Berufsbildung
Berufsbildung für Klimaflüchtlinge
Auf den Sundarbans, die zu Indien und Bangladesch gehören, wächst der größte Mangrovenwald der Welt. Die Inseln bilden den Südrand des gewaltigen Deltas der Flüsse Ganges, Brahmaputra und Meghna. Auf der indischen Seite der Grenze sind 54 Inseln bevölkert, und 50 stehen unter Naturschutz. Touristen kommen her, um den Wald zu erleben und – mit etwas Glück – einen Tiger zu sehen. Es handelt sich um ein UNESCO-Weltnaturerbe.
Der Klimawandel verändert das Delta allerdings. Erosion, Zyklone, Sturmfluten, das Bersten der Uferbefestigung, Versalzung und andere Schäden drohen mehr als der Hälfte der indischen Sundarban-Dörfer. Die hiesige Sektion des World Wide Fund for Nature (WWF-India) schätzt, mindestens 1,2 Millionen Menschen müssten umgesiedelt werden, um Katastrophen vorzubeugen.
Die indische Regierung hat einen National Action Plan on Climate Change beschlossen, der auf Energieeffizienz, erneuerbare Energiequellen, nachhaltige Landwirtschaft und dergleichen abzielt. Die Landesregierung von Westbengalen hat ihrerseits einen Aktionsplan verabschiedet. Leider kommt Migration in keinem der beiden Pläne vor. Es mangelt an Verständnis dafür, dass Menschen systematisch umgesiedelt und auf ein neues Leben vorbereitet werden müssen. Den Begriff „Klimaflüchtling“ gibt es offiziell bislang nicht einmal bei den UN.
Fest steht aber, dass mehr als eine Million Menschen – vor allem Bauern und Fischer – die indischen Deltainseln bis 2050 werden verlassen müssen. Vielen Männern wird keine andere Wahl bleiben, als ihre Familien zu verlassen und als ungelernte Arbeiter an fernen Orten Geld zu verdienen.
Wir haben in vier Dörfern Daten erhoben (Ghosh, 2015). Mehr als die Hälfte der gesunden, arbeitsfähigen Männer ist bereits in elf andere indische Bundesstaaten abgewandert. Die meisten arbeiten als Hilfskräfte auf Baustellen. Es wäre klug, sie als Maurer, Elektriker, Klempner et cetera auszubilden. Sie könnten dann mehr Geld verdienen – und angesichts des Baubooms in Indien würden sie auch dringend gebraucht. Erfahrene Arbeiter könnten sie unterweisen. Solche Maßnahmen würden nicht viel kosten. Frauen könnten derweil dafür ausgebildet werden, in der Textilindustrie und anderen Branchen, die viele weibliche Beschäftigte haben, zu arbeiten.
Die indische Regierung geht zu Recht davon aus, dass jedes Jahr 20 000 Menschen in der Nutzung erneuerbarer Energiequellen ausgebildet werden müssen. Bizarrerweise hat sie aber bislang nichts für die berufliche Qualifizierung der Bevölkerung des bedrohten Gangesdeltas angekündigt. Auch die Landesregierung handelt diesbezüglich nicht.
Die betroffenen Dörfer leiden unter einem Phänomen, zu dem sie so gut wie nichts beigetragen haben. Die Infrastruktur der Sundarbans ist schwach und ihr CO2-Ausstoß geringfügig. Andererseits trägt die Inselbevölkerung zum Klimaschutz bei, weil sie die Mangroven erhält und sogar neue Bäume pflanzt. Die Menschen verdienen es, so unterstützt zu werden, dass sie mit dem Klimawandel zurechtkommen.
Wenn staatliche Akteure sie im Stich lassen, kann vielleicht die Privatwirtschaft weiterhelfen. Indien hat Großunternehmen verpflichtet, zwei Prozent des Nettogewinns in Corporate-Social-Responsibility-Maßnahmen zu investieren. Berufsbildung für Klimaflüchtlinge wäre eine stimmige Aufgabe.
A.K. Ghosh leitet das Center for Environment & Development (CED) in Kalkutta. Das CED beteiligt sich an der Collaborative Adaptation Research Initiative in Africa and Asia (CARIAA), die von der britischen und der kanadischen Regierung gefördert wird. In diesem Kommentar äußert der Autor seine persönliche Meinung.
cedkolkata@yahoo.com
Links
Ghosh, A. K., 2015: Climate change, human migration and human rights with a focus on Indian Sundarbans Delta. Journal of West Bengal Human Rights Commission, 1: 115-122.
WWF-India, 2011: Indian Sundarbans Delta: a vision.
http://www.wwfindia.org/?6362/indian-sundarbans-delta--a-vision