Finance
Inklusive Versicherungen für alle
Nach zwei Jahren Corona-Pandemie erholt sich die Weltwirtschaft nur langsam und ungleichmäßig. Die Weltbank schätzt, dass die Pandemie bis zu 120 Millionen Menschen zusätzlich in extreme Armut stürzen wird. Gleichzeitig bedroht die Klimakrise die Existenzen von Milliarden Menschen in Ländern des globalen Südens, die hauptsächlich von Einkünften aus der Landwirtschaft abhängen. Nach wie vor hat nur ein kleiner Teil der Weltbevölkerung Zugang zu adäquater Absicherung gegen die wichtigsten Lebensrisiken wie Krankheit oder Verlust der Ernte (zum Vorschlag eines Globalen Fonds für Soziale Sicherheit siehe Markus Kaltenborn und Laura Kreft auf www.dandc.eu).
Versicherungen für die unteren Einkommensschichten waren ursprünglich als „Mikroversicherungen“ bekannt, heute spricht man mehr von „inklusiven Versicherungen“ (Inclusive Insurance). Sie beschreiben bezahlbare und für alle zugänglich Absicherungen gerade für diejenigen, die entlang der Armutsgrenze wirtschaften. Sie haben ohne Absicherung im Ernstfall das höchste Risiko, wieder in die Armut zurückzufallen.
Inklusive Versicherungen beinhalten sowohl Lösungen auf Individualebene (Mikroversicherungen) als auch regionale oder staatliche Versicherungssysteme (etwa Kranken- oder Agrarversicherungen) sowie internationale Systeme (etwa ARC – African Risk Capacity, siehe Beitrag von Chinedu Moghalu auf www.dandc.eu). Je größer die Kundenzahl und regionale Verteilung ist, desto besser lassen sich die Risiken verteilen. Kern der Versicherung ist die Zahlung einer Prämie an einen Risikoträger. Sie wird errechnet unter Berücksichtigung der möglichen Schadenhöhe, Eintrittswahrscheinlichkeit sowie Betriebskosten und Gewinnmarge. Doch nicht alle können sich eine solche Prämie leisten, weshalb häufig Subventionen in Spiel kommen. Die Bandbreite von Inclusive Insurance reicht deshalb von rein privatwirtschaftlich organisierten Versicherungen über PPPs (public private partnerships – öffentlich-private Partnerschaften) bis hin zu den sozialen Sicherungssystemen (siehe Beitrag von Markus Loewe auf www.dandc.eu)
Inklusive Versicherungen haben sich in Wellen entwickelt: Um die Jahrtausendwende spielten Lebensversicherungen in Kombination mit Krediten eine große Rolle, häufig angeboten von Mikrofinanzinstitutionen (MFIs – microfinance institutions). Danach kamen Versicherungen auf, die von Mobilfunkunternehmen – oft als Instrument der Kundenbindung – vertrieben wurden. Im Zuge der Digitalisierung sind inklusive Versicherungen inzwischen zunehmend in Online-Plattformen wie die indonesische Gojek eingebunden.
Nur wenige sind versichert
In den Ländern des globalen Südens ist der Zugang zu inklusiven Versicherungen noch immer ausbaufähig. Das zeigt auch die Studie „Landscape of Microinsurance 2021“ des Microinsurance Networks. Demnach genossen in 30 untersuchten Ländern nur zwischen sechs und 14 Prozent der Zielbevölkerung solchen Versicherungsschutz (Merry 2021). Am weitesten verbreitet war dabei die Krankenversicherung, gefolgt von Unfall-, Lebens- und Kreditversicherungen.
Märkte entwickeln
Weltweit erkennen immer mehr Länder, wie wichtig Versicherungen für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung sind. Wie die Access to Insurance Initiative berichtet, haben mittlerweile 40 Länder Regulierungen, die das Angebot von – und die Nachfrage nach – Versicherungen auch in unteren Einkommensschichten unterstützen.
Eine zentrale Herausforderung besteht darin, Versicherungsanbieter für diese Zielgruppe zu interessieren. Sie müssen erkennen, dass am unteren Ende des Marktes mehr Wachstum möglich ist als am tendenziell gesättigten oberen Ende. Auf der Nachfrageseite gibt es das Problem, dass Menschen mit niedrigem Einkommen Geld nur für das unbedingt Notwendige ausgeben, und nicht gern in den Schutz vor einer Gefahr investieren, die vielleicht gar nicht eintritt.
Für Agrarversicherungen zeigt sich: Die Chancen, dass sie viele Menschen erreichen, steigen, wenn sie:
- von der jeweiligen Regierung unterstützt werden und
- zusätzliche Dienstleistungen integrieren.
So hat beispielsweise das indische Agrarversicherungssystem PMFBY mehrere Millionen Bäuerinnen und Bauern versichert. Der Staat unterstützt das Programm mit Prämiensubventionen.
Beispiele aus der Karibik zeigen zudem: Die allgemeine Widerstandsfähigkeit einer Gesellschaft steigt, wenn verschiedene Ansätze des Risikomanagements kombiniert werden. Dafür sollten Privatsektor und Staat eng zusammenarbeiten.
Erfolg versprechen folglich nationale Strategien zur finanziellen Inklusion (National Financial Inclusion Strategies). Sie binden Stakeholder ein und helfen dabei, Versicherungsmärkte strategisch zu entwickeln. Aufsichtsbehörden sollten dabei auf der Höhe der technologischen Entwicklung sein, um Verbraucherschutz in Einklang zu bringen mit innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen.
Die Pandemie schwächt zwar die globale finanzielle Inklusion, sie eröffnet jedoch auch Chancen für die Digitalisierung (siehe Kasten) und weitere PPPs. Nennenswerte Initiativen sind unter anderen:
- die InsuResilience Global Partnership,
- das Insurance Development Forum sowie
- die 2021 gestartete Insurance and Risk Finance Facility des UNDP (United Nations Development Programme – UN-Entwicklungsprogramm).
Die InsuResilience Global Partnership will bis 2025 zusätzlich 500 Millionen Menschen durch Klimaversicherungen absichern – und das UNDP-Vorhaben unterstützt sie dabei.
Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs – Sustainable Development Goals) zu erreichen, kommt der Versicherungsbranche eine bislang unterschätzte Rolle zu. Sie macht Gesellschaften widerstandsfähiger, indem sie bezahlbares Risikomanagement ermöglicht. Versicherungen gehören deshalb auf die internationale Entwicklungsagenda, damit sie weltweit ihr volles Potentzial entfalten können – und zwar besonders zugunsten vulnerabler Gruppen.
Links
Interaktive Karte der Access to Insurance Initiative:
https://a2ii.org/en/map
InsuResilience Global Partnership Vision 2025:
https://www.insuresilience.org/wp-content/uploads/2021/11/vision2025_211022.pdf
Merry, A., 2021 (published by Microinsurance Network): The Landscape of Microinsurance.
https://microinsurancenetwork.org/resources/the-landscape-of-microinsurance-2021
Munich Re Foundation – Inclusive Insurance:
https://www.munichre-foundation.org/en/Inclusive_insurance.html
Dirk Reinhard ist stellvertretender Geschäftsführer der Münchener Rück Stiftung.
dreinhard@munichre-foundation.org