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Ökosysteme

Eine Zukunft für das Pantanal

Am Dreiländereck von Brasilien, Bolivien und Paraguay liegt das weltweit größte Binnenland-Feuchtgebiet: das Pantanal. Es ist halb so groß wie Deutschland und beherbergt eine enorme Artenvielfalt. Allerdings bedroht immer stärkere landwirtschaftliche Nutzung das ökologische Gleichgewicht. Die brasilianische Biologin und Umweltwissenschaftlerin Cláudia Regina Sala de Pinho erklärt den Zusammenhang zwischen Biodiversität, Landwirtschaft und traditionellen Gemeinschaften in der Region.
Das Pantanal beherbergt eine große Artenvielfalt, unter anderem den Paraguay-Kaiman. Das Pantanal beherbergt eine große Artenvielfalt, unter anderem den Paraguay-Kaiman.

Sie stammen aus einer traditionellen Gemeinschaft im Pantanal und haben sich als Wissenschaftlerin intensiv mit der Region beschäftigt. Wie leben die Menschen in diesem Naturraum?

Die meisten leben in traditionellen Gemeinschaften und bezeichnen sich selbst kollektiv als „Pantaneiros“. Viele von ihnen sind – wie auch ich selbst – eine Mischung aus Schwarzen und Indigenen. Ihre Lebensweise ist untrennbar verbunden mit der Flut und der Trockenheit der Region. Wie genau die Gemeinschaften leben, hängt davon ab, wo im Pantanal sie ansässig sind. Manche leben von der Fischerei, andere von familiärer Landwirtschaft, wieder andere vom Sammeln von Nüssen oder Früchten.

Können sich die Gemeinschaften damit selbst versorgen?

Vor einigen Jahren war das noch stärker der Fall. Die Klimaerwärmung und andere Faktoren verändern die Zyklen der Wasserversorgung im Pantanal, das ist ein Problem. Gerade die Menschen, die traditionell von familiärer, kleinbäuerlicher Landwirtschaft leben, können sich aber durchaus zu großen Teilen selbst versorgen. Der Anbau ist meist sehr divers: Die Menschen hegen Gärten mit Gemüsebeeten und sie pflanzen Mais, Maniok und andere Sorten für den täglichen Bedarf an. In der Regel bestellen sie nicht jedes Jahr dasselbe Stück Land, sondern wechseln. Das ist nachhaltig, weil sich so der Boden erholen kann und keine neuen Flächen entwaldet werden müssen. (Zur Rolle traditioneller kleinbäuerlicher Betriebe für die globale Ernährung siehe Parviz Koohafkan auf www.dandc.eu.)

Welche Rolle spielen große Sojaplantagen, von denen es in der Region immer mehr gibt?

Meistens handelt es sich dabei um Monokulturen, das ist schlecht für die Biodiversität. Diese größeren Farmen bedrohen auch die kleinbäuerliche Lebensweise: zum einen, weil sie viel günstiger produzieren können, zum anderen, weil sie im großen Stil Land für ihre Plantagen aufkaufen. Insbesondere im vergangenen Jahrzehnt wurden für landwirtschaftliche Nutzflächen auch Regionen sehr nahe am Pantanal abgeholzt. Das führt direkt zum Verlust von Artenvielfalt. Die Sojaplantagen setzen außerdem große Mengen an Pestiziden ein. In einer Gemeinde nahe der Kleinstadt Poconé haben wir sie bereits im Boden nachgewiesen. Das hat Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen. Aber die Pestizide beeinflussen auch die Ernährungssicherheit, denn mit den Giftstoffen im Boden wächst oft außer Soja fast gar nichts mehr.

Mit welchen Herausforderungen haben traditionelle Gemeinschaften zu kämpfen?

Es gibt sehr viele. Eine der größten ist die fehlende Anerkennung und Sichtbarkeit. Das gilt für ganz Brasilien und speziell im Pantanal. Zwar gibt es den nationalen Rat der traditionellen Völker und Gemeinden, der ein gewisses Mitspracherecht ermöglicht. Dennoch ist es für diese Gemeinschaften noch immer sehr schwierig, politisch wahrgenommen zu werden. Außerdem breiten sich hier im Pantanal immer mehr Unternehmen aus. Zusätzlich zu der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung werden auch immer mehr Wasserkraftwerke gebaut.

Inwiefern beeinträchtigt das traditionelle Gemeinschaften?

Keines dieser Projekte nimmt Rücksicht auf sie. Wir kämpfen deshalb dafür, dass die Menschen an den Entscheidungen in der Region teilhaben können. Laut der Konvention 169 der ILO (International Labour Organization – Internationale Arbeitsorganisation) haben traditionelle Gemeinschaften das Recht, in allen Prozessen, die sie und ihre Lebensweise oder ihr Land beinträchtigen könnten, gehört zu werden. Ein Beispiel: Viele der traditionellen Gemeinden leben vom Fischfang. Der Bau von Wasserkraftwerken beeinflusst den Wasserstand in den Flüssen und damit die Möglichkeit zu fischen. Durch den künstlichen Eingriff in den Wasserstand ist es für die Gemeinden unvorhersehbar geworden, wann man gut fischen oder anbauen kann und wann die Flut kommt. Anfang 2022 wurde etwa die Gemeinde Porto de Limão plötzlich geflutet, weil ein Wasserkraftwerk das angestaute Wasser abgelassen hat. Fluten sind im Pantanal zwar normal – aber eigentlich kommen sie vorhersehbar mit der Regenzeit. Auf diese Flut waren die Bewohnerinnen und Bewohner nicht vorbereitet, sie hat die ganze Aussaat ruiniert. Das hat die öffentliche Hand aber nicht wirklich interessiert.

Abgesehen von direkter Hilfe – weshalb ist es auch auf übergeordneter Ebene wichtig, die traditionelle Lebensweise von Pantaneiros zu schützen?

Weil das zugleich bedeutet, die Biodiversität zu schützen und damit unsere gemeinsame Heimat, das Pantanal. Die verschiedenen Gemeinden hier kennen das Pantanal besser als alle anderen. Sie wissen, dass ihre Lebensweise von einem intakten Ökosystem abhängt, also bewahren sie es. Sie sind die Hüter dieser Region. Das ist nichts Neues: Das Pantanal existiert heute nur so, weil es in den vergangenen Jahrhunderten Menschen gab, die darin arbeiteten, auf seinen Flüssen fuhren und dort ihr Leben gelebt haben – immer unter Berücksichtigung der Gezeiten. Wenn wir also heute darüber sprechen, dieses Ökosystem zu bewahren, dann bedeutet das primär auch, die Lebensweisen der Menschen hier zu bewahren und sie zu stärken, damit sie sich auch in Zukunft um das Pantanal kümmern können.

Außenstehenden kann es so vorkommen, als übernähmen Frauen in den Gemeinschaften des Pantanals besonders häufig Führungsrollen. Ist das so?

Ja, die Mehrheit der Gemeinschaften wird von Frauen angeführt, viele sind matriarchal organisiert. Früher war meine Großmutter die Anführerin der Gemeinschaft, aus der ich komme. Heute ist es meine Tante. Viele Frauen hier sorgen für ihre Familien, aber auch für die Gemeinschaften und die Region insgesamt. Mir wurde von meiner Mutter beigebracht, mich aktiv einzubringen. „Geh und mach“, hat sie oft zu mir gesagt – und dass meine Stimme genauso wichtig sei wie die irgendeiner anderen Person.

Wie setzen Sie sich für die Menschen im Pantanal ein?

Ich spreche mit den Gemeinschaften, nehme ihre Anliegen auf und trage sie in die Politik, damit Instrumente entwickelt werden können, die wiederum den Gemeinschaften helfen.

Was motiviert Sie persönlich?

Meine Motivation rührt zweifellos daher, dass im Pantanal meine Wurzeln liegen. Davon abgesehen weiß ich aber auch, dass wir dieses Ökosystem und die Menschen darin wertschätzen müssen, damit es weiter existieren kann. Meine Arbeit ist in dem ganzen Prozess nicht mehr als ein Tropfen im Rio Paraguay, einem der großen Flüsse im Pantanal. Nur weil viele Leute zusammenarbeiten, können wir auch etwas erreichen.

Auf welche Erfolge können Sie zurückblicken?

Ein Erfolg war, dass die hier ansässigen traditionellen Gemeinschaften 2008 in das Gesetz des Pantanals aufgenommen wurden. Das garantiert viele unserer Rechte.

Gab es auch Rückschläge?

Ja, vor allem unter der nun abgewählten Regierung von Jair Bolsonaro. Viele Programme zur Unterstützung der Menschen hier wurden ausgesetzt, zum Beispiel das Programm für ländliches Wohnen. Es sollte den Menschen helfen, angemessenen Wohnraum zu bekommen. Wir waren gerade dabei, die Daten dafür zu erheben, als es ausgesetzt wurde. Auch viele Programme rund um das Thema Ernährungssicherheit, die geholfen haben, dass die Menschen hier wohnen bleiben konnten, wurden gestrichen. Früher gab es auch Programme, die Saatgut verteilt oder Biolandwirtschaft gefördert haben. Sie liegen jetzt alle auf Eis. Außerdem sind die Subventionen für die Förderung von lokalen Wertschöpfungsketten zurückgegangen. Früher wurden zum Beispiel das Sammeln der Barunuss, einer lokalen Nussart, oder die Ölgewinnung aus der Babassupalme unterstützt. Speziell die Programme, die kleinbäuerliche Betriebe unterstützt haben, wurden abgeschafft.

Haben Sie Hoffnung, dass die neu gewählte Regierung unter Lula da Silva die traditionellen Gemeinden in der Region besser im Blick hat?

Ja, ich habe Hoffnung, dass wir einige der Rückschritte wieder rückgängig machen können. Ich hoffe, dass die neue Regierung die Minderheiten wieder besser auf dem Schirm hat und sich für sie und ihre Lebensweisen einsetzt.


Cláudia Regina Sala de Pinho ist Biologin und Umweltwissenschaftlerin und stammt aus einer traditionellen Pantaneiro-Gemeinschaft. Bis vor kurzem koordinierte sie den nationalen Rat der traditionellen Völker und Gemeinden in Brasilien. claudiapantanal77@gmail.com