Brasilien
Kolonialismus und Umweltschutz in Brasilien
Als artenreichstes Land der Erde beherbergt Brasilien unter anderem weite Teile des Amazonas und das weltweit größte Binnenland-Feuchtgebiet, das Pantanal. Das Land strebt seit Langem eine globale Führungsrolle in Umweltfragen an. Jüngst verstärkte die Regierung ihre Bemühungen, die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen und die Vorbereitungen auf den Klimagipfel 2025 (COP30) voranzutreiben, der in Belém im Amazonasgebiet stattfinden wird.
Präsident Luiz Inácio Lula da Silva verfolgt in puncto Nachhaltigkeit eine grundlegend andere Linie als sein Vorgänger Jair Bolsonaro. Lula trat mit dem Versprechen an, die Umwelt und die Rechte Indigener zu schützen. Er ernannte erneut Marina Silva zur Umweltministerin und versprach, die Abholzung des Regenwalds bis 2030 zu beenden.
Dennoch sieht sich Brasilien mit den drastischen Folgen des Klimawandels konfrontiert, und die Regierung reagiert darauf offenkundig nicht adäquat. Im Mai verwüsteten schwere Regenfälle Teile des Südstaates Rio Grande do Sul, gefolgt von extremen Dürren und Bränden im Amazonas, im Pantanal und in Bundesstaaten wie Minas Gerais und São Paulo. Forschende warnen eindringlich, dass der Amazonas einen irreversiblen Kipppunkt erreichen könnte, mit gravierenden Folgen für Wirtschaft, Umwelt, Energieversorgung und öffentliche Gesundheit.
Das koloniale Erbe der Ausbeutung
Weshalb fällt Umweltschutz so schwer, obwohl der politische Wille angeblich vorhanden ist? Neben logistischen Herausforderungen und Ressourcenproblemen wirkt auch das koloniale Erbe des Landes fort – wie auch in anderen Bereichen. Die hohen Abholzungsraten im Amazonasgebiet sind auch das Ergebnis kolonialer Pläne zu wirtschaftlicher Ausbeutung und innerstaatlicher Migration, die soziale Spannungen mit sich brachten. Studien zufolge existieren noch uralte Wälder in Regionen, in denen indigene Bevölkerung lebt und der koloniale Einfluss schwächer war.
Unter jesuitischem Einfluss wurden Waldgebiete mit Kakaobäumen angereichert, und der Kautschukboom veränderte die Verteilung der Baumarten in mehreren Gebieten. In letzter Zeit wurde der Regenwald für Sojaanbau und Viehzucht gerodet. All das hat die Biodiversität des Amazonas und seine CO2-Bilanz erheblich beeinträchtigt.
Die Abholzung hängt mit kolonialen Ideen von Modernisierung und Fortschritt zusammen: Das Land sollte für wirtschaftliche Nutzung und Besiedlung erschlossen werden. Historisch wurde dies auch als entscheidend für die territoriale Integrität Brasiliens betrachtet, sowohl während als auch nach der Kolonialzeit. Der Nordwesten des Landes sollte beispielsweise bevölkert werden und prosperieren, um ausländischen Einfluss abzuwehren.
Ressourcengewinnung und landwirtschaftliche sowie infrastrukturelle Entwicklung sind bis heute von einer kolonialen Logik geprägt. Auch wenn sich diese Logik im Laufe der Zeit verändert hat, führte sie stets zu nicht nachhaltigen Praktiken, die sowohl der Umwelt als auch der indigenen Bevölkerung schaden.
Auch heute ist diese Denkweise noch in erheblichem Maße vorhanden, selbst bei jenen, die sich offiziell umweltfreundlich geben. So ließ die linksgerichtete Regierung von Dilma Rousseff einen großen Staudamm im nördlichen Bundesstaat Pará errichten, was heftige Kritik von Umweltschützer*innen nach sich zog. Die extrem rechte Regierung unter Jair Bolsonaro hingegen versuchte, indigene Völker zu vertreiben, um Landwirtschaft, Bergbau und große Infrastrukturprojekte voranzutreiben. Derzeit dringt Präsident Lula auf eine umstrittene Ölförderung an der Mündung des Amazonas, und der brasilianische Nationalkongress schränkte neulich die Landrechte indigener Gemeinschaften weiter ein.
André de Mello e Souza ist Ökonom am Ipea (Instituto de Pesquisa Econômica Aplicada), einem staatlichen Thinktank in Brasilien.
Twitter/X: @A_MelloeSouza