Armut bekämpfen

Ernährungssicherheit und soziale Sicherung gehören zusammen

Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erklärt, weshalb Ernährungssicherheit und soziale Sicherung zusammengehören.
Dürre in Tunesien. Dürre in Tunesien.

Die Folgen des russischen Angriffskriegs, Corona, aber auch die Klimakrise mit ihren Wetterextremen wie der diesjährige fünfte Dürresommer in Folge und die Hochwasserkatastrophe letztes Jahr lassen uns hierzulande spüren, wie verletzlich „Sicherheit“ ist. Damit meine ich Sicherheit nicht nur im klassischen Sinne als innere und äußere Sicherheit, sondern umfassend. Dazu gehören bezahlbare Lebensmittel ebenso wie eine breit zugängliche Gesundheitsversorgung. Sicher geglaubte Errungenschaften geraten mit einem Mal ins Wanken. Ein selbstbestimmtes Leben zu führen wird für viele schwieriger. Was die Situation verschärft: Die Krisen verstärken sich gegenseitig.

Was in Deutschland gilt, trifft erst recht zu für die oft viel verletzlicheren Gesellschaften des Globalen Südens. Nach vielen Jahren des Fortschritts steigt die Zahl der hungernden Menschen seit 2017 wieder. Im Jahr 2021 hungerten bis zu 828 Millionen Menschen, fast jeder zehnte Mensch weltweit. Etwa 30 Prozent der Weltbevölkerung – rund 2,3 Milliarden Menschen – hatten keinen zuverlässigen und sicheren Zugang zu angemessener und ausreichender Nahrung. Zugleich haben 53 Prozent der Weltbevölkerung – rund 4 Milliarden Menschen – keinen Zugang zu sozialer Sicherung. All diese Menschen sind auf sich allein beziehungsweise auf das soziale Umfeld wie die Familie gestellt, etwa im Fall von Arbeitslosigkeit, Mutterschaft, Behinderung oder Arbeitsunfällen. In Afrika leben sogar 80 Prozent der Menschen ohne soziale Sicherung (zu den Grundsätzen sozialer Sicherung siehe Markus Loewe auf www.dandc.eu).

Vier Gründe

Es gibt gute Gründe, Ernährungssicherheit und soziale Sicherung künftig stärker zusammenzudenken:

  • Erstens: Widerstandsfähigere Gesellschaften sind für Krisen besser gewappnet – weltweit. Für Resilienz ist ausreichende und qualitativ hochwertige Ernährung ein Muss. Aber auch soziale Sicherung stärkt die Resilienz in Krisen und beugt ihnen zugleich vor. Sie sichert menschenwürdiges Leben, wenn es besonders darauf ankommt. Zudem fördert sie Anpassungs- und Reaktionsfähigkeiten im Umgang mit Schocks, eben bei Extremwetterereignissen (als ein Beispiel), die zu Ernteverlusten führen oder Preisschwankungen bei Nahrungsmitteln.
  • Zweitens: Es ist der ländliche Raum, in dem durch Anbau und Zucht die Grundlagen für gesicherte Ernährung liegen. Die Landwirtschaft ist in vielen Ländern des Globalen Südens der wichtigste Arbeitsmarkt mit den meisten Beschäftigten und darum für viele von existenzieller Bedeutung. Wer soziale Sicherung in einem breit verwurzelten Wirtschaftssektor wie der Landwirtschaft fördert, hilft der Gesamtgesellschaft, denn es führt zu einer Stabilisierung des gesellschaftlichen Gefüges insgesamt und kann Vorbild für andere Branchen sein. Doch die Aufgabe ist in der Landwirtschaft besonders herausfordernd, da die Menschen oft besonders großen Risiken ausgesetzt sind. Sie gefährden nicht nur die Ernährungssicherheit der ländlichen Bevölkerung selbst, sondern oft auch die Versorgung der restlichen Bevölkerung. Diese Risiken können durch den Klimawandel noch verschärft werden. Ein Beispiel: Eine Landwirtin verliert durch Dürre ihre gesamte Ernte. Das schadet ihr als Selbstversorgerin und ihrer Familie, möglicherweise brechen aber auch Einnahmen weg, die sie sonst durch den Verkauf ihrer Produkte erzielt hätte. Es fehlt Geld, um selbst Saatgut für die nächste Saison zu kaufen. Wenn es ein soziales Sicherungssystem für Dürrerisiken – bestenfalls von der Finanzierung bis zu den Auszahlungsmechanismen – gibt, kann schnell geholfen werden. Die nächste Ernte ist gesichert.
  • Drittens: Darüber hinaus fördert soziale Sicherung ländliche Entwicklung. Vielen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern fehlen die finanziellen Mittel, um Risiken einzugehen und in innovative Produktionsmethoden zu investieren. Empfängerinnen und Empfänger von sozialer Sicherung können Geld für lokale Güter und Dienstleistungen einsetzen und so die Nachfrage stärken. Jeder für Sozialleistungen ausgegebene Euro generiert bis zu 1,70 Euro an zusätzlicher wirtschaftlicher Aktivität.
  • Viertens: Eine Grundidee von sozialer Sicherung ist der Solidaritätsgedanke: niemanden zurückzulassen und die gesamte Gesellschaft im Blick zu haben. Soziale Sicherung fördert deshalb auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Oft sind es Frauen, die neben nicht entlohnter Feld- und Hausarbeit sowie Kinderbetreuung für die Ernährung sorgen. Frauen in unseren Partnerländern sind häufig informell beschäftigt und profitieren daher nicht von (bereits bestehenden) sozialen Sicherungsleistungen, die fast immer an formelle Beschäftigung gekoppelt sind. In Zukunft müssen wir beim Aufbau sozialer Sicherungssysteme die Lebensrealitäten und Bedarfe von Frauen und Mädchen in den Blick nehmen und berücksichtigen. Dabei gilt es, auch aktiv soziale Normen, Geschlechterstereotype und diskriminierende gesellschaftliche Machtverhältnisse zu adressieren. So lassen sich durch die Einführung sozialer Sicherung auch gender-transformative Wirkungen erzielen. Sie sind dringend erforderlich, um mehr Geschlechtergerechtigkeit im Sinne einer umfassenden sozialen Gerechtigkeit zu erzielen – für die ich mich mit unserer Entwicklungszusammenarbeit einsetze.

