Organisiertes Verbrechen
Gemeinsam gegen grenzüberschreitende Kriminalität
Organisiertes Verbrechen gibt es überall auf der Welt. In Lateinamerika ist es allerdings besonders präsent und längst eines der größten Probleme der Region. Deutlich wird das an der grassierenden Gewalt: In Lateinamerika werden ein Drittel der weltweiten Morde begangen, obwohl dort nur neun Prozent der Weltbevölkerung leben.
Bei organisiertem Verbrechen handelt es sich um kriminelle Unternehmen oder Netzwerke, die meist mit Drogen und Waffen handeln oder Menschenhandel betreiben. Sie verfügen über ausgefeilte hierarchische Strukturen und große monetäre Zuflüsse. In Lateinamerika sind diese kriminellen Netzwerke nichts Neues. Aktuell ist aber besonders besorgniserregend, dass sie offensichtlich in der Lage sind, Regierungen zu destabilisieren – wie im ansonsten stabilen Ecuador. Dort eskalierte die Gewalt so stark, dass Präsident Daniel Noboa Anfang Januar 2024 von einem „internen bewaffneten Konflikt“ sprach und den Notstand ausrief.
Zudem expandieren die kriminellen Netzwerke über Landesgrenzen hinweg und wandeln sich zu echten transnationalen Unternehmen. Ein Beispiel ist der Tren de Aragua, die aktuell größte und mächtigste kriminelle Bande Venezuelas, entstanden aus einem Zusammenschluss von Gefängnisinsassen. Sie ist auch in Brasilien, Kolumbien, Ecuador, Peru und Chile aktiv und ist verwickelt in Drogenhandel, Entführungen, Auftragsmorde, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung.
Die größten Kokainproduzenten der Welt
Die Länder Lateinamerikas sind leider allzu präsent im „Global Organized Crime Index 2023“, herausgegeben von der Global Initiative Against Transnational Organized Crime, einer zivilgesellschaftlichen Organisation. Dort nimmt Kolumbien weltweit den zweiten Platz ein, gefolgt von Mexiko (3.), Paraguay (4.), Ecuador (11.), Honduras (13.), Panama (17.) und Brasilien (22.). Ein zentraler Grund dafür ist der Drogenhandel. Kolumbien, Bolivien und Peru sind nach wie vor die größten Kokainproduzenten der Welt, und der chilenische Hafen San Antonio ist laut UN ein bedeutender Umschlagplatz für Kokain in der südlichen Hemisphäre. Ecuador belegt vor allem deshalb Platz vier der unsichersten Staaten Amerikas, weil es sich in nur wenigen Jahren von einem Drogentransitland zu einem Umschlagplatz entwickelt hat. Die Katholische Universität Chile stuft „Unsicherheit, organisierte Kriminalität und Drogenhandel“ aktuell als das größte politische Risiko für Lateinamerika ein, noch vor dem Anstieg der Korruption und der Unzufriedenheit mit der Demokratie.
Die Missstände, die den Nährboden für Gewalt und Kriminalität bilden, existieren seit Langem. Laut der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (ECLAC – Economic Commission for Latin America and the Caribbean) sind das insbesondere: Armut, Ungleichheit und Perspektivlosigkeit; hohe Straflosigkeit und schwache Rechtsstaatlichkeit; Schusswaffenbesitz und Alkoholkonsum sowie die Gewalt, die von kriminellen Gruppen ausgeht. Eines der größten Hindernisse bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens ist zudem die Schwäche der öffentlichen Institutionen.
Eine Aufgabe für den gesamten Kontinent
Um der transnationalen Kriminalität Einhalt zu gebieten, müssen Staaten grenzübergreifend zusammenarbeiten – nicht nur in Lateinamerika. Ein ermutigendes Signal dahingehend sendete im Januar die Gemeinschaft der Andenstaaten, bestehend aus Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Peru: Als Reaktion auf die Ereignisse in Ecuador kündigte sie eine stärkere gemeinsame Kooperation an, die unter anderem Polizei- und Militäroperationen in den Grenzregionen ermöglichen soll. Die Botschaft: Supranationale Probleme erfordern koordinierte Lösungen, die über die nationalen Grenzen hinausgehen.
Im Kampf gegen das organisierte Verbrechen ist allerdings weit mehr nötig als nur ein konsequentes Durchgreifen staatlicher Gewalt. Ebenso wichtig ist es, demokratische Institutionen zu stärken und Präventionsarbeit zu leisten, etwa mit sozialen Angeboten aus der Zivilgesellschaft. Nur gemeinsam können die Staaten und Bürger*innen Lateinamerikas diesen Kampf gewinnen.
Javier A. Cisterna Figueroa ist Journalist und lebt in Concepción, Chile.
cisternafigueroa@gmail.com