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Glauben

Neue Komplexität

Beim Schutz der Menschenrechte stellen sich heute andere Fragen als vor 20 Jahren – viele Herausforderungen bestehen aber fort. Die Kirchen können dabei eine wichtige Rolle spielen.
Die Kirchen sind vor Ort: Dioulatiedougou in der Elfenbeinküste. Mark Edwards/Lineair Die Kirchen sind vor Ort: Dioulatiedougou in der Elfenbeinküste.

Indonesien ist seit mehr als einem Jahrzehnt keine Diktatur mehr. Dennoch gibt es laut Basilisa Dengen von Watch Indonesia, einer unabhängigen Organisation in Berlin, weiterhin Menschenrechtsverletzungen. Sie seien aber anders als früher. Unter der Herrschaft Suhartos seien Polizei, Geheimdienst und andere staatliche Akteure die Täter gewesen. Heute dagegen griffen anonyme Gruppen beispielsweise religiöse Minderheiten in dem überwiegend muslimischen Land an. Die Opfer wüssten nicht, wer die Aggressoren seien und wer hinter ihnen stehe – und sie könnten sich auch nicht darauf verlassen, dass die Strafverfolger zuverlässig ermittelten.

Michael Windfuhr vom Deutschen Institut für Menschenrechte bestätigt diese Einschätzung. Er spricht von neuen, komplexer gewordenen Herausforderungen. In Menschenrechtsverletzungen seien häufig nicht mehr nur staatliche Akteure involviert. Es gebe nichtstaatliche Gewalttäter, aber auch Verwicklungen von internationalen Investoren. Das gelte in Indonesien und vielen anderen Ländern. Problematisch sei beispielsweise immer wieder die Vertreibung von Menschen von Land, das für Investitionen gebraucht werde. Oft sei schwer zu fassen, wer konkret die Verantwortung dafür trage, dass Menschen ihrer ökonomischen und sozialen Existenz beraubt würden.

Gerald Staberock von der Weltorganisation gegen die Folter, einer zivilgesellschaftlichen Initiative mit Sitz in Genf, sagt, dass sich seit der UN-Konferenz über Menschenrechte in Wien 1993 viel gebessert habe. Die Universalität der einschlägigen Rechtsprinzipien sei nun grundsätzlich anerkannt und die internationalen Vereinbarungen seien stringenter geworden. Zudem seien Institutionen wie der UN-Menschenrechtsrat, das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte und der Internationale Strafgerichtshof gestärkt oder neu geschaffen worden. Allerdings müsse internationalen Prinzipien weiterhin auf nationalstaatlicher Ebene Geltung verschafft werden – und daran hapere es häufig noch.

Staberock nimmt westliche Industrie­länder nicht von seiner Kritik aus. Die Skandale von Abu Ghraib und Guantánamo Bay hätten dem Ansehen der USA geschadet. Das gelte ebenso für den Drohnenkrieg, den US-Präsident Barack Obama weiterhin in Afghanistan, Pakistan und Jemen führen lasse. Doppelmoral unterhöhle aber den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen.

Die Behandlung von Flüchtlingen in der EU und Frontexaktionen zur Abwehr von Migranten haben derweil dem Ansehen Europas geschadet. Derlei belegt aus Sicht vieler Beobachter in Afrika oder dem Nahen Osten, dass der Westen bei Menschenrechten mit zweierlei Maß misst.

Bei der Entwicklungspolitischen Konferenz der Evangelischen Kirche in Arnoldshain im Taunus im April betonte Staberock, zivilgesellschaftliche Akteure seien wichtig, um Menschenrechte durchzusetzen. Diese Akteure seien historisch beim Standard Setting immer treibende Kräfte gewesen und schüfen oft auch erst den nötigen Druck, damit staatliche Stellen die Regeln dann durchsetzten.

