Globalisierungskritiker

Viele offene Fragen

Das Weltsozialforum in Tunis hat linken und säkularen Kräften im arabischen Raum neuen Schub gegeben – obwohl die linke und feministische Prominenz aus der Region weitgehend fehlte.
Frauen bei der Abschlusskundgebung des elften Weltsozialforums. Mohamed Messara/picture-alliance/dpa Frauen bei der Abschlusskundgebung des elften Weltsozialforums.

Als die Stadtreinigung von Tunis am Abend des 30. März 2013 die letzten Flugblätter zusammenfegte, atmeten die Mitglieder des Organisationskomitees auf:  Das fünftägige Weltsozialforum mit 4000 angemeldeten Organisationen und Gruppen, rund 30 000 Besuchern und 800 Workshops war reibungslos verlaufen – ohne ernste gewaltsame Auseinandersetzungen und ohne aufdringliche Polizeipräsenz.

Böse Zungen behaupteten zwar, die Regierung der islamistischen Ennahda-Partei habe ihre salafistischen Verbündeten vom Campus der Manar-Universität zurückgezogen, um ein gutes Bild zu machen. Doch das ist Spekulation. Fakt ist, dass das Megaevent  abgesehen von vereinzelten Raufereien friedlich verlief und dass Salafisten kaum störten.
 
Weltsozialforen sind laut Charta keine in sich geschlossenen Einzelveranstaltungen mit klar umrissenem Output, sondern Teil eines globalen Kommunikations- und Vernetzungsprozesses. Beim WSF in Tunis machten davon vor allem arabische Aktivisten und Frauen Gebrauch. Auf der Tagesordnung standen selbstverständlich  große globale Themen von Hunger über Klimaschutz bis zu Migration und Finanzarchitektur. Doch großen Andrang gab es vor allem bei Veranstaltungen zu den aktuellen Entwicklungen in Nordafrika und im Nahen Osten.

Dabei ging es immer wieder um dieselben Fragen:

  • Wie kann die gesellschaftliche und politische Teilhabe von Frauen gestärkt werden?
  • Wie lassen sich Menschenrechtsverletzungen während der Diktaturen aufarbeiten?
  • Welche Chancen hat die Demokratie unter den neuen islamistischen Regierungen?
  • Wie wirkt sich deren marktliberale Wirtschaftspolitik aus?
  • Wie könnten linke und säkulare Alternativen aussehen?
  • Was bedeutet die Unterstützung der USA für angeblich „moderate“ islamistische Regime?
  • Welche Zukunft hat Palästina?


Präsent waren beim WSF allerdings erstaunlich wenig linke Prominente aus arabischen Ländern. Zu den wenigen, die gesichtet wurden, gehörte Hamdeen Sabahi aus Ägypten. Er war bei der Präsidentenwahl 2012 überraschend auf dem dritten Platz gelandet und gilt aktuell als der wichtigste linke Politiker Ägyptens. Gemäß der Charta des Weltsozialforums sind Parteien und Parteipolitiker allerdings offiziell nicht zugelassen, so dass Sabahi nur informell im Rahmen eines Workshops auftrat. Auch manche prominenten Feministinnen aus dem arabischen Raum glänzten durch Abwesenheit.

Dennoch wurde das WSF faktisch zu einem Forum für  Frauen und Gender­themen. Bei der Auftaktversammlung riefen rund 1000 Frauen zu internationaler Solidarität auf. Besma Halfaoui, die charismatische Witwe des ermordeten linken tunesischen Oppositionspolitikers Chokri Belaid, hielt eine bewegende Rede. Sie scheint bereit, selbst in die Politik zu gehen.

Frauenorganisationen führten sehr viele Veranstaltungen durch. Es ging um politische Rechte, aber auch um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Frauenarmut und  Frauenarbeitslosigkeit. Genderbasierte Gewalt und sensible Themen wie die reproduktiven Rechte von Frauen wurden offen angesprochen, ebenso wie die Si­tuation von Schwulen und Lesben in der arabischen Welt.

Vor dem WSF in Tunis war die interne Debatte über Entscheidungs- und Organisationsstrukturen intensiver geworden. Manche fragten, ob die globalisierungs­kritische Veranstaltungsreihe mehr als ein Jahrzehnt nach ihrem Start im brasilianischen Porto Alegre noch sinnvoll sei. Tatsächlich ist nicht immer klar, ob sie noch eine politisch wirksame Aktionsform ist oder mehr eine Art Karneval der Kulturen. Angesichts der globalen digitalen Vernetzung lässt sich darüber nachdenken, ob es nötig ist, dass Tausende gut situierte Aktive um die Welt jetten, um ein paar Tage von Workshop zu Workshop zu hetzen und Transparente in Kameras zu halten. Graswurzelarbeit wäre vielleicht wertvoller.

Diese Fragen sind nach Tunis so aktuell wie vorher. Doch eines hat sich geändert. Säkulare und globalisierungskritische Kräfte aus der arabischen Welt diskutieren jetzt auf Augenhöhe mit – und sie brauchen dafür nicht die Anwesenheit ihrer prominentesten Vertreter.
 

Martina Sabra ist freie Journalistin und entwicklungs­politische Gutachterin.
martina.sabra@t-online.de