Nato
Afghanischer Teufelskreis
[ Von Janet Kursawe ]
Die jüngste Rekordernte von 6100 Tonnen Opium hat wieder Rufe nach einer hart durchgreifenden Drogenpolitik in Afghanistan laut werden lassen. Tatsächlich wuchsen die Ernteerträge im vergangenen Jahr um fast 50 Prozent im Vergleich zu 2005. Afghanische Felder trugen 92 Prozent zur globalen Opiatherstellung bei, die mit etwa 6.700 Tonnen ebenfalls einen neuen Rekordwert erreichte.
In diesen unerfreulichen Zahlen verbirgt sich indessen auch ein erfreulicher Trend. Das mit dem Anbau von Schlafmohn pro Hektar erzielbare Bruttoeinkommen ist deutlich gesunken. Es übertraf in Afghanistan 2003 im Schnitt noch 27fach die Erträge des Weizenanbaus. 2006 betrug die Relation nur noch neun zu eins. Opium ist im Vergleich zu anderen Pflanzen noch immer ökonomisch attraktiv, aber nicht mehr in demselben Ausmaß. Die hohe Produktion hat – wie im marktwirtschaftlichen Spiel von Angebot und Nachfrage zu erwarten – die Preise fallen lassen (United Nations Office on Drugs and Crime und Government of Afghanistan, 2006). Vermutlich wurden erhebliche Opiatmengen eingelagert, um weiterem Preisverfall vorzubeugen.
Die Drogenökonomie wurde im kriegsgeprägten vergangenen Vierteljahrhundert zum stärksten Wirtschaftszweig Afghanistans. Sie keimte auf, als Mujahedin ihre Waffen für den Kampf gegen sowjetische Truppen mit dem Opiumhandel finanzierten. Die Methode wurde vom Westen toleriert, zumal sich die Rote Armee – obwohl technisch hoch überlegen – den Milizen nicht auf Dauer gewachsen erwies.
Der Anteil der Drogenwirtschaft am tatsächlichen Bruttoinlandsprodukt Afghanistans betrug 2006 46 Prozent. Laut offizieller Statistik wurde auf 165 000 Hektar Schlafmohn angebaut, was fast vier Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche entspricht. An die 450 000 Familien lebten vom Schlafmohnanbau, der obendrein saisonale Jobs für Tausende von Wanderarbeitern bot. Die Gesamtzahl der an der Produktion beteiligten Menschen wird auf etwa 3 Millionen geschätzt – fast 13 Prozent der afghanischen Bevölkerung.
Die Motive der Schlafmohnbauern überraschen wenig. Laut UNODC-Daten betonen 41 Prozent den hohen Verkaufswert. Aber auch Schulden sowie die Bildung von Rücklagen für Krankheitsfälle oder die Finanzierung von Hochzeiten wurden genannt. 8,6 Prozent nutzen ihre Opiumernte auch für den Eigenbedarf. Den viel beschworenen Zusammenhang zwischen Kreditangeboten und Schlafmohnanbau bestätigte die UNODC-Untersuchung indessen nicht: Nur acht Prozent nannten dieses Motiv. Das mag daran liegen, dass der Zugang zu Darlehen schwieriger geworden ist, weil Kreditgeber inzwischen das Risiko der Erntevernichtung im Blick haben (Mansfield, 2006).
In der Tat hat die Feldervernichtung in den letzten zwei Jahren signifikant zugenommen. 2006 ging es um 15 300 Hektar – im Vergleich zum Vorjahr ein Zuwachs um 210 Prozent. Die Vernichtungsaktionen wurden vor allem von Teams der Provinzgouverneure, der afghanischen Vernichtungseinheit (Afghan Eradication Force) und der nationalen Polizei durchgeführt. Sie gehen mit Stöcken und einfachem Werkzeug gegen die Schlafmohnpflanzen vor, manchmal setzen sie auch Traktoren ein. Diese Maßnahmen sind leicht und schnell, ihre Wirkung lässt sich oberflächlich als Erfolg werten.
Verbrannte Erde
Nach der jüngsten Rekordernte taten sich besonders die Regierungen der USA und Britanniens mit Rufen nach weiteren Vernichtungsprogrammen hervor. Beide treten dafür ein, Opiumfelder großflächig aus der Luft mit Chemikalien zu besprühen, um in diesem Jahr die Ernteerträge signifikant zu dezimieren. Afghanistans Präsident Hamid Karsai hat sich jedoch wiederholt gegen diese Methode ausgesprochen, die afghanischen Behörden sollen weiterhin mit konventionellen Mitteln Opiumpflanzen vernichten. Karsais Haltung ist auch damit zu erklären, dass viele Bauern Schlafmohn in konzentrischen Kreisen zusammen mit anderen Kulturen anpflanzen. Folglich würde der Giftangriff aus der Luft ihre gesamte Ernte vernichten und ein humanitäres Desaster auslösen.
