Sustainable Development Goals
Die ganz große Wende
„Veränderung setzt ein neues Denken voraus“, sagt Su Kahumbu Stephanou. Die kenianische Öko-Landwirtin und Unternehmerin hat den Informationsdienst iCow entwickelt, um Kleinbauern weiterzubilden und ihnen dabei zu helfen, ihre Produktionsmethoden zu verbessern und Erträge zu steigern. Der Service ist über Internet und Mobiltelefon zugänglich, einfach zu bedienen und kostet wenig. iCow erreicht überwiegend junge Bauern, und ein Drittel der Nutzer sind Frauen.
Kahumbu Stephanou hält Landwirtschaft für einen zentrales Thema der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs), die die UN in diesem Jahr verabschieden wollen, und die junge Generation für die treibende Kraft des Wandels. „Wir müssen die Jugend landwirtschaftlich ausbilden“, folgert die Kenianerin.
iCow ist ein positives Beispiel, durch das innerhalb kurzer Zeit eine Veränderung in einem Land, in einem Sektor erreicht wurde. Eine globale Wende wird dagegen viel Zeit in Anspruch nehmen – Zeit, die wir angesichts von Klimawandel, zunehmendem Landverbrauch, Ressourcenknappheit etc. nicht haben. „Wir haben die Grenzen des Planeten bereits erreicht“, warnt Kahumbu Stephanou.
Auch Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, hält den Zeitfaktor für wichtig. Er weist aber auch darauf hin, dass Nachhaltigkeitsziele keine neue Erfindung sind: „Wir haben vor 40 Jahren begonnen, über diese Dinge nachzudenken.“ Die SDGs seien das Resultat eines jahrzehntelangen Prozesses.
Es ist unstrittig, dass Entwicklungsländer einen umfassenden Wandel nur mit Unterstützung der Industrieländer schaffen können. Dazu braucht es den entsprechenden politischen Willen. Tanja Gönner, Vorstandssprecherin der GIZ, nimmt diesen Willen in der internationalen Gemeinschaft wahr. Nach mehreren gescheiterten Verhandlungen, etwa zum Thema Klima, gebe es nun „den starken Wunsch, zu einer Einigung zu kommen“, sagte sie auf der Bonn Conference for Global Transformation 2015, die die GIZ gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen ausrichtete.
Entwicklungshilfe ist keine Lösung
Die Podiumsgäste schreckten nicht vor großen Worten zurück. Sie waren sich darüber einig, dass die gesamte Welt sich ändern muss – und zwar schnell, umfassend und in allen Lebensbereichen –, wenn die Menschheit weiterhin auf der Erde, wie wir sie kennen, leben will. Scheitern ist keine Option: „Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie“, betont Jeffrey Sachs, Sonderberater von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon für die Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals – MDGs), die jetzt von den SDGs abgelöst werden.
Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA) bietet jedoch keine Lösung für die Probleme der Welt. Selbst wenn sie verdoppelt oder verdreifacht würde, wäre sie bei weitem nicht ausreichend. Laut Friedrich Kitschelt, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), würden die versprochenen 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens aller Geberländer nur fünf Prozent der Mittel ausmachen, die für die Umsetzung der SDGs nötig sind.
Seiner Meinung nach kommt es vor allem auf private Investitionen an – und auf das Verhalten der Verbraucher. Jedes Jahr ein neues Smartphone zu kaufen und die Jeans beim Discounter für € 9,90 – „Das ist die Entwicklung, die wir nicht wollen“, so Kitschelt.
Alejandro Litovsky fordert einen Paradigmenwechsel in der Handelspolitik. Der Argentinier berät Unternehmen und Regierungen in Nachhaltigkeitsfragen. Als Beispiel nennt er fair gehandelte Produkte, die derzeit weltweit einen sehr geringen Marktanteil haben. Um diesen signifikant zu erhöhen, müssten die Richtlinien des fairen Handels verpflichtend gemacht werden. Bei reiner Selbstverpflichtung machten nur wenige Unternehmen mit. Litovsky hält es außerdem für nötig, die Richtlinien in Gesetzen und Importbestimmungen festzuschreiben.
Großmütter als Ingenieure
Wandel beginnt oft mit kleinen Initiativen. Sind sie erfolgreich, wachsen sie, erreichen mehr Menschen und größere Teile der Welt. Das Barefoot College geht auf einen einzelnen Inder zurück, Sanjit „Bunker“ Roy, der die Armut auf dem Land lindern wollte. In seiner Bildungseinrichtung werden Frauen aus den ärmsten Schichten, die nicht lesen und schreiben können, in Solartechnik ausgebildet. Diese Frauen, die meisten von ihnen Großmütter, elektrifizieren schließlich ihre Dörfer.
„Keine formale Bildung zu haben ist kein Hindernis“, glaubt Roy. Anstatt darauf zu warten, dass Schulbildung bis ins letzte Dorf der Erde vordringt, geht er die Probleme der Armen auf eine Weise an, die diese verstehen. Dabei helfen Bilder und Grafiken. Inzwischen durchlaufen alle sechs Monate 40 Frauen aus Entwicklungsländern die Ausbildung. Sechs Barefoot-College-Ableger sind in Afrika entstanden, und weitere sind in Planung. Möglich wurde die Expansion durch eine Finanzierung des indischen Staates. „Man kann Politik leicht ändern, indem man vormacht, was möglich ist“, ist Roys Erfahrung.
In zwei Jahren soll die nächste Konferenz für globale Transformation stattfinden. Die großen Konferenzen dieses Jahres, die von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung sind, liegen dann hinter uns: der Gipfel zur Entwicklungsfinanzierung im Juli in Addis Abeba, der Gipfel zur Verabschiedung der SDGs im September in New York und die Klimakonferenz im Dezember in Paris. Darüber, ob sie tatsächlich den notwendigen Paradigmenwechsel bringen und die globale Wende einleiten werden, kann 2017 in Bonn diskutiert werden.
Katja Dombrowski
Link:
Bonn Conference for Global Transformation:
https://www.bonn-conference.net/