Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Interview

„Vielversprechende Entwicklung“

Die internationale Politik schenkt der Landwirtschaft wieder mehr Aufmerksamkeit, seit 2008 die Preise für Agrarrohstoffe auf dem Weltmarkt in die Höhe schnellten. Über die Ursachen des Hungers und Möglichkeiten, die Not zurückzudrängen, äußerte sich Joachim von Braun vom Zentrum für Entwicklungsforschung.

Interview mit Joachim von Braun

Verschärft Finanzspekulation an Terminmärkten Hungerkrisen?
Wir haben die Daten für das Jahr 2008 sorgfältig ausgewertet, und sie zeigen, dass Spekulation in der Tat die Preise in die Höhe getrieben und folglich die Not vergrößert hat. Für das Jahr 2009 ist aber keine signifikante Wirkung der Spekulation zu erkennen. Das bedeutet, dass das Agieren am Finanzmarkt vor allem dann schädlich ist, wenn die realen Märkte bereits unter Druck stehen.

Gilt das für die Hungersnot am Horn von Afrika im vergangenen Jahr?
Die Hungersnot am Horn hatte andere Gründe wie politische Konflikte und Dürre. Auch in Westafrika ist jetzt das Dürreproblem wieder akut bedrohend. Die hohen internationalen Nahrungsmittelpreise verschärfen aber die Situation, denn sie verteuern Importe und Hilfe und belasten die Kaufkraft der Armen.

Für diesen Schwerpunkt wollte ich jemanden von einer großen Bank über das Thema interviewen, der Wunsch wurde aber abgelehnt. Ist das typisch?
In der Finanzwelt wird über das Thema Spekulation mit Agrarrohstoffen jedenfalls intensiv nachgedacht. Die Branche ist verunsichert und ihre Sensibilität für dieses Thema ist vernünftigerweise gewachsen. Das könnte das Ausmaß der Spekulation abschwächen.

Müssen die Terminmärkte stärker reguliert werden?
Ja, und das wird auch geschehen. Sowohl in den USA als auch in der EU wurden diese Schritte schon eingeleitet. Bis zum Jahresende werden neue Höchstgrenzen für Spekulationsvolumina gelten, auch der außerbörsliche Handel wird eingehegt. Das geht alles in die richtige Richtung, ist aber noch nicht voll umgesetzt und muss weiter auf der Agenda bleiben.

Beim G8-Gipfel in L’Aquila versprachen die Regierungen der größten Industrieländer 2009 mehr Entwicklungshilfe für die Landwirtschaft. Was ist daraus geworden?
Das Programm, das damals beschlossen wurde, ist stimmig und wird auch umgesetzt. Mehr Entschlossenheit wäre dabei sicherlich gut. Bemerkenswerterweise halten sich auch einige Regierungen recht konsequent an ihre Versprechen. Dazu gehören zum Beispiel die USA, Deutschland und Groß­britannien. Zudem waren in L’Aquila nicht nur
die großen Industrieländer, sondern auch wichtige Schwellenländer und internationale Organisationen beteiligt, wie etwa die multilateralen Entwicklungsbanken. Einige hinken allerdings bei der Erfüllung der Versprechen noch hinterher und sollten mehr tun. Die Richtung, in die sich die internationale Gemeinschaft bewegt, stimmt aber.

Muss die weltweite Agrarproduktion gesteigert werden, um die wachsende Weltbevölkerung zu versorgen?
Mittelfristig ist das sicherlich nötig. Allerdings hängt Ernährungssicherheit nicht einfach von der Höhe der Ernten ab. Es kommt auch darauf an, dass alle Menschen die nötige Kaufkraft haben, um sich zu versorgen. Deshalb ist es nötig, Ernährung und Gesundheit simultan zu verbessern und Einkommensmöglichkeiten zu schaffen – und zwar besonders im ländlichen Raum der Entwicklungsländer, weil vor allem dort die Not groß ist. Chancen, neue Jobs zu schaffen, bietet zum Beispiel die Verarbeitung der agrarischen Rohstoffe in Dörfern und Kleinstädten. Ernährungssicherheit hängt letztlich von ländlicher Entwicklung und verbesserten Stadt-Land-Beziehungen ab, es geht nicht nur um Bauern und Landarbeiter.

