Politische Institutionen

Überholungsbedürftige Strukturen

Die Globalisierung hat die Welt mehr verändert, als es viele Akteure in der internationalen Politik wahrhaben wollen. In den kommenden Jahren ist weltweit ein noch tiefgreifenderer politischer Wandel zu erwarten. Deutschland und Europa müssen sich darauf einstellen – und den Wandel mitgestalten.
Japanisches Fangschiff und afrikanisches Fischereiboot vor der senegalesischen Küste: Überfischung ist ein globales Problem. Gunnartz/Lineair Japanisches Fangschiff und afrikanisches Fischereiboot vor der senegalesischen Küste: Überfischung ist ein globales Problem.

Trotz einiger Fortschritte wie der Verabschiedung der Millennium Development Goals (2000) und ihrer Nachfolger, der Sustainable Development Goals (2015), oder der Paris Declaration on Aid Effectiveness (2005) und dem Pariser Klimabkommen (2015) verstärken sich die Fehlentwicklungen im globalen Gebersystem.

Die Trendumkehr muss in Europa beginnen. Heute verfolgt jedes EU-Mitglied seine eigene Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. In Zukunft muss daraus eine gemeinsame Politik werden. Nur so kann die EU echten Einfluss auf multilaterale Organisationen nehmen – von den UN über Weltbank und Internationalen Währungsfonds (IWF) bis hin zur jungen, auf chinesische Initiative hin gegründeten Asiatischen Infrastrukturinvestitionsbank. Sie muss mit einer Stimme sprechen. Mit Donald Trump als US-Präsident kann sich Europa sicherlich nicht mehr darauf verlassen, dass die westliche Führungsmacht die Dinge schon richten wird.

Die Entwicklungspolitik ist auf geradezu beispielhafte Weise immer auf nationale Egoismen fokussiert. Die Geberländer – einschließlich der EU-Mitglieder – haben ihre Politik noch immer nicht durch stimmige, internationale Reformen harmonisiert, wie es den Paris-Prinzipien entspräche. Andererseits stellen neue Geber wie China, Indien oder Brasilien die bisherigen OECD-Spielregeln in Frage. Viele Partner aus Asien, Afrika und Lateinamerika akzeptieren die Politik der neuen Geber, obwohl auch diese sich wenig um die Aid-Effectiveness-Kriterien kümmern, kritisieren derweil aber die etablierten Geber immer offener.

Die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte erfordern grundlegende Strukturreformen. Zwar wird es noch einige Zeit konventionelle Entwicklungspolitik für arme Länder geben müssen. Aber deren ökonomische Integration in die Regional- und Weltmärkte dürfte immer besser gelingen.

Es liegt im globalen Interesse, dass Geberländer nicht auf Armutsbekämpfung fokussiert bleiben, sondern strategische Investitionen dort fördern, wo globale öffentliche Güter in Gefahr sind, etwa durch Waldvernichtung, Überfischung der Weltmeere, instabile Finanzmärkte und den Klimawandel. Auch die Einhaltung der Menschenrechte, gute Regierungsführung und der Kampf gegen Korruption sind wichtig. Diese Dinge betreffen aber nicht nur die Entwicklungspolitik – Demokratie und Menschenrechte müssen heutzutage selbst innerhalb der EU verteidigt werden.

Reformen sind besonders in Europa notwendig. Das gilt abermals nicht nur für die Entwicklungspolitik, aber auch für sie. Die ständig wachsende Fragmentierung der internationalen Zusammenarbeit ist anachronistisch, ineffizient und kostenträchtig. Wegen nationaler Eigeninteressen gibt es unzählige Durchführungsorganisationen, rund zwei Dutzend Entwicklungsbanken sowie Hunderte multilaterale Programme. Diese Unübersichtlichkeit führt nicht zu überzeugenden Ergebnissen.   

Es wäre sinnvoll, die Kompetenz für die bilaterale ODA (Official Development Assistance) nach Brüssel zu verlagern. Die EU-Mitgliedsländer sollten dem Vorschlag des ehemaligen IWF-Direktors Michel Camdessus folgen und eine europäische Entwicklungsbank gründen, deren Nukleus beziehungsweise Modell die deutsche KfW sein könnte. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und die Europäische Investitionsbank (EIB) sollten darin integriert werden.

Entwicklungsagenturen in den EU-Ländern wären nicht mehr Subventionsempfänger ihrer Regierungen, sondern bewürben sich in Ausschreibungsverfahren um die Durchführung internationaler Vorhaben. Wettbewerb dient bekanntlich der Qualität. Starke und erfolgreiche nationale Durchführungsorganisationen wie die deutsche GIZ könnten selbstverständlich im Auftrag der EU arbeiten.  

In Deutschland sollten das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) von einem neuen Ministerium abgelöst werden. Dieses neue Ressort sollte mit der nationalen Koordination aller globalen Fragen, der Gesamtverantwortung für alle ODA-Mittel und der klassischen nationalen Außenpolitik betraut werden. Zuständigkeiten für die Zusammenarbeit mit den Organisationen der internationalen Zivilgesellschaft würden ebenfalls in diesem Ministerium zusammengeführt.

Das neue Ministerium wäre in vieler Hinsicht dem heutigen BMZ ähnlicher als dem AA, denn seine wichtigste Aufgabe wäre nicht die Vertretung spezifisch deutscher Anliegen, sondern Einsatz für das internationale Gemeinwohl. Ohnehin wird die Außenpolitik der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten umso unbedeutender, je mehr die europäische Außenpolitik zu einer gemeinsamen wird, die der europäische diplomatische Dienst vertritt.

Skeptiker mögen einwenden, es sei eine Illusion, die EU könne in Zeiten des wachsenden Populismus gestärkt werden. Der Austrittsbeschluss der Briten bei der Volksabstimmung in Juni habe das bewiesen. Die Vorstellung, 28 europäische Nationalstaaten könnten – jeder für sich – globalen Wandel in ihrem Interesse beeinflussen, ist jedoch absurd. Brexit ist für die EU sicherlich ein Rückschlag, kann sich aber auch als Chance erweisen. London wehrt sich beispielsweise bislang gegen stärkere militärