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Rauschgift

Opium: wichtige Säule des British Empire

Die Opiumkriege sind in westlichen Ländern mit hohen Einkommen weitgehend vergessen. Den Menschen ist nicht klar, dass die britische East India Company in der Ganges­ebene einen hochprofitablen, aber ausbeuterischen Narcostaat betrieb, um Opium mit hohem Suchtpotenzial nach China zu exportieren.
Ein französisch-britisches Heer zerstörte 1860 den Sommerpalast in Peking. picture-alliance/akg-images/akg-images Ein französisch-britisches Heer zerstörte 1860 den Sommerpalast in Peking.

Die britischen Kolonialherren zwangen bäuerliche Familien, Schlafmohn anzubauen, und kauften die Ernte zu sehr niedrigen Preisen. Sie wurde zu einer innovativen Opiumart, die besonders schnell süchtig machte, verarbeitet und nach China sowie in geringerem Maße Südostasien exportiert wurde. Dieses Drogengeschäft machte das Empire stark und half, seine Erweiterung zu finanzieren.

In einem neuen Sachbuch erläutert der indische Romanautor Amitav Ghosh, welche Rolle Opium für die Kolonialmacht spielte und welche Auswirkungen das bis heute hat. „Smoke and Ashes“ beruht großenteils auf den Recherchen, die er für seine Romantrilogie über den Hintergrund und Beginn des ersten Opiumkriegs (1839 bis 1842) anstellte. Er hat aber auch später erschienene historische Studien gelesen und berichtet mit gewissem Stolz, dass in zwei wichtigen Veröffentlichungen seine Romane als Inspiration genannt werden.

Brutaler Zynismus 

Ghosh empört sich zu Recht über den eklatanten Zynismus der Kolonialmacht. Die Briten behaupteten, wegen der starken Nachfrage dort sei es nötig, Opium nach China zu exportieren. Tatsächlich war Opium dort zuvor kaum gebräuchlich, und die neue, Sucht erzeugende Variante wurde schnell von immer mehr Menschen geraucht. Profiteure beklagten die schwache chinesische Moral, die das möglich mache. Zugleich stellten sie aber sicher, dass ihr Rauschgift im Mutterland nie leicht erhältlich wurde.

In Wirklichkeit schufen britische Handelsunternehmen die Opiumnachfrage in China, die sie dann bedienten. Der Beweis ist, dass die Exporte über lange Zeit rasant zunahmen. Wie Ghosh berichtet, lieferte die East India Company 1729 nur 200 Kisten Opium nach China, 1830 waren es 30 000 Kisten.

Als das chinesische Kaiserreich die Einfuhr untersagte, startete die britische Flotte im Ersten Opiumkrieg und forderte „Freihandel“. China wurde gezwungen, das Rauschgift zu importieren und obendrein Schadensersatz für vor dem Krieg konfiszierte und zerstörte Lieferungen zu leisten. Hongkong wurde zur britischen Kronkolonie im Perlflussdelta und als Handelszentrum ausgebaut. Im Zweiten Opiumkrieg (1856 bis 1860) unterstützten andere europäische Mächte die Briten. Das chinesische Kaiserreich wurde zu einem gescheiterten Staat, in dem Opium ein zentrales Handelsgut war.

Freihandelsrhetorik mit monopolistischem Agieren

Das British Empire forderte von China Freihandel, setzte aber in Ostindien ein Opiummonopol durch. Es gab keine Märkte, auf denen bäuerliche Familien gute Preise hätte erzielen können. Die East India Company schuf das Opium-Department als bürokratische Fachabteilung, die von Anbau über Verarbeitung und Ausfuhr alles kontrollierte. Sie war zuständig für ein Gebiet, das heute in den Bundesstaaten Uttar Pradesh, Bihar und Westbengalen liegt.

Das System war so ausbeuterisch, dass die landwirtschaftlichen Familien oft Verlust machten. Folglich, so Ghosh, suchten sie nach Möglichkeiten, einen Teil der Ernte auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Es drohten harte Strafen. Die Kolonialmacht schuf ein brutales Kontrollsystem, das aber – kaum überraschend – von Korruption befallen war. Es schuf bittere Armut und damit Anreize zu kriminellem Handeln, das in den Augen der Unterdrückten völlig legitim war.

Bihar steht bis heute im Ruf von Rückständigkeit, organisierter Kriminalität und Gewalt. Ghosh zufolge ist das kein Zufall. Auch dass der Marxismus in Kalkutta sehr einflussreich wurde, erklärt er zumindest zum Teil damit, dass der ökonomisch wichtige Opiumhandel in der Kolonialzeit staatlich monopolisiert worden war.

Andere indische Erfahrungen 

Schlafmohn wurde jedoch auch in einer anderen indischen Region angebaut, und auch dort wurde Opium zur Exportware. Es handelt sich um zentralindische Gebiete, die nicht direkt britischer Herrschaft unterstanden, sondern die nominell von Adelsfamilien regiert wurden. Allerdings war der jeweilige British President, der das Empire vertrat, regelmäßig der mächtigste Mann am Hof.

In einigen dieser Gegenden, die heute überwiegend auf dem Gebiet von Madhya Pradesh liegen, expandierte das Drogengeschäft schnell. Die Kolonialmacht sah ein, dass sie ohne eigene Verwaltung ihr Monopol nicht würde durchsetzen können, dass sie aber durch Besteuerung von dem Geschäft ordentlich profitieren konnte. Folglich gediehen auch indische Firmen mit Opiumgeschäften – von der Landwirtschaft bis hin zu Export und Transport. Ihr Handelszentrum war Bombay, das nach der Unabhängigkeit Indiens schnell zur Wirtschaftsmetropole des Landes wurde. Dass indische Unternehmen derart vom British Empire profitierten, hilft laut Ghosh auch zu verstehen, weshalb die indisch-chinesischen Beziehungen bis heute konfliktbeladen sind.

Der Wachstumsmotor, der Kalkutta, Bombay, Singapur und Hongkong zu Zen­tren des Welthandels machte, war Opium, wie Ghosh ausführt. Andere westliche Mächte profitierten ihrerseits, wobei Handelshäuser aus den USA sich auf das freihändige Bombay und nicht das monopolistische Kalkutta stützten. Europäische Imperialisten nutzten ihre asiatischen Kolonien.

Für China war der Opiumfluch selbstverständlich katastrophal. Menschen wurden massenhaft süchtig. Traditionelle Werte und bislang starke Institutionen erodierten. Das Vertrauen in staatliche Strukturen schwand ebenso wie das Vertrauen in Familie, Verwandtschaft und Nachbarschaft. Als Schlafmohnanbau auch in China begann, wurde das Rauschgift noch leichter erhältlich. In Europa wurde China „der kranke Mann Asiens“ genannt.

Ausgelöschte Erinnerung an den chinesischen Einfluss

Chinas Staatsspitze spricht heute von einem Jahrhundert der Demütigung. An dieser Formulierung ist mehr dran, als den meisten Menschen im Westen klar ist. Ghosh führt aus, dass der große Einfluss, den China zuvor gehabt hatte, weitgehend verdrängt wurde. Tatsächlich war das chinesische Kaiserreich ein exemplarischer früher Nationalstaat mit einer kulturell einheitlichen Bevölkerung, einer professio­nellen Verwaltung, einem kohärenten Regierungssystem und höherer Bildung. Vor den Opiumkriegen wurde China dafür in Europa bewundert. Danach verspotteten Kolonialmächte China wegen Korruption und Ineffizienz, von denen sie gleichzeitig profitierten und die zum großen Teil auf ihr eigenes Agieren zurückzuführen waren.

Bezeichnenderweise kopierte die East India Company ein chinesisches Vorbild, als sie begann, Mitarbeiter nach Leistungskriterien in formalisierten Wettbewerben zu rekrutieren. Später tat das auch das Mutterland daheim. Dass heutzutage ehrgeizige junge Menschen in Indien sich unter großem Stress auf die Examen des Indian Administrative Service vorbereiten, geht ursprünglich auf das Vorbild des chinesischen Kaiserreichs zurück.

Auch Tee stammt ursprünglich aus China. Das leicht stimulierende Getränk wurde im England des 18. Jahrhunderts so beliebt, das die Opiumpolitik nötig wurde. Der Hintergrund war, dass China so reich und so hoch entwickelt war, dass es keinen Bedarf an britischen Gütern hatte, sondern stets selber als Bezahlung forderte. Als den britischen Handelsunternehmen das Geld ausging, entdeckten sie, dass sie China Opium verkaufen konnten. In der Folge gedieh das Empire, aber das Kaiserreich wurde zum gescheiterten Staat.

Geschichte prägt, wie Menschen die Welt sehen. Das unterschiedliche Nationen unterschiedliche Erinnerungen pflegen und weitergeben, erschwert die wechselseitige Verständigung – und damit die internationale Zusammenarbeit.

Quellen

Amitav Ghosh, 2024: Smoke and Ashes. London: John Murray. Im März 2025 soll bei Matthes und Seitz (Berlin) die deutsche Ausgabe erscheinen. 

Ghoshs „Ibis-Trilogie“ besteht aus „Sea of Poppies“ (2008), „River of Smoke“ (2011) und „Flood of Fire“ (2015), auch bei John Murray erschienen. Auf Deutsch gibt es sie als Heyne-Taschenbücher („Das mohnrote Meer“, „Der rauchblaue Fluss“ und „Die Flut des Feuers“).

Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu