Zoonoses
In Indien hängen tödliche Krankheiten mit Abholzung zusammen
Im Mai 2018, zweieinhalb Jahre vor den ersten Anzeichen von Covid-19, traf eine tödliche Krankheit den südindischen Bundesstaat Kerala: 23 Menschen infizierten sich mit viraler Enzephalitis, einer Gehirnentzündung. Nur zwei überlebten.
Die ersten Symptome waren Fieber und Schmerzen in Kopf, Hals und Muskeln. Es folgten Erbrechen, Husten, Desorientierung und Koma. Die Krankheit breitete sich vom ersten Fall – dem 27-jährigen Mohammed Sabith – schnell aus. Auf Verdacht wurde auf das Nipah-Virus getestet, und der Ausbruch ließ sich auf Sabith zurückführen. Die Krankheit war zuvor in Kerala nie aufgetreten. Nach 2018 gab es dort drei weitere Nipah-Ausbrüche, zuletzt im August dieses Jahres. Bis Mitte September waren zwei Menschen daran gestorben.
Nipah ist eine Infektionskrankheit, die von Tieren auf Menschen überspringt. Solche Krankheiten werden als „zoonotisch“ bezeichnet. Auch das Coronavirus fällt in diese Kategorie.
Kyasanur Forest Disease (KFD) ist eine weitere Zoonose, die Teile Südindiens heimsucht. Dieses hämorrhagische Fieber wird durch ein von Zecken übertragenes Virus verursacht und ist nach einer Stadt im Bundesstaat Karnataka benannt, in der es 1957 entdeckt wurde. Seitdem werden jährlich 400 bis 500 Fälle gemeldet, die Sterblichkeitsrate liegt zwischen zwei und 20 Prozent.
Das Nipah-Virus
Der tödliche Nipah-Ausbruch in Kerala 2018 beeinträchtigte die Wirtschaft und das tägliche Leben in der Region nur kurzzeitig. Gesundheitsbehörden und Laborwissenschaftler*innen reagierten schnell, und der Ausbruch blieb unter Kontrolle. Das Ereignis sollte nur ein Vorbote sein für die weitaus schrecklichere Covid-19-Pandemie. Nipah und Covid-19 haben jedoch gemeinsam, dass beide wahrscheinlich von Fledermäusen übertragen werden.
Das Nipah-Virus wurde erstmals in der malaysischen Stadt Kampung Sungai Nipah entdeckt, nach der es benannt wurde. Es infizierte viele Schweine und sprang auf Menschen über, die es an ihre Familien weitergaben. Bei dem anschließenden Ausbruch der Krankheit starb die Hälfte der Infizierten.
In der Folge kam es in Bangladesch zwischen 2001 und 2011 zu mindestens elf Ausbrüchen, bei denen sich fast 200 Menschen infizierten und mehr als 150 starben. Hauptursache für die Krankheit war hier das Trinken von virenverseuchtem rohem Dattelpalmensaft. Auch im indischen Bundesstaat Westbengalen, der an Bangladesch grenzt, hat Nipah bereits mehrere Dutzend Menschenleben gefordert.
Studien aus Malaysia und Bangladesch zeigen, dass das Virus höchstwahrscheinlich von Fledermäusen der Gattung Pteropus, auch als „Flughunde“ bekannt, übertragen wurde. Sie sind das Hauptreservoir für das Nipah-Virus.
Auf den intensiv bewirtschafteten kommerziellen Schweinefarmen in Malaysia standen Obstbäume. Die Fledermäuse fraßen vom Obst und ließen die Reste in die Schweineställe fallen. Schweine, die das mit Fledermausspeichel kontaminierte Obst fraßen, verbreiteten das Nipah-Virus weiter. In Bangladesch war wahrscheinlich der Saft der Dattelpalme bereits mit dem Speichel der Fledermäuse kontaminiert, die den Saft ebenfalls trinken.
Pteropus-Fledermäuse sind in verschiedenen Teilen Südasiens verbreitet. In Indien wurden seropositive Tiere nicht nur in Kerala im Süden gefunden, sondern auch in Bundesstaaten im Norden (Haryana) und Osten (Westbengalen und Assam). Seropositivität bedeutet, dass eine Nipah-Infektion bei der betreffenden Fledermaus irgendwann eine Immunreaktion ausgelöst hat.
Der Nipah-Ausbruch in Kerala begann in einem kleinen Dorf in einem Wald des Distrikts Kozhikode. Die Forschenden wissen bisher nicht, wie sich Sabith, der erste Patient, infiziert hat. In dem Wald leben jedoch mehrere Fledermausarten, darunter Pteropus. Die Wissenschaftler*innen fanden Bissstellen von Fledermäusen an Früchten wie Mango und Guave in dem Gebiet, in dem Sabith oft arbeitete. Nachbarn berichten, Sabith und sein Bruder hätten einen fledermausverseuchten Brunnen gereinigt. Möglich ist auch, dass Sabith ein Nipah-infiziertes Fledermausbaby als Haustier gehalten hat. Den Forschenden zufolge wurden spätere Ausbrüche in Kerala auch durch Übertragungen des Virus von Fledermäusen auf Menschen verursacht.
Wälder sind wichtig
Entwaldung erhöht die Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse. Kerala hat eine Fläche von fast 39 000 Quadratkilometern. 1973 waren mehr als 70 Prozent davon mit natürlichem Wald bedeckt, so die Analyse einer Forschungsgruppe des Indian Institute of Science in Bangalore. Bis 2016 war dieser Anteil auf unter 50 Prozent gesunken. Die Abholzung geht weiter und vertreibt die Flughunde aus ihren natürlichen Lebensräumen. Einheimischen zufolge nehmen die Begegnungen mit Fledermäusen zu.
