Medienentwicklung
Meinungsfreiheit fördert Demokratie
Obwohl Sommerferien sind, herrscht an der Mädchenschule in Jaba im Westjordanland Hochbetrieb: Im Sommercamp Media Literacy geht es um die Fähigkeit, Informationen aus Medien zu gewinnen, sie zu verstehen und einzuordnen sowie selbst Medien zu gestalten; das können Radiosendungen, Videobeiträge oder auch Wandzeitungen sein. In einem großen Klassenraum sitzen 30 Schülerinnen zwischen 13 und 16 Jahren in einem Kreis. Trainerin Samya Salah Aldin teilt die Mädchen in Gruppen ein. Sie arbeitet für Pyalara, eine palästinensische Nichtregierungsorganisation (NGO). Pyalara wird von der DW Akademie, der Organisation für internationale Medienentwicklung der Deutschen Welle, unterstützt. Die NGO bildet auch Lehrer oder Journalistikstudenten zu Media-Literacy-Trainern fort.
Jede Gruppe an der Mädchenschule bereitet sich auf ein Interview vor. Im Rollenspiel üben die Jugendlichen, Fragen zu formulieren und Informationen zu einem selbstgewählten Thema zu sammeln – zum Beispiel zu Kinderarbeit oder dem maroden Zustand der Schule. Das Ergebnis wird in einer Wandzeitung präsentiert. „Die Wandzeitungen ermöglichen es den Schülern, das auszusprechen, was sie beschäftigt, und kleine Veränderungen in Gang zu setzen”, sagt Helmi Abu Arwan von Pyalara.
Während Medienentwicklung sich vor einigen Jahren vor allem auf Trainings für professionelle Journalisten konzentrierte, ist das Betätigungsfeld mittlerweile deutlich differenzierter geworden. Es gibt neue thematische Angebote wie Media Literacy und neue Arbeitsfelder wie digitale Plattformen und innovative Medienformate für Mobiltelefone. Auch Fragen rund um Informationsfreiheitsgesetze oder Geschäftsmodelle von Medien haben an Bedeutung gewonnen. Die klassische Fort- und Weiterbildung (Capacity Building) ist nur noch ein Teil der methodischen Möglichkeiten.
Medienentwickler wie die DW Akademie beraten ihre Partner ganzheitlich. Sie unterstützen zivilgesellschaftliche Organisationen für ihren Dialog mit politischen Entscheidungsträgern und sie kooperieren mit Regierungen und Behörden im Gesetzgebungsprozess. In regionalen und globalen Netzwerken tauschen sie sich über neue Ideen aus.
Veränderte Medienprojekte
„Das Arbeitsfeld ist konzeptionell weiterentwickelt worden“, sagt Petra Berner, die die Hauptabteilung Strategie und Beratung bei der DW Akademie leitet. „Die Projekte sind langfristiger angelegt, sie sind wirkungsorientierter und strategischer ausgerichtet auf eine strukturelle Verbesserung in der Medienlandschaft.“ Auch habe sich die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Medienentwicklern, die in Entwicklungsländern tätig sind, deutlich verbessert. Organisationen wie die britische BBC Media Action, die Fondation Hirondelle aus der Schweiz, Free Press Unlimited aus den Niederlanden oder International Media Support aus Dänemark koordinieren ihre Arbeit miteinander. So könne mehr Kohärenz erreicht werden, erklärt Berner.
Im Mittelpunkt der entwicklungspolitischen Maßnahmen stehen immer häufiger die Menschen, die Medien nutzen. Das heißt: Projekte haben das Publikum als Ziel, nicht mehr nur die Redaktionen. In Bolivien zum Beispiel hat die NGO Fundación UNIR seit 2006 immer wieder Bürger befragt, was sie von der Berichterstattung der Medien halten. Unterstützung erhielt sie dafür von einer Reihe europäischer Geberorganisationen.
In der bolivianischen Hauptstadt La Paz, aber auch in Provinzzentren und auf dem Land konnten Menschen an öffentlichen Orten wie Marktplätzen oder Busbahnhöfen Fragebögen ausfüllen. Das Motto dabei: „Tu palabra sobre las noticias“, „Deine Meinung zur Berichterstattung“. Die daraus entstehenden öffentlichen Debatten schätzen Medienmacher und Nutzer gleichermaßen: Die Bevölkerung nimmt die Möglichkeit, den Medien die Meinung zu sagen, gerne wahr; Medienschaffende profitierten von genaueren Aussagen zum Informationsbedarf des Publikums und zeigen sich dankbar für das Feedback.
