Indigene Völker
Die Yanomami sterben, und ihr Blut klebt an Bolsonaros Händen
Im Zuge der Demokratisierung Brasiliens gelang es den indigenen Völkern des Landes nach langem Kampf, ihr Territorium durch die Verfassung schützen zu lassen. Unter Präsident Jair Bolsonaro zeigte sich, dass Gesetze dafür nicht reichen.
Er machte nie einen Hehl daraus, indigenes Land für ausbeuterische und nicht nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zugänglich machen zu wollen – für den Goldabbau, aber auch für Landwirtschaft und Viehzucht.
Vor 30 Jahren hatte Bolsonaro, damals noch Kongressabgeordneter, im Repräsentantenhaus einen Gesetzesentwurf eingebracht, der eine Verordnung zur Abgrenzung des Landes der Yanomami von 1991 kippen sollte. Er scheiterte, kam aber, kaum zum Präsidenten gewählt, darauf zurück.
Während seiner Amtszeit behinderte Bolsonaro massiv Institutionen, die Indigene und das Amazonasgebiet schützen. Norwegische und deutsche Geber gewährleisteten seiner Regierung in der Folge keine volle Kontrolle über den Amazonasfonds, der erfolgreiche Projekte zum Schutz des Regenwaldes unterstützt. Somit wurden viele Projekte während eines Großteils seiner Amtszeit gar nicht gefördert.
Darüber hinaus finanzierte Bolsonaro wichtige Umweltschutzbehörden wie das Brasilianische Institut für Umwelt und erneuerbare natürliche Ressourcen (IBAMA) und das Chico-Mendes-Institut für den Erhalt der Biodiversität (ICMBio) zu wenig und entzog ihnen zum Beispiel die Befugnis, Ausrüstung zu zerstören, die für illegale Abholzung und Bergbau verwendet wird. Bolsonaro ging sogar so weit, Beamt*innen dieser Behörden strafrechtlich zu verfolgen, die nur versuchten, ihre Arbeit zu machen.
Gesetze und Vorschriften zum Schutz des Amazonaswaldes und seiner Ureinwohner schwächte er so weit ab, wie er es ohne Unterstützung des Kongresses konnte. Im Grunde sorgte er dafür, dass die Bundesregierung nicht in der Lage war, Gesetze zum Schutz der Umwelt und der verfassungsmäßigen Rechte der indigenen Bevölkerung Brasiliens durchzusetzen.
Die Yanomami sind mit zwischen 28 000 und 35 000 Angehörigen die größte dieser indigenen Gruppen. Ihr Land erstreckt sich über 96 000 Quadratkilometer – eine Fläche größer als Portugal – und liegt in Roraima und Amazonas, den nördlichsten Staaten Brasiliens. Das Gebiet wurde immer wieder von illegalen Goldgräbern und anderen Gruppen überfallen. Schon vor der Wahl Bolsonaros gab es oft Konflikte, die tödlich endeten.
Ab 2019 hat sich die Situation jedoch erheblich verschlechtert. Laut einer von der Hutukara-Yanomami-Vereinigung (HAY) veröffentlichten Studie nahm der illegale Goldabbau im Jahr 2022 um 54 Prozent zu. Mehr als 2000 Hektar Land der Yanomami wurden zerstört. Die Studie zeigt auch einen exponentiellen Anstieg der Abholzung durch den Bergbau seit 2018, als die Vereinigung mit der Überwachung dieser Aktivitäten begann. Das System zur Überwachung des illegalen Bergbaus basiert auf Bildmaterial von Constellation Planet, Satelliten mit hoher räumlicher Auflösung.
Geschätzt agieren etwa 20 000 Goldschürfer im Land der Yanomami. Berichten zufolge stehen sie in Verbindung mit kriminellen Organisationen, insbesondere mit Drogenhändlerbanden in São Paulo und Rio de Janeiro. Neben der Abholzung schädigt der illegale Goldabbau die Flüsse des Amazonas und beraubt die Yanomami und andere Indigene, die hauptsächlich von Fischfang und Jagd leben, ihrer Lebensgrundlage.
Die Bergleute nutzen hochgiftiges Quecksilber, um Gold von Rückständen zu trennen. Ein Bericht der brasilianischen Polizei zeigt, dass vier Flüsse im Land der Yanomami durch das Metall stark verseucht sind. Es gelangt durch den Verzehr von Fisch oder Wasser sowie durch die Haut oder Dämpfe in den Körper.
Die Minenarbeiter*innen brachten auch Corona und andere Krankheiten zu den Indigenen. Das trifft besonders Kinder und Ältere. Laut der Indigenous Peoples’ Association of Brazil (APIB), sind allein 2022 circa 100 Yanomami-Kinder gestorben, während Bolsonaros gesamter Amtszeit etwa 570. Daten des Gesundheitsministeriums belegen, dass zwischen 2019 und 2022 – Bolsonaros Amtszeit – deutlich mehr Yanomami an Unterernährung starben als in den vier Jahren zuvor.
Dinamam Tuxá, Exekutivkoordinator der APIB, sagt, dass die Yanomami in dieser Zeit schlechteren Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten. Der einzige Gesundheitsposten, den die Bundesregierung in der Nähe des Yanomami-Landes unterhielt, wurde geschlossen. Goldgräber zweigten Berichten zufolge Medikamente und medizinische Geräte ab.
Diese humanitäre Katastrophe kam nicht überraschend. Die Staatsanwaltschaft mahnt bereits seit einem Jahr, dass die Regierung nicht handelt, um die Goldsucher vom Land der Yanomami zu vertreiben. 2020 ordnete der Oberste Gerichtshof Maßnahmen zum Schutz der indigenen Gemeinschaften an, vor allem einen Aktionsplan zur Vertreibung der Eindringlinge vom Land der Yanomami und sechs anderen indigenen Gebieten. Zudem ordnete der Gerichtshof die Umsetzung eines Plans an, durch den Corona bekämpft, Ernährungssicherheit gefördert, Maßnahmen zur Gesundheitsversorgung verabschiedet und Sanitärbarrieren in indigenen Gebieten errichtet werden sollten. Indigene Vertreter*innen wendeten sich eigenen Angaben zufolge seit November 2020 mit mindestens 21 Hilferufen an die Regierung, Staatsanwaltschaft, Nationale Stiftung für indigene Völker (Funai) und brasilianische Armee, um auf die dramatische Lage ihrer Gemeinden hinzuweisen. Alle Bitten wurden ignoriert.
Unter Bolsonaro duldete die Regierung illegalen Bergbau und Abholzung weiter, wenn sie sie nicht gar förderte. Tatsächlich hatte die IBAMA bereits einen Plan, um den illegalen Bergbau im Land der Yanomami innerhalb von sechs Monaten durch Luft- und Flusskontrollen an von Umweltinspektoren kartierten Standorten auszumerzen. Er wurde nie umgesetzt. Der Oberste Gerichtshof prüft nun Beweise dafür, dass Bolsonaro angesichts der sich abzeichnenden Tragödie falsch über die Lage der Yanomami informiert hat.
Ende Januar 2023 hat die neu gewählte Bundesregierung unter Luiz Inácio Lula da Silva begonnen, kranke Indigene in Kliniken in Boa Vista, der Hauptstadt von Roraima, zu bringen. Derzeit sind etwa 700 Yanomami im Krankenhaus. Lula befahl auch dem Militär, die Yanomami aus der Luft mit Essen und Medikamenten zu versorgen. Deren Gebiet ist jedoch weitläufig und abgelegen, und es fehlt an grundlegender Infrastruktur und Landebahnen.
Die neue Regierung hat zudem eine Operation eingeleitet, um illegale Goldgräber aus dem Yanomami-Territorium zu vertreiben. Truppen der Streitkräfte und Vertreter der IBAMA sowie der Polizei sind daran beteiligt. Das Schicksal der großen Zahl von Armut bedrohter Menschen, die vom illegalen Goldabbau leben, zeigt, vor welchen weiteren großen sozialen Herausforderungen Brasilien steht.
Der neue Justizminister Flávio Dino hat nun die brasilianische Polizei angewiesen, zu untersuchen, ob Bolsonaro und seine Regierung Völkermord begangen haben, und auch die Staatsanwaltschaft untersucht mögliche Verbrechen an den Yanomami. Darüber hinaus hat die APIB in einer beispiellosen Initiative einer indigenen Organisation eine Klage beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag eingereicht, um die Regierung Bolsonaro des Völkermordes zu überführen. Bolsonaro kann jedoch nur dann vor den IStGH gebracht werden, wenn es der brasilianischen Justiz nicht gelingt, ein faires Verfahren durchzuführen.
Anhand der Yanomami zeigt sich deutlich, dass das Schicksal des Regenwaldes untrennbar mit dem seiner ersten Bewohner verbunden ist. Die vom brasilianischen Nationalen Institut für Weltraumforschung (INPE) veröffentlichten Satellitenbilder zeigen, dass es sich bei den am besten erhaltenen Teilen des Amazonaswaldes um die Gebiete handelt, die als indigenes Land ausgewiesen sind. Handeln die Regierungen weiter wegen hoher und direkter Profite auf Kosten der ökologischen Nachhaltigkeit und Biodiversität, werden die Yanomami nur die Ersten von vielen sein, die sterben.
André de Mello e Souza ist Wirtschaftswissenschaftler bei Ipea (Instituto de Pesquisa Econômica Aplicada), einer staatlichen Denkfabrik in Brasilien.
andre.demelloesouza@alumni.stanford.edu
Twitter: @A_MelloeSouza