Globaler Schutzschirm

Mehr Gerechtigkeit zu schaffen im Sinne einer globalen Just Transition – das ist auch unsere Triebfeder beim Aufbau eines globalen Schutzschirms zur Absicherung gegen klimabedingte Risiken, den das Entwicklungsministerium vorantreibt. Der sozialen Sicherung kommt dabei – komplementär zu Klimarisikofinanzierungs- und privaten Versicherungslösungen – eine Schlüsselrolle zu. Dieser Schutzschirm kann besonders vulnerablen Menschen – darunter viele Frauen – zum Beispiel bei Dürren und Überschwemmungen helfen. Ohne sozialen Schutz gibt es keinen Schutz vor Krisen (zur Bedeutung von sozialer Sicherung für die Klimakrise siehe Stefan Beierl auf www.dandc.eu).

Die deutsche Entwicklungspolitik verfolgt das Ziel der menschlichen Sicherheit, denn Sicherheit ist eben mehr als die Abwesenheit von Gefahr für Leib und Leben. Menschliche Sicherheit bedeutet, Grundbedürfnisse, wie beispielsweise eine angemessene Ernährung, zu decken und ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Soziale Sicherungssysteme können selbst die ärmsten Menschen erreichen. Soziale Sicherung ist deshalb auch ein Schlüssel im Kampf gegen Hunger und Armut. In Krisen sichert sie Ernährung unmittelbar und verhindert Abwärtsspiralen.

Daher setze ich einen Schwerpunkt darauf, unsere Partnerländer dabei zu unterstützen, soziale Sicherungssysteme auf- und auszubauen. Wir tun dies nicht als Einzelkämpfer, sondern in Gemeinschaft mit multi- und bilateralen Partnern. Einen Anfang haben wir im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft in diesem Jahr gemacht. Unser Ziel ist es, die Anzahl der sozial abgesicherten Menschen bis 2025 um eine Milliarde zu erhöhen.

Wir arbeiten an abgestimmten Finanzierungsmechanismen, gemeinsamen Länderanalysen und Monitoring sowie koordinierter Unterstützung unserer Partnerländer, um gute Erfahrungen und Ansätze in die Fläche zu tragen. Dabei haben wir festgestellt, dass soziale Sicherungsprogramme zur Absicherung von Ernährungsrisiken großes Potenzial bergen, neben der Bekämpfung von Armut und der Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegen Krisen einen signifikanten Beitrag zur Ernährungssicherheit insgesamt zu leisten – wenn zum Beispiel Unterstützungsleistungen wie Geld- und Sachtransferleistungen an die Teilnahme von Gesundheits- und Ernährungsbildungsmaßnahmen geknüpft sind oder für den Kauf von Lebensmitteln verwendet werden.

Enge Abstimmung

Viele Länder, auch im Globalen Süden, finanzieren ihre soziale Sicherung selbst. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit fördert seine Partnerländer (in enger Abstimmung mit anderen Gebern) vor allem bei der Aufrechterhaltung sozialer Sicherungssysteme in Krisenzeiten. Dabei kommt es auf Passgenauigkeit an, denn die Bedarfe der Partnerländer sind verschieden, ebenso wie ihre Fähigkeit, Eigenleistung zu erbringen.

Dabei ist es uns wichtig, abgestimmt vorzugehen – etwa mit den Entwicklungsbanken oder UN-Organisationen. In Ruanda zum Beispiel bringt Deutschland auf der Basis eines Weltbankprogramms, das Budgethilfe leistet, strukturelle Reformen in den bereits bestehenden sozialen Sicherungssystemen voran. Sie zielen darauf ab, die Zahl derer zu erhöhen, die profitieren, und die Leistungsfähigkeit der Verwaltungs- und Umsetzungsstrukturen zu verbessern, etwa durch ein neues Sozialregister zur besseren Erfassung von Leistungsberechtigten. Eine zusätzliche Komponente der technischen Zusammenarbeit sichert die Nachhaltigkeit der Investitionen, unter anderem durch zusätzliches inländisches Fachpersonal und Schulungen des bestehenden Personals.

Soziale Sicherungssysteme helfen, die großen Herausforderungen unserer Zeit zu lösen: die Folgen des Klimawandels, Hunger, Ungleichheit und die Prävention von Pandemien. Darum habe ich mich bei der Weltbanktagung im vergangenen Oktober und bei der UN-Klimakonferenz im November für die Stärkung sozialer Sicherungssysteme eingesetzt. Außerdem führt das BMZ im kommenden Jahr erstmals eine internationale Konferenz durch, um das Thema soziale Sicherung voranzubringen und um noch mehr Partner für das Thema zu gewinnen. Soziale Sicherung ist ein Menschenrecht. Wir wollen ihm mit unserer Politik mehr Geltung verschaffen.

Svenja Schulze ist die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
www.bmz.de

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