Sommer-Special
Gestohlene Identität
Indien hat viele renommierte Autoren, wie etwa Salman Rushdie, Amitav Ghosh, Jhumpa Lahiri, Chitra Banerjee Divakaruni oder Shashi Tharoor. Sie alle schreiben auf Englisch. Ihre Geschichten spielen meist im Milieu der gebildeten, indischen Mittelschicht.
Prakash dagegen schreibt auf Hindi und interessiert sich für das soziale Umfeld, in dem arme Menschen gefangen gehalten, marginalisiert und ausgebeutet werden. Der Schriftsteller untersucht Machtstrukturen mit tiefen Wurzeln, die sehr vielen Menschen jegliche Lebenschancen verwehren.
Einer seiner bekanntesten Romane, „Mohandas“, erzählt die Geschichte eines jungen Mannes im ländlichen Zentralindien. Mohandas gelingt es, das College zu besuchen und mit exzellenten Noten abzuschließen. Seine Familie, die einer niedrigen Kaste angehört, glaubt, dass er nun Arbeit finden und dem Elend, in dem sie selbst leben, entkommen wird. Doch das erweist sich als Illusion.
Mohandas bewirbt sich, er wird zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, aber nie eingestellt. Der Manager einer lokalen Bergbaugesellschaft verspricht ihm einen Job, doch die Post mit der Zusage kommt nie an. Nicht einmal seine Unterlagen und Dokumente erhält er zurück.
Mohandas' Hoffnung auf einen guten Job schwindet. Doch er hat eine Frau, zwei kleine Kinder, eine blinde Mutter und einen kranken Vater. Immer wieder wird er im Büro des Bergbaumanagements vorstellig und insistiert auf einer Chance. Schließlich findet er heraus, dass jemand seinen Namen angenommen und seinen Job bekommen hat. Mehrmals konfrontiert er den Betrüger. Doch dieser gehört einer höheren Kaste an und hat gute Beziehungen. Dem Protagonisten des Romans wird am Ende mehr als eine Karriere verwehrt, für die seine akademische Ausbildung ihn qualifiziert. Mohandas wird seine Identität gestohlen.
Der Autor Prakash lebt in Delhi und hat einen Wohnsitz in dem zentralindischen Dorf, aus dem er stammt. Seine Texte zeigen, dass er mit der Region vertraut ist, über die er schreibt. Prakash reiste zum ersten Mal nach Europa, nachdem er bereits viele Geschichten verfasst hatte. Dennoch hat westliche Literatur ihn beeinflusst. Er selbst nennt Bertolt Brecht einen seiner liebsten Autoren.
Prakashs Roman wurde auf Hindi verfilmt. Die Uraufführung war 2009, und auch als Film bekam „Mohandas“ hervorragende Kritiken. Laut dem Magazin Outlook zeigt er „Machtmissbrauch und die unverhohlene Manipulation durch schwache Behörden und die Justiz“. Der Film stellt dar, „wie die, die am Rand der Gesellschaft leben, immer weiter marginalisiert werden, auf physischer und metaphysischer Ebene“.
2010 gewann Prakash für die Romanvorlage den Sahitya Akademi Award. Der Preis wurde 1965 eingeführt, um in den Landessprachen verfasste indische Literatur auszuzeichnen. Den Preis behielt Prakash allerdings nicht. Er gab ihn zurück, weil die Sahitya Akademie nicht reagierte, als der Preisträger von 2006, M. M. Kalburgi, 2015 ermordet wurde. Laut Prakash unternähme diese Institution nichts, um die Autoren zu schützen, die sie selbst ausgezeichnet hat.
Prakash, der auf Hindi schreibt, fühlt sich zunehmend unwohl in seinem Land. Er stellt sich gegen den populistischen Hindu-Chauvinismus von Premierminister Narendra Modi. Für kritische Intellektuelle wie ihn wird das Klima in Indien zunehmend frostig. Es ist zutiefst deprimierend, dass Prakash heute sagt, ihm bereite sogar die Sprache Hindi mittlerweile Unbehagen. Es sei eine brahmanische Sprache und diene von jeher den Interessen der hohen Kasten.
Link
http://www.musicandliterature.org/features/2015/3/26/a-conversation-with-uday-prakash
Buch
Uday Prakash, 2013: Mohandas. Heidelberg: Draupadi.
(Englisch: Uday Prakash, 2012: The walls of Delhi (inkl. Mohandas). Perth: University of Western Australia Press.)