Die Projekte zur Verbesserung des Mediensystems stehen immer in einem größeren politischen Zusammenhang. „Ohne Zweifel sind Medienentwicklung und die Entwicklung Boliviens eng miteinander verknüpft”, meint Erick Torrico, Koordinator der bolivianischen Nutzerbefragung. „Medienentwicklung trägt entscheidend zur gesellschaftlichen Teilhabe, zu Bildung und zu Austausch bei.“
Freier Zugang zu Informationen
Freie Meinungsäußerung und Zugang zu Informationen sind international verbriefte Menschenrechte und sie sind auch entscheidend für den Erfolg fast aller anderen Entwicklungsziele. „Gesundheit, sauberes Wasser, sanitäre Einrichtungen, die Bekämpfung von Krankheiten oder Nahrungsmittelsicherheit können nicht erreicht werden, ohne Informationen zu vermitteln“, betont Mary Myers, die als freie Beraterin auf Medien in Afrika spezialisiert ist. „Auch beim Zugang zu Dienstleistungen, zu Bürgersprechstunden oder zu Impfprogrammen ist Information das Schlüsselelement.“ Für die politische Entwicklung eines Landes sind freie Medien laut Myers ebenfalls entscheidend. Ohne kritische Fragen der Journalisten bekomme man keine bessere Regierung.
Im Hinblick auf eine Post-2015-Agenda bildete sich eine Koalition aus über 200 Organisationen, die sich dafür einsetzen, dass Meinungs- und Medienfreiheit darin einbezogen werden. Anfang Dezember fasste UN-Generalsekretär Ban Ki-moon den bisherigen Konsultationsprozess der Mitgliedsstaaten zu den neuen Sustainable Development Goals (SDGs) in einem Bericht zusammen. Dort heißt es: Pressefreiheit und Zugang zu Information, freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit ermöglichen nachhaltige Entwicklung. Das Thema liegt weiter auf dem Verhandlungstisch und könnte es in die neue Entwicklungsagenda schaffen. Doch es gibt erheblichen Widerstand dagegen, ein entsprechendes Ziel zu formulieren – vor allem von autokratischen Staaten.
Für Mark Nelson, Vorsitzender des US-amerikanischen Center for Media Assistance (CIMA), ist das keine Überraschung. Diejenigen, die einen Bezug zu Meinungs- und Pressefreiheit in den SDGs verhindern wollten, verstünden die Bedeutung von Medien nur zu gut: „Medien können sehr mächtig sein, wenn es darum geht, Rechenschaft einzufordern und Menschen dabei zu helfen, bessere Dienstleistungen zu verlangen – und wenn nötig auch einen Machtwechsel.“ Nelson betont, Medien seien wichtig, um ein Umfeld zu schaffen, in dem Fehler korrigiert werden können, Ideen geteilt werden und Menschen lernen. Medienentwicklung trage dadurch zum wirtschaftlichen Erfolg von Staaten bei. Auch wenn China und andere Staaten diesen Erfolg bislang ohne freie Medien erreicht hätten, ist er sich sicher, „dass es für diese Staaten schwierig wird, auf dem eingeschlagenen Wachstumspfad zu bleiben, wenn weiterhin kein Zugang zu Informationen gewährt wird und es keine unabhängigen Medien gibt, die über das berichten können, was im Land passiert.”
Maßnahmen bündeln
Alexander Görsdorf, Fachreferent im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), sieht Medienfreiheit als Teil eines umfassenden Konzepts von guter Regierungsführung und gesellschaftlicher Teilhabe. Staaten hätten die Pflicht, einen unabhängigen und vielfältigen Mediensektor zu fördern sowie Zugang zu Informationen für ihre Bürger zu gewährleisten. Das BMZ will Maßnahmen stärker bündeln und hat dafür 2014 den Haushaltstitel „Förderung von Medien, Zugang zu Information und Meinungsfreiheit in Kooperationsländern“ geschaffen. „Damit ist es möglich, mehrjährige Programme zu fördern, was ihre Nachhaltigkeit verstärkt“, so Görsdorf.
Wie andere Geber auch, fördert das BMZ nicht nur professionelle Medienunternehmen, sondern auch Projekte von NGOs oder Bildungseinrichtungen. Das BMZ unterstützt zudem staatliche Partner, auch wenn das Thema Medien oft politische Interessen berührt und als sensibles Feld gilt – insbesondere in den Ländern, wo es große Defizite bei Meinungs- und Medienfreiheit gibt.