Bedrückend findet Staberock derweil, dass eine wachsende Zahl von Ländern internationale Unterstützung für Menschenrechtsschützer als Eingriffe in ihre inneren Angelegenheiten werteten. Prominente Beispiele sind Russland und Äthiopien. Russland bewerte unabhängige Organisationen, die internationales Geld annehmen, als „ausländische Agenten". Generell schränkten immer mehr Länder derzeit die Handlungsmöglichkeiten von nichtstaatlichen Akteuren ein und erschwerten die internationale Vernetzung (siehe Aufsatz von Maier und Fuchs in E+Z/D+C 2013/10, S. 390 f.). Staberock weist darauf hin, dass oft auch Gewerkschafter oder Umweltschützer, die andere Themen als Menschenrechte betonen, in der Praxis Menschenrechte schützen, weil ihre Anliegen verwandt seien.

Adrien-Claude Zoller von der nichtstaatlichen Initiative Genève pour les droits de l’homme sieht das ähnlich. Auch er sagt, der „Raum für zivilgesellschaftliches Handeln" schrumpfe. Seine Organisation denkt auch darüber nach, wie Bürgerinitiativen und soziale Aktivisten indirekt finanziell unterstützt werden könnten, ohne neue Angriffsflächen zu bieten.

Die Fachwelt ist sich einig, dass nicht nur Geld, sondern auch internationale Kontakte und profundes Rechtswissen zivilgesellschaftliche Akteure stärken. Einladungen ins Ausland erhöhen das Selbstbewusstsein und verschaffen Ansehen. Zollers Organisation bildet Menschenrechtsschützer in Kursen in Genf fort, die beispielsweise über Völkerrecht und UN-Institutionen aufklären.

 

Globale Reichweite bis in kleinste Dörfer

Die Kirchen tragen aus Zollers Sicht beim Schutz der Menschenrechte eine „riesige Verantwortung". Denn sie verfügten einerseits über globale Netzwerke, seien aber zugleich auch in abgelegensten Dörfern präsent.

Cornelia Füllkrug-Weitzel, die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt, teilt diese Sicht. Sie beklagt aber, die Kirchen zeigten dort, wo sie kulturell dominant seien, an Menschenrechtsfragen wenig Interesse. Wo sie dagegen Minderheiten verträten, sei das meist anders. Dort haben sie aber weniger Einfluss. Aus Füllkrug-Weitzels Sicht sollte Theologiestudenten gelehrt werden, dass es einen „biblischen Auftrag" zum Schutz der universellen Menschenrechte gebe.

Aneth Lwakatares Erfahrungen in Tansania bestätigen, dass Kirchenleitungen nicht unbedingt auf der Höhe sind, was Menschenrechte angeht. Die Mitarbeiterin von Mission Eine Welt in Bayern berichtet, dass nur eine von 21 Diözesen in dem ostafrikanischen Land ein Menschenrechtsbüro unterhalte. Dieses habe zwei Mitarbeiterinnen, die beide keine juristische Ausbildung hätten, sondern sich auf das Fachwissen von nichtstaatlichen Organisationen stützen müssten.

Tansania gilt, was die Einhaltung der Menschenrechte angeht, nicht als besonders problematisch. Lwakatare weiß aber von Einzelfällen, die Anlass zur Sorge geben. So habe sie beispielsweise erlebt, wie eine Witwe von einem hochrangigen Politiker genötigt wurde, ihm ihr Land zu verkaufen. Die Frau habe das nicht tun wollen, doch sie sei durch Festnahmen und andere Schikanen so unter Druck gesetzt worden, dass sie am Ende nachgab. Das kleine kirchliche Menschenrechtsbüro habe sie nicht ausreichend unterstützen können.

Lwakatare hält den internationalen innerkirchlichen Austausch über solche Dinge für wichtig: „Wir können Solidarität zeigen. Wir können Menschenrechtsfragen zusammen bearbeiten." Es sei sinnvoll, eine „internationale Arena" zu schaffen.

So schätzt das auch der ruandische Pastor John Wesley Kabango ein, der für die Vereinigte Evangelische Mission arbeitet. Es gehe darum, „den Stimmlosen eine Stimme zu geben". Es sei ein Gebot der Menschenrechte, allen einen Lebensstandard zu verschaffen, der Gesundheitsversorgung, Kleidung und Wohnung gewährleiste.

Hans Dembowski