Der Schlafmohnanbau ist in Afghanistan illegal, Karsai hat 2004 Drogen sogar den Heiligen Krieg erklärt. Dennoch wächst der Geberdruck auf seine Regierung weiter. Erwartet wird, dass den Worten Taten folgen und dass staatliche Repression das Drogenproblem schnell eindämmt. Dieser Druck hat aber nicht geholfen, die Probleme zu lösen. Im Gegenteil, er hat sie verschärft.
Vernichtungsaktionen haben die Lebensgrundlage zahlreicher Bauern zerstört. In der Folge wurde die Sicherheitslage in Afghanistan noch prekärer, denn viele Landwirte suchten Schutz bei lokal mächtigen Milizenkommandanten. Letztere erfreuen sich regen Zulaufs. Zudem hat sich das Schmuggelnetzwerk inzwischen professionalisiert. Da Drogenhandel international als kriminelle Aktivität verfolgt wird, haben darin verwickelte politische Funktionsträger begonnen, sorgfältig verdeckt zu agieren. Aus lose organisierten Zellen wurde eine streng hierarchisch und professionell betriebene Mafia. Ihr Netzwerk operiert im Untergrund und unterläuft neu geschaffene rechtstaatliche Institutionen.
Gebergemeinschaft und Nato-Verantwortliche neigen dazu, nicht zwischen Taliban, Drogenhandel und -anbau zu unterscheiden. Alle drei gelten als schädliche miteinander verbundene Elemente, die mit denselben Mitteln zu eliminieren sind. In Wirklichkeit lässt sich aber in den Provinzen für die vergangenen zwei Jahre statistisch kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Schlafmohnanbau und Einfluss der Taliban samt ihrer Verbündeten feststellen. Auch in Gebieten ohne TalibanEinfluss blüht die Opiumwirtschaft.
An der Spitze der afghanischen Drogenmafia stehen zwei Gruppen. Einerseits gibt es einflussreiche und wohlhabende Großhändler, von denen es Schätzungen der UN zufolge landesweit etwa 200 bis 250 gibt. Über ihnen steht die zweite Gruppe der Haupthändler. Zu ihnen werden etwa 25 bis 30 sehr einflussreiche Personen gezählt, die dank verwandtschaftlicher Beziehungen und Schutzgeldzahlungen hervorragende Kontakte zu den allerhöchsten politischen Schaltstellen besitzen und ungestört kriminellen Aktivitäten nachgehen können (Siehe E+Z/D+C vom Januar, S. 4).
An dieser Verflechtung der Drogenmafia mit der Politik liegt es denn auch, dass Vernichtungsmaßnahmen nicht effizient greifen. Häufig treffen staatliche Kampagnen nur die Felder der Bauern, die nicht genug Geld haben, um sich frei zu kaufen, oder die schlicht keinen Zugang zu den Patronage-Netzwerken haben. In der Praxis ist die Feldervernichtung in hohem Maße willkürlich. Sie verschärft Gegensätze zwischen Arm und Reich und damit verbundene Konflikte.
Erntevernichtung allein hat nirgends in der Welt zum Erfolg im Kampf gegen Drogen geführt. Für Afghanistan, wo bislang kein statistischer Zusammenhang zwischen Vernichtungsaktionen und sinkenden Opiumerträgen zu erkennen ist, gilt das auch. Selbst auf individueller Ebene sind die Resultate widersprüchlich. Manche Bauern, deren Äcker verwüstet wurden, reduzierten anschließend den Schlafmohnanbau, während andere ihn ausweiteten, um Ernteausfälle auszugleichen (Mansfield und Pain, 2006).
Vernichtungsmaßnahmen ermöglichen keinen langfristigen Erfolg. Gegen Pestizideinsätze vom Himmel spricht zudem die Logik des Opiumschwarzmarkts, denn diese Strategie wird regelmäßig dann favorisiert, wenn die Ernteerträge besonders hoch sind. Aber gerade dann ist die Situation für Handel und Produzenten wegen niedriger Preise besonders ungünstig. Das ist die Zeit, in der für die Bauern der Anbau tendenziell unattraktiv wird und die Chancen relativ günstig wären, sie und ihre Saisonarbeiter von alternativen Einkommensmöglichkeiten zu gewinnen.
Erntevernichtung dagegen führt zu einer von der Spitze der Drogenmafia ohnehin gewünschten Marktverknappung. Der Anbau wird automatisch wieder lukrativer – und besonders attraktiv für alle Bauern, die durch die Repression den Ertrag ihrer Arbeit eingebüßt haben und möglicherweise hohe Schulden bedienen müssen. Viele werden sich gezwungen sehen, wieder Schlafmohn anzubauen.
Diese Dynamik war in Afghanistan zuletzt zum Jahreswechsel 2001/2002 zu beobachten. Vor ihrem Sturz waren die Taliban rigoros gegen nahezu alle Schlafmohnfelder vorgegangen und hatten so den Opiumpreis in die Höhe getrieben. Nach ihrem Sturz nahmen hoch verschuldete Bauern aber sofort die Produktion wieder in großem Stil auf (Transnational Institute, 2006).
Wenn Vernichtungsprogramme durchgezogen werden, ohne dass zugleich alternative Einkommensquellen für die Betroffenen erschlossen werden, wird die Drogenökonomie allenfalls kurzfristig geschwächt. In Thailand, wo es heute keine nennenswerte Opiumproduktion mehr gibt, beruhte der Regierungserfolg nicht nur auf Repression, sondern auch auf integrierter ländlicher Entwicklung. Bildung, Gesundheitszentren und Verkehrsinfrastrukturen verbesserten die legalen Lebenschancen der Bauern (Korff und Djedje, 2005).
Nötig sind in Afghanistan vor allem legale Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft, in der 80 Prozent der afghanischen Bevölkerung ihr Haupteinkommen erzielen. Die Industrieproduktion muss aus- und die Infrastruktur aufgebaut werden. Das darf freilich nicht nur in den Hauptanbauprovinzen geschehen, denn dorthin migrieren in der Erntesaison viele Wanderarbeiter aus anderen Regionen, in denen die Drogenwirtschaft auf den ersten Blick kaum eine Rolle spielt. Empirisch steht fest, dass der Schlafmohnanbau in den Distrikten rückläufig ist, in denen die Bevölkerung Zugang zu staatlichen Dienstleistungen hat, einschließlich rechtstaatlicher Institutionen und Sicherheit (Mansfield, 2006). Dieser Zusammenhang ließ sich auch innerhalb einzelner Provinzen nachweisen.
Wirtschaftliche Alternativen
Die Nationale Drogenkontrollstrategie Afghanistans wurde 2003 aufgelegt und Anfang 2006 novelliert. Die Regierung nennt als Priorität die Zerstörung des illegalen Drogenhandels. Sie setzt dabei auch auf das Strafrecht. Das Drogengesetz in der Version von 2005 vertritt einen „zero tolerance“-Ansatz gegenüber jeglichem Besitz illegaler Substanzen und sieht bereits bei Kleinstbesitz mehrmonatige Gefängnisstrafen vor (Ministry of Counter Narcotis, 2006).
Zur Durchsetzung wurden zahlreiche Einheiten und Organisationen geschaffen. Ihre Aufgabenzuweisungen überschneiden sich teilweise, manche staatliche Stellen arbeiten auch in Konkurrenz zueinander. Einige unterstehen dem Innenministerium, andere dem Ministerium für Drogenbekämpfung. Aufbau und Ausbildung dieser Einheiten haben internationale Berater und Militärs übernommen. Die Justiz verfügt über eine Sonderkommission zur Verfolgung von Drogendelikten mit speziellen Teams von Polizisten, Richtern und Staatsanwälten sowie über ein zentrales Drogengericht.
Auf den ersten Blick sieht die Bilanz gut aus. 248 Heroinlaboratorien wurden 2006 ausgehoben. 2005 wurden mehr als 190 Personen vom Drogentribunal zu Gefängnisstrafen verurteilt. Der Haken bei der Sache ist aber: Um Großhändler handelte es sich allenfalls in Einzelfällen. Rechtstaatliche Strukturen zur Durchsetzung der Drogenpolitik werden in Afghanistan weiterhin von Patronagebeziehungen und Korruption durchkreuzt. Die doppelbödige Politik nährt das Misstrauen der afghanischen Bevölkerung in die neu geschaffenen Verwaltungsorgane und die Regierung.
Fazit
Die vergangenen fünf Jahre internationalem Engagements in Afghanistan haben gezeigt, dass die Komplexität des Drogenhandels ein umfassendes und paralleles Vorgehen auf allen betroffenen Ebenen erfordert. Bislang ruhte der Fokus der drogenpolitischen Strategien vor allem auf den Bauern als schwächsten und sichtbarsten Knoten in einem weit verzweigten und verdeckt agierenden Patronagenetzwerk.
Unter den Nato-Entscheidungsträgern dominiert weiterhin die Wahrnehmung, der Schlafmohnanbau sei die Wurzel des Problems. Tatsächlich ist die Lage aber wesentlich komplexer. Rein repressive Mittel der Drogenbekämpfung behindern den Wiederaufbauprozess, untergraben neu geschaffene demokratische Institutionen und verschärfen die Armut. Einfache, klare Empfehlungen lassen sich nicht formulieren, es gibt keine schnellen Patentlösungen. Eine Erfolg versprechende Anti-Drogen-Politik müsste eingebettet werden in einen ganzheitlichen Wiederaufbauprozess, der langfristig die wirtschaftliche Abhängigkeit der Afghanen von der Opiumökonomie reduziert.