Für eine ganzheitliche Förderung von Meinungsfreiheit und Zugang zu Information haben BMZ und DW Akademie gemeinsam ein Strategiemodell entwickelt. Vier Themen sind demnach in der Medienentwicklung zentral:
- Politische und rechtliche Rahmenbedingungen, Professionalität und wirtschaftliche Nachhaltigkeit des Mediensektors,
- Qualifizierung sowie
- gesellschaftliche Teilhabe – also die Fähigkeit der Menschen, sich direkt Gehör zu verschaffen und ihre Mitspracherechte wahrzunehmen, zum Beispiel in sozialen Netzwerken, durch Bürgermedien oder in zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Petra Berner von der DW Akademie findet es bei der Medienentwicklung entscheidend, ganzheitliche Ansätze zu schaffen. Dabei gehe es vor allem darum, die Partner vor Ort in die Projekte einzubeziehen. Die Erfahrungen, das Wissen und die Anliegen in den Entwicklungsländern müssten systematischer berücksichtigt werden. Außerdem komme es auf methodische Vielfalt an. Für Alexander Görsdorf vom BMZ hat Medienentwicklung auch die Aufgabe, gezielt benachteiligte Personengruppen zu stärken: „Deswegen legt das deutsche Entwicklungsministerium einen Schwerpunkt auf Gruppen wie Frauen und Mädchen in ländlichen Regionen, Jugendliche in städtischen Randgebieten oder ethnische Minderheiten.“
Neue digitale Medien
Entwicklungspolitische Akteure im Bereich Meinungsfreiheit und Medien beschäftigen sich derzeit nicht nur mit neuen Strategien, sondern auch mit einer sich verändernden Medienwelt – dem digitalen Wandel. Computer, Smartphones und Internet sind Kern der Entwicklung junger Wissensgesellschaften in Afrika und Asien. So existiert beispielsweise in der kenianischen Hauptstadt Nairobi eine lebendige Entwicklerszene. Das Land konnte auch wegen seiner vorteilhaften geographischen Lage früher als andere afrikanische Staaten Zugang zu wichtigen Unterseekabeln bekommen und verfasste bereits 2006 eine erste IT-Strategie. Heute ist die Bevölkerung Kenias führend in der Nutzung von Handy-Bezahldiensten wie etwa M-Pesa.
„Digitale Technologie eröffnet uns Möglichkeiten in allen Bereichen“, sagt Eric Chinje. Er leitet die Organisation African Media Initiative in Nairobi, die sich für eine Qualitätsverbesserung afrikanischer Medien einsetzt. Chinje will vor allem die verschiedenen Akteure vernetzen. Dafür organisiert er Konferenzen, bei denen Medienschaffende und Vertreter regionaler Medienverbände, von Universitäten, Stiftungen, öffentlichen Einrichtungen und Entwicklungsorganisationen zusammenkommen, um über Medienentwicklung zu diskutieren. Seiner Meinung nach sind Medien die Grundlage von gesellschaftlichen Debatten: „Jede Entscheidung muss auf Grundlage von verlässlichen Informationen getroffen werden. Medien tragen zum Empowerment der Bürger bei und verbessern die Qualität gesellschaftlicher Entscheidungen – etwa darüber, ob eine Straße oder eine Schule gebaut wird.” Digitale Medien erleichtern es zivilgesellschaftlichen Gruppen, sich zu organisieren und zu artikulieren. Die Vielfalt an interaktiven audiovisuellen Formaten ermöglicht es, auch Menschen zu erreichen, die kaum lesen und schreiben können. Über SMS-Informationsdienste können Kleinbauern in ländlichen Gebieten Preise frühzeitig erfahren und dadurch Marktchancen besser abschätzen, bedrohte Journalisten können Notrufe an Hilfseinrichtungen senden. Digitalisierung im Journalismus erfordert aber auch eine Anpassung von Ausbildungskonzepten. Neue Curricula werden sowohl für praxisorientierte, berufsbezogene Ausbildung als auch für den akademischen Bereich benötigt.
Petra Berner von der DW Akademie nennt noch einen entscheidenden Punkt für die Entwicklung nachhaltiger Medienangebote: Sie müssen finanziell tragfähig werden und möglichst unabhängige Produkte anbieten. Dafür sind innovative Geschäfts- und Finanzierungsmodelle vonnöten. Beim Sommercamp für Media Literacy in Jaba hat die 14-jährige Schülerin Alaa Ahmad gelernt, kritische Fragen zu stellen. Ihr ist der gekonnte Umgang mit Medien wichtig: „Ich bin selbstbewusster geworden. Wenn alle an der Schule lesen und hören, was ich schreibe und sage – das gibt mir Mut.“
Alexander Matschke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der DW Akademie und freier Journalist. alexander.matschke@dw.de