Pragya Yadav vom Nationalen Institut für Virologie meint, dass Fledermäuse das Virus wahrscheinlich schon einige Zeit vor dem Ausbruch 2018 in sich trugen und dass es vielleicht sogar einige unerkannte Infektionen beim Menschen gegeben hat. In ihren Augen erhöht die Umweltzerstörung das Risiko: „Jetzt fällen wir Bäume, stören die Ökologie und rücken näher an diese Tiere heran.“ Laut Jayakrishnan Thayyil vom KMCT Medical College in Kozhikode wurden in Kerala Wälder mit großen Bäumen und reicher Artenvielfalt zerstört, und Bauarbeiten werden oft „ohne Rücksicht auf die Umweltauswirkungen“ erledigt.
Im Mai dieses Jahres veröffentlichte die Nachrichtenagentur Reuters eine Analyse von Orten, an denen Viren am ehesten von Tieren auf den Menschen überspringen können. Die Autor*innen fanden nicht nur heraus, dass einige davon in Kerala liegen, sondern auch, dass sie sich schnell in Indien ausbreiten. Dieser Trend sei auch in Westafrika, China und Brasilien zu beobachten.
Reuters berichtete, dass in Kerala mehr als 40 Fledermausarten und 35 Millionen Menschen leben: „Bergwälder und bewaldete Hügel, die den Fledermäusen ein ideales Habitat bieten, wurden nach und nach gerodet, um Platz für Häuser, Landwirtschaft, Unternehmen und Industrie zu schaffen, wobei große Eisenbahn- und Autobahnprojekte noch auf der Agenda stehen.“ Der Bericht zeigte, dass 2018 in 83 Prozent des Bundesstaates die Bedingungen für die Ausbreitung von Zoonosen günstig waren, gegenüber 58 Prozent im Jahr 2002.
Kyasanur Forest Disease
KFD ist in Indien seit fast 60 Jahren bekannt. Infektionen traten wiederholt in fünf Bezirken in Karnataka auf, aber die Krankheit hat sich auch nach Goa und Kerala ausgebreitet. Ursprünglich dachten Forschende, dass Affen eine Schlüsselrolle bei der Übertragung spielen, weshalb die Krankheit manchmal auch als „Affenfieber“ bezeichnet wird. Affen sind tatsächlich häufig Träger der Zecken, die KFD verbreiten, aber das gilt auch für andere kleine Säugetiere und Vögel.
Der erste KFD-Forscher PV Rajagopalan vermutete, dass die ersten Ausbrüche mit dem Bau eines großen Wasserkraftwerks zusammenhingen. Möglicherweise wurden dadurch Wildtiere verdrängt, die Wirte der Zecken waren, sodass die Zecken auf Haustiere übergingen. Werden Menschen von infizierten Zecken gebissen, stecken sie sich mit dem Virus an.
Bethan Purse vom UK Centre for Ecology and Hydrology ist auf Krankheiten spezialisiert, die von Zecken und Insekten übertragen werden. Genau herzuleiten, warum, wie und wo KFD zuerst von Tieren auf den Menschen übergesprungen ist, ist zwar unmöglich. Aber Purse sieht ein Muster: Für Menschen, die in Waldgebieten leben, ist das Infektionsrisiko höher. „In den 1950er-Jahren wurden die Wälder für Straßen und menschliche Siedlungen abgeholzt“, sagt Purse. „Dann kam es zu einer Verlagerung zu Cashew- und Arekanussplantagen und zum Reisanbau, was zu einer Fragmentierung des Waldes führte und die Menschen stärker mit infizierten Zecken in Kontakt brachte.“
Eine aktuelle Forschungsarbeit zeigt, dass das Risiko von KFD-Ausbrüchen mit einem geringen Artenreichtum infolge der Abholzung zusammenhängt. Sie wurde von einer Forschungsgruppe unter der Leitung von Michael G. Walsh von der Sydney University verfasst.
Fortlaufende Veränderungen in der Landnutzung tragen zur weiteren Ausbreitung der Zecken und der Krankheit bei. Seit Jahrzehnten müssen Primärwälder immer wieder der Infrastruktur, der Landwirtschaft, dem Gartenbau und Forstplantagen weichen. Die Plantagen sind zwar wirtschaftlich attraktiv, aber ihnen fehlt die biologische Vielfalt und Widerstandsfähigkeit einer ungestörten Natur.
Andere Zoonosen
Nipah und KFD sind nur zwei von vielen zoonotischen Übersprungsereignissen in Indien. Die Liste der in Indien gemeldeten Zoonosen durch Wildtiere ist lang. Zuletzt zählten dazu:
- die Vogelgrippe, verursacht durch H1N1 in Maharashtra und H5N1 in Assam,
- das Krim-Kongo-Fieber in Gujarat und
- die Hantavirus-Infektionen in Andhra Pradesh und Karnataka.
In Anbetracht des Risikos und infolge von Covid-19 bereitet Indien eine nationale „One Health“-Politik vor. One Health bedeutet, die Verbindung zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und der Umwelt anzuerkennen. Daher ist ein multisektoraler, koordinierter, kooperativer und transdisziplinärer Ansatz nötig.
Gleichzeitig hat die indische Regierung ein Gesetz zum Schutz der Wälder geändert, sodass große Waldflächen für nicht forstwirtschaftliche Tätigkeiten freigegeben werden können. Entsprechend wird das Risiko für Zoonosen zunehmen.
Nayantara Narayanan ist eine indische Journalistin aus Bangalore, Karnataka.
@nayantaran auf twitter.com („X“)