Mittelfristig muss die Agrarproduktion aber steigen – wie kann das geschehen? Braucht die Welt so etwas wie eine grüne Revolution in Afrika?
Ja, aber ich spreche lieber von einer vielfarbigen Revolution oder einer Regenbogen-Revolution, weil es auf vielfache und unterschiedliche Innovationen ankommt, also keine eindimensionale Angelegenheit sein kann. Es geht unter anderem um Saatgut, Bodenfruchtbarkeit, Wasserernte und -speicherung. Nötig sind große und kleine Interventionen. Am wichtigsten sind aber vermutlich gar nicht technische, sondern organisatorische und institutionelle Innovationen. Ich denke dabei an Vertragslandbau und Genossenschaften sowie an effizientere Vertriebswege, Beratung für Bäuerinnen, angemessene Finanzdienstleistungen und dergleichen mehr. Ohne solche Modernisierung kann die Landwirtschaft in Afrika nicht gedeihen. Insgesamt ist das Potenzial, die Produktivität der afrikanischen Landwirtschaft zu steigern, riesig.

Die internationale Diskussion über die Agrarpolitik ist komplizierter geworden. Früher gab es zwei Lager, einerseits die High-Tech-Befürworter, andererseits die Vertreter der organischen Landwirtschaft. Inzwischen klingen die Positionen oft ähnlich. Gibt es mittlerweile so etwas wie Konsens?
Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass die Zuspitzung auf nicht evidenzbasierte Meinungen endlich aufhört. Das war und ist nicht hilfreich. Es gibt keinen Gegensatz zwischen wissenschaftlich-technischem Fortschritt und ökologischer Nachhaltigkeit. Im Gegenteil, modernes Saatgut und moderne Wasserwirtschaft bieten große Chancen. Auch die Informations- und Kommunikationstechnik sind wichtig. Wir erleben schon heute, dass Bauern sich mit Mobiltelefon besser als früher über Marktkonditionen informieren. Solche Vernetzung ist sehr hilfreich. Für Fortschrittspessimismus gibt es keinen Grund. Es ist klar, dass Afrika seinen eigenen Weg finden muss und dabei wissenschaftsbasierte Unterstützung verdient. Und die Entwicklung der letzten Jahre ist auch durchaus vielversprechend gewesen, denn die Produktivität in der afrikanischen Landwirtschaft wächst.

Spielen gentechnisch modifizierte Pflanzen für den Fortschritt, den Sie sich vorstellen, eine Rolle?
Das hängt von den jeweiligen Umständen ab. In Indien und China machen Bauern mit genmodifizierter Baumwolle von verschiedenen Herstellern gute Erfahrungen. Diese dürften sich auf Afrika übertragen lassen. Dabei geht es nicht vordringlich darum, die Erträge zu steigern. Wichtiger ist größere Schädlingsresistenz, weil sie Bauern erlaubt, weniger Pestizide einzusetzen. Das ist für ihre eigene Gesundheit, aber auch für die Umwelt von Vorteil. Selbstverständlich kommt es immer auch darauf an, dass die Bauern richtig darüber informiert werden, wie sie die Technik am besten einsetzen.

Für die Nahrungsproduktion ist Gentechnik aber nicht relevant?
Doch, in zwei Bereichen dürfte sie immer relevanter werden. Dabei geht es erstens um Dürreresistenz und zweitens um Ernährung, insbesondere die Überwindung der Defizite von Nährstoffen wie Eisen, Vitamin A und Zink. Die herkömmliche Pflanzenzüchtung macht auf beiden Feldern Fortschritte – aber nicht schnell genug. Der Klimawandel bedeutet, dass wir voraussichtlich schon bald Sorten brauchen, die mit deutlich weniger Wasser auskommen. Und Nährstoffgehalte sind wichtig, um Mangelernährung, den so genannten „stillen Hunger“, zu bekämpfen. Es gibt inzwischen vielversprechende Teststudien, zum Beispiel auch über den so genannten „Goldenen Reis“, der mehr Betakarotin enthält als konventionelle Reissorten. Wir sind also über theoretische Diskussionen inzwischen hinaus, und es geht um Umsetzung im Rahmen von angemessenen Regelungen biologischer Sicherheit.

Die Fragen stellte Hans Dembowski.