Hungerbekämpfung

„Industriestaaten müssen die Mittel erhöhen”

Die Welthungerhilfe verlangt von den G7-Ländern, ihren fairen Anteil im Kampf gegen den weltweiten Hunger zu leisten. Außerdem soll der Schwerpunkt der Entwicklungshilfe verstärkt auf Kleinbauern gelegt werden. Die Hilfsorganisation sieht in Deutschlands G7-Vorsitz eine Chance, für diese Ziele zu werben.
Landwirtschaftliche Schulung in Uganda: Kleinbauern, vor allem Frauen, brauchen mehr Unterstützung. Böthling/Photography Landwirtschaftliche Schulung in Uganda: Kleinbauern, vor allem Frauen, brauchen mehr Unterstützung.

Trotz des jahrzehntelangen Kampfs gegen den Hunger und Milliardeninvestitionen leiden laut Welthungerhilfe noch immer mehr als 800 Millionen Menschen an Hunger oder Mangelernährung. Um das zu ändern, reichen guter Wille und schöne Worte nicht aus: „Die Industriestaaten werden ihre Mittel erhöhen müssen“, forderte Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe, auf einer Konferenz ihrer Organisation im Februar in Berlin.

Laut Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, besteht das Hauptproblem nicht in einem Mangel an Nahrungsmitteln, sondern in ungerechter Verteilung: Die G7-Länder „beanspruchen 80 Prozent der Ressourcen“, so Müller. Gerechtigkeit zu schaffen, sei daher das zentrale Thema. Dabei sieht der Minister die Reichen, die „auf der Sonnenseite des Lebens“ stehen, in der Verantwortung. Deutschland solle die G7 darauf verpflichten, das Menschenrecht auf Nahrung zu verwirklichen – ein Ziel, das voraussichtlich auch eins der Nachhaltigen Entwicklungsziele sein wird, die die UN im September 2015 verabschieden wollen.

Gerda Verburg, Vorsitzende des zwischenstaatlichen Komitees für Ernährungssicherheit, sieht den wichtigsten Erfolgsfaktor im Engagement der Regierungen. Die Nachhaltigen Entwicklungsziele seien „wertlos“, wenn sie nicht in nationale und lokale Politik übersetzt würden.

Elias Geneti Simma, Präsident der Handelskammer von Addis Abeba, kritisiert, dass die Hungerbekämpfung Thema „jedes internationalen Gipfels“ sei, es im Nachhinein jedoch an der praktischen Umsetzung fehle. „Konzentriert euch mehr auf die Implementierung“, fordert er. Nach Ansicht des Äthiopiers ist es unabdingbar, Kleinbauern in die Prozesse einzubinden.

 

Kleinbauern ernähren die Welt

Viele internationale Experten stimmen darin überein, dass das Wissen von Kleinbauern über traditionelle Anbaumethoden, lokale Bodenbeschaffenheit, Klima und andere wichtige Faktoren essenziell ist. Daher fordert das Berliner Memorandum, das auf der Konferenz vorgestellt und diskutiert wurde, in der globalen Hungerbekämpfung einen neuen Fokus auf Kleinbauern. Das Memorandum mit Forderungen an die G7-Länder ist in Zusammenarbeit von Vertretern der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Privatwirtschaft in Bolivien, Burkina Faso, Äthiopien, Indien und Deutschland entstanden.

Dem Dokument zufolge produzieren Kleinbauern mehr als 70 Prozent der Nahrungsmittel in Entwicklungsländern und spielen damit die wichtigste Rolle für die Ernährungssicherheit weltweit. Durch ihre Rolle als Versorger haben sie eine besondere Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt. Kleinbäuerliche Familien stärken die dörfliche Gemeinschaft und bewahren Kultur und Tradition.

Außerdem sind sie für zwei Drittel der landwirtschaftlichen Investitionen verantwortlich, wie der äthiopische Co-Autor Alemayehu Diro Lalise betont. Im Gegensatz zur industriellen Landwirtschaft verbrauche die kleinbäuerliche Wirtschaftsweise deutlich weniger fossile Energie und beinhalte eine größere Vielfalt an Feldfrüchten und Sorten. „Wenn es einen Ernteausfall bei einem Produkt gibt, gibt es noch viele weitere Alternativen“, sagt Lalise.

Seine indische Kollegin Rajeswari Raina hebt hervor, dass Kleinbauern „Nahrung produzieren, aber nicht genug“. Daher bräuchten sie Unterstützung, vor allem finanzieller Art. Nach Berechnungen der UN-Menschenrechtskommission leben bis zu 80 Prozent der Armen weltweit auf dem Land. Ihre Nahrung beziehen sie in der Regel durch Selbstversorgung und von den kleinen landwirtschaftlichen Betrieben ihrer Umgebung. Degradierte Böden und die Folgen des Klimawandels führen zu einer verringerten Nahrungsmittelproduktion und Wasserknappheit; das Zurückgehen der Vielfalt an Kulturpflanzen und lokalen Tierrassen ziehen eine weniger ausgewogene Ernährung nach sich. Häufig leiden Kinder und Frauen am meisten unter Armut und Hunger und brauchen daher besondere Unterstützung.

 

Kinder in den Dörfern halten

Die Welthungerhilfe und ihre Partner fordern, die Position von Kleinbauern in drei Bereichen politisch und finanziell zu stärken:

  • Die Rechte von Kleinbauern, zum Beispiel auf Land und Wasser, sind unzureichend gesichert.
  • Es gibt zu wenige zusätzliche Einkommensmöglichkeiten in ländlichen Regionen.
  • Die Vielfalt von Ökosystemen als Voraussetzung für erfolgreiche kleinbäuerliche Produktion wird kaum geschützt.

Unterm Strich geht es darum, das Leben von Bauern profitabel, nachhaltig und attraktiv zu machen. Dann würden weniger junge Menschen ihre Dörfer verlassen, um ihr Glück in der Stadt zu versuchen. Ashish Gupta, der mit Kleinbauern im nordindischen Bundesstaat Himachal Pradesh arbeitet, berichtet aus seiner Erfahrung: Als Dorfkinder gefragt wurden, was sie später einmal werden wollten, sagte kein einziges „Bauer“. Gupta kennt den Grund dafür: „Sie sehen, wie ihre Eltern unter der bäuerlichen Arbeit leiden. Das muss sich ändern.“

Der 2012 von den G8-Ländern – damals noch mit Russland – gegründeten Initiative Neue Allianz für Ernährungssicherheit wirft die Welthungerhilfe vor, die Ernährungssicherung den Agrarkonzernen zu überlassen. Stattdessen müsse Deutschland den G7-Gipfel im Juni dazu nutzen, eine neue Initiative auf den Weg zu bringen, mit der die reichen Industrieländer ihrer Verantwortung gerecht werden. Nach Berechnungen der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO und der Welthungerhilfe werden jährlich 31,3 Milliarden US-Dollar öffentlicher Entwicklungshilfe (ODA) benötigt. Aktuell stellten die G7 jedoch nur ein Drittel davon bereit.

Katja Dombrowski

 

Links:

Welthungerhilfe: http://www.welthungerhilfe.de/en/home-en.html
Das Berliner Memorandum zum Download: http://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/user_upload/Themen/POWA/Termine/5_Berlin_Memorandum_on_sustainable_livelihoods_for_smallholders_2015.pdf