extremisten nutzen sie manipulativ. Wir sollten uns aber davor hüten, leicht verfügbare Kategorien als Erklärung heranzuziehen. Es gibt nicht nur Konflikte zwischen, sondern auch innerhalb von Gemeinschaften – zum Beispiel um Führungsansprüche.

Welche internationalen Dimensionen gibt es? Die Funken springen von einem Land auf das nächste über.
Es wäre klug, mehr auf internationale Verknüpfungen zu achten. Wir haben zum Beispiel erfahren, dass Motorräder für Angriffe im Grenzgebiet von Mali, Burkina Faso und Niger genutzt wurden, die über Benin aus Nigeria beschafft worden waren. Diese Lieferkette ist lang. Die Extremisten brauchen auch Treibstoff, Munition und Waffen. Sie verdienen Geld mit dem Verkauf von gestohlenem Vieh oder illegal gewonnenem Gold in Küstenstaaten. Bessere staatliche Kontrollen der Handelswege könnten also helfen. Allerdings wäre darauf zu achten, dass nicht neue Frustrationen entstehen. Unser Institut fordert, politische Eingriffe sollen grundsätzlich den örtlichen Bedingungen evidenzbasiert entsprechen. Es geht darum, Feuer zu löschen, nicht anzufachen. Kluges, präventives Staatshandeln sollte Feuer von vornherein verhindern.

Wer ist verantwortlich? Die Regierungen der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS – Economic Community of West African States) oder die größere Afrikanische Union?
Die nationalen Regierungen müssen sich ihren Pflichten stellen, und sowohl ECOWAS als auch AU sind relevant. Viel zu lang wurde so getan, als hätte die Sahelzone keine Verbindung zum übrigen Westafrika oder dem ganzen Kontinent. Die Sahelländer werden großenteils immer noch vernachlässigt, dabei reichen einige über die ECOWAS hinaus.

Sehen Sie auch eine Rolle für die UN?
Ja, und das geschieht auch schon. Es gibt die UN-Mission in Mali (MINUSMA) und das UN Büro für Westafrika und den Sahel (UNOWAS). Die große Sorge ist, Westafrika könnte eine Brutstätte des internationalen Terrorismus werden. Die UN haben eine Rolle zu spielen – und das gilt auch für die EU.

Aber in Mali ist der französische Militäreinsatz gescheitert.
Ja, es gab viele Fehler. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass alles von Anfang an schwierig war. 2012 und 2013 wurden verschiedene Handlungsoptionen für ECOWAS und AU diskutiert, aber Washington und London lehnten einen von Afrikanern geleiteten und finanziell von den UN unterstützten Einsatz ab. Alle waren dann überrascht, als im Januar 2013 Separatisten und gewalttätige Extremisten plötzlich bereit schienen, nach Bamako, Malis Hauptstadt, durchzumarschieren. Nach Frankreichs Serval-Intervention und Neuwahlen lautete der Kompromiss dann, eine Stabilisierungsmission der UN mit einem französischen Anti-Terror-Einsatz zu verbinden.

Das hielt aber niemand für optimal?
Nein, es war aber das, worauf sich alle einigen konnten – einschließlich Finanzierung. Die französischen Anti-Terror-Truppen sollten die Extremisten durch Ausschaltung der Führungsebene eliminieren. Die Schwäche dieses Konzepts ist, dass es  an den grundlegenden Missständen, von denen die Extremisten profitieren, nichts ändert. Auf getötete Führungspersönlichkeiten folgen schnell neue. Es wurde zu wenig beachtet, wie die Extremisten rekrutieren, operieren und expandieren. Das war nicht unbedingt die Aufgabe der französischen Truppen, aber es hätte nicht vernachlässigt werden dürfen. Erschwerend kam hinzu, dass sich malische Soldaten von ihren französischen Partnern schlecht behandelt fühlten und postkoloniale Animositäten zunahmen. All das trug zur französischen Abzugsentscheidung bei.

Heißt das, weil es keine  militärische Lösung geben kann, ist eine politische nötig?
Es ist geht nicht um entweder/oder. Militärisches Handeln ist nötig, reicht aber nicht. Es muss mehr geschehen. Vor allem müssen die Bedürfnisse der Menschen beachtet werden, und dafür sind Lösungen erforderlich, die Staatsversagen respektive Politik, Justiz, Sicherheit und Wirtschaft korrigieren.  

Wie bewerten Sie die russische Präsenz in Mali?
Es gibt auf allen Seiten viel Propaganda. Das Bild ist nicht klar. Fest steht aber, dass es in Mali seit 2013 große Unzufriedenheit mit Militär- und Sicherheitsarrangements gibt. Dank russischer Unterstützung hat die Armee Malis ein neues Allmachtsgefühl – nicht zuletzt, weil sie nun die seit Langem geforderte Ausrüstung hat, die sie zu Luftüberwachung und Luftschlägen befähigt. Über Menschenrechtsverletzungen hinaus besteht aber das Risiko, dass die Stärkung der Streitkräfte das Militärregime erst recht von den grundlegenden, nicht militärischen Missständen ablenkt, ohne deren Lösung Stabilität unerreichbar bleibt.


Lori-Anne Théroux-Bénoni leitet in Dakar das Regional Office for West Africa, the Sahel and the Lake Chad Basin of the Institute for Security Studies (ISS Africa). Die Zentrale ist in Südafrika.
lbenoni@issafrica.org

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Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.