Entwicklung und
Zusammenarbeit

Afrikanische Ernährungssysteme

Forschungsdefizite beeinträchtigen Ernährungssicherheit in Afrika

In vielen afrikanischen Ländern beeinträchtigen gewaltige Wissenslücken die Ernährungssicherheit. Die schlechte Datenlage erschwert Innovationen, die Lebensmittel-Versorgungsketten stabiler machen könnten. Mehr Forschung ist nötig. Trotz schwindender Mittel für Entwicklungspolitik muss dafür gesorgt werden, dass nationale Forschungssysteme funktionstüchtig werden. Im April sollte sich die Science Week der CGIAR in Nairobi dieser Herausforderung stellen.
In Afrika gibt es weniger Daten über Lieferketten als in Europa: Yam-Großmarkt in Ghanas Hauptstadt Accra. picture alliance/Hans Lucas/Jean-Francois FORT
In Afrika gibt es weniger Daten über Lieferketten als in Europa: Yam-Großmarkt in Ghanas Hauptstadt Accra.

Ernährungssicherheit ist in vielen afrikanischen Ländern prekär. Drei große Trends verschärfen die Probleme: 

  • Die Klimakrise durchkreuzt zunehmend traditionelle landwirtschaftliche Praktiken.
  • Angesichts anhaltenden Bevölkerungswachstums
  • wird künftig mehr Nahrung gebraucht. 

Wegen der Abhängigkeit von Getreideeinfuhren führen makroökonomische Probleme schnell zu Hunger und Mangelernährung. 

Theoretisch könnten die betroffenen Länder ihre Ernährungssysteme modernisieren, um diese Dinge in den Griff zu bekommen. Bekanntlich ist die Produktivität der afrikanischen Landwirtschaft niedrig und sollte deshalb gesteigert werden. Klar ist auch, dass viel zu viel Nahrung schon vor dem Verbrauch verrottet. Die Gründe sind mangelhafte Lagerung, langsame Verarbeitung und ineffizienter Vertrieb.

Innovationen entlang der gesamten Lieferkette wären also sinnvoll und würden obendrein neue Arbeitsplätze schaffen. Leider ist das aber leichter gesagt als getan. 

Traditionelles Wissen reicht nicht

Die schlimmsten Engpässe verursacht der Mangel an wissenschaftlich gesichertem Wissen. Einer Faustregel zufolge hängen südlich der Sahara rund 80 Prozent der Menschen von Subsistenzlandwirtschaft und informeller Wirtschaftstätigkeit ab. Sie lassen sich von Traditionen und Gewohnheiten leiten. Oft wird Wissen von Person zu Person und von Generation zu Generation weitergereicht. Es ist zwar meist nicht falsch, aber unvollständig und suboptimal. 

Arme Menschen sind risikoscheu und behalten tendenziell gewohntes Verhalten bei. Sie sind nicht zu dumm, um zu sehen, dass es bessere Möglichkeiten geben könnte. Wer einen kleinen Betrieb in Handel oder Landwirtschaft am Laufen hält, kann sich aber keine Verluste leisten. Was sich bislang bewährt hat, scheint der sicherste Weg, die Familie weiter zu ernähren. 

Was diese Menschen im Detail tun, ist meist nicht dokumentiert. Ihre Umsätze, Ausgaben und Gewinne erfasst niemand systematisch. Auch welche Nährstoffe ihre Produkte enthalten, ist unklar – und manche sind wegen verschiedener Belastungen gar nicht für den Verzehr geeignet. Unsachgemäßer Chemikalieneinsatz oder mangelhafte Lagerung beeinträchtigen oft die 
Lebensmittelsicherheit.

Zu wenig Daten 

Vom ländlichen Acker bis zum städtischen Markt prägen Wissenslücken die gesamte Lieferkette. Das macht es schwer, professionelle Businesspläne zu erstellen oder politische Eingriffe zielgenau zu konzipieren. Dass die Infrastruktur in ländlichen Gebieten oft kaum oder gar nicht entwickelt ist, kommt erschwerend hinzu.

Länder mit hohen Einkommen verfügen über umfassende Daten. Sie haben zuverlässige Statistiken über die landwirtschaftliche Produktivität, den Einsatz von agrarischen Hilfsmitteln, die Lagerung, Verarbeitung und den Vertrieb von Nahrungsmitteln sowie über Supermarkt-Umsätze und Lebensmittelsicherheit. Akademisch ausgebildetes Personal erhebt und verarbeitet die Daten. Universitäten betreiben Grundlagen-, aber auch angewandte Forschung, während Behörden Statistiken zu Aufsichtszwecken führen. Die Privatwirtschaft beschäftigt zudem Fachleute für Marketing und Produktentwicklung. 

Reiche Volkswirtschaften wandeln sich rasant zu wissensbasierten Ökonomien, wobei vielschichtige Märkte sich auf ähnlich differenzierte Forschungssysteme stützen. Trotz großer Komplexität haben Entscheidungstragende eine gute Übersicht darüber, was geschieht. 

In Afrika ist das in der Regel anders. Ganze Nationen und Ökosysteme sind kaum erforscht. So haben denn auch traditionelle Grundnahrungsmittel weitgehend global gebräuchlichen Pflanzen (besonders Reis, Weizen und Mais) weichen müssen. Die Abhängigkeit von diesen Getreidesorten wirkt sich aber negativ auf Gesundheit, Umwelt und makroökonomische Stabilität aus. 

Für die anstehende Modernisierung afrikanischer Ernährungssysteme ist deshalb mehr Forschung dringend nötig. Die begrenzten Kapazitäten der Hochschulen und sonstiger Institute sind aber bereits überstrapaziert. In Afrika gibt es vergleichsweise wenig akademisch gebildete Menschen. Folglich verfügen auch Behörden und Privatfirmen über weniger Möglichkeiten, sicheres Wissen zu schaffen. Selbst wenn sie Forschungsaufträge vergeben wollen, finden sie oft niemanden, um diese auszuführen.

Geberinstitutionen steuern Forschung

Derweil stehen Forscher*innen in Afrika, die einen bestimmten Aspekt ihres jeweiligen Ernährungssystems untersuchen wollen, vor einer Hürde, die es in reichen Ländern nicht gibt. In Europa oder Nordamerika finanziert eine Vielzahl unterschiedlicher Institutionen Forschungsvorhaben. Manche sind staatlich, manche sind privat. Manche arbeiten gewinnorientiert, andere sind gemeinnützig. Wer etwas Bestimmtes erforschen will, stellt Förderanträge dort, wo die Erfolgsaussichten gut sind. 

In Afrika gibt es aber keine differenzierte Forschungsfinanzierung und nur sehr wenige Förderungsoptionen. Projekte hängen typischerweise von Geberinstitutionen ab, die gar nicht auf Forschung spezialisiert sind – sondern auf entwicklungspolitische Vorhaben. Das hat zwei gravierende Nachteile:  

  • Die Entscheidungsgremien wollen nicht Forschung fördern, sondern Entwicklungsprojekte mit konkreten Ergebnissen wie etwa Weiterbildung für 30 000 agrarische Kleinbetriebe oder sichere Ernährung für 20 000 Slumkinder.
  • Die Gremien sind auch nicht in Afrika angesiedelt, sondern in Ländern mit ganz anderem Alltagsleben. Dinge, die afrikanischen Fachleuten auf den ersten Blick klar sind, werden deshalb leicht übersehen.

Die Projekte spiegeln wider, was Geberinstitutionen wichtig ist, entsprechen aber nicht unmittelbar afrikanischen Prioritäten. Hochqualifiziertes afrikanisches Forschungspersonal kümmert sich in der Folge um Dinge, welche die gesamte Lieferkette betreffen, aber nicht unbedingt der jeweiligen Kernkompetenz entsprechen. Pflanzen­­gene­­tiker*innen beschäftigen sich dann etwa mit dem kommerziellen Vertrieb von Lebensmitteln oder der Aufklärung von Verbrauchenden über Gesundheitsrisiken. Sie springen zudem von einem kurzfristigen Projekt zum nächsten. 

Nötig wären starke nationale Forschungssysteme. Je weniger präzise ein Ernährungssystem erforscht ist, desto schwerer fällt dessen Modernisierung. Im Sinne eines innovationsfreundlichen Geschäftsklimas sollten so viele Wissenslücken wie möglich schnell geschlossen werden. Austausch mit Risikokapitalgebern und Agrarverbänden kann helfen, die wichtigsten Wissenslücken zu erkennen. In der Praxis dominiert stattdessen eine Vielzahl von entwicklungspolitischen Einzelvorhaben. 

Afrikanische Eigenverantwortung kommt zu kurz, weil Finanzierungsentscheidungen in Übersee fallen. Wer zahlt, bestellt die Musik, besagt ein altes Sprichwort. Auf Forschung zu afrikanischen Ernährungssystemen trifft es weitgehend zu. 

Ausblick 

In der aktuellen weltpolitischen Lage wird der Aufwand für Entwicklungshilfe (ODA – Official Development Assistance) nicht steigen, sondern zurückgehen. Es wird also noch wichtiger, kein Geld zu verschwenden. Positiv ist, dass ein weltweites Umdenken stattfindet. Geberinstitutionen interessieren sich zunehmend für lokale Besonderheiten wie etwa Afrikas vernachlässigte Lebensmittel. 

Die Consultative Group for International Agricultural Research (CGIAR) ist besonders gefordert. Sie stützt sich auf Geld von Geberregierungen, multilateralen Organisationen und philanthropischen Stiftungen. Ihre Exzellenzzentren sind berühmt – dazu gehören etwa das IFPRI (International Food Policy Research Institute) in Washington, das IRRI (International Rice Research Institute) in Manila oder das CAP (Centro Internacional de la Papa/International Potato Center) in Lima. 

Statt diesen Instituten sollte die CGIAR künftig der Stärkung nationaler Forschungssysteme Vorrang geben. Diese müssen in Forschungsprogramme einbezogen werden. Ihre Kapazitäten müssen ausgebaut werden, wurden aber in der Vergangenheit oft geschwächt, wenn CGIAR-Einrichtungen Fachpersonal abwarben. 

Vom 7. bis 12. April findet in Nairobi die CGIAR Science Week statt. Sie wird die Agenda der nächsten Jahre diskutieren. Das zentrale Thema werden Mittelkürzungen sein, weil mehrere tausend Arbeitsplätze gefährdet sind. Dass nationale Forschungssysteme besser arbeiten können als bisher, ist dennoch die zentrale Aufgabe. 

Der Autor dankt mehreren internationalen Fachleuten, überwiegend aus Afrika, die er für diesen Beitrag interviewt hat. Da einige nicht namentlich genannt werden wollen, hat er entschieden, keine Namen zu nennen, um so sicherzustellen, dass kein Individuum den Zorn einer Geberinstitution auf sich zieht.

Hans Dembowski ist ehemaliger Chefredakteur von E+Z.
euz.editor@dandc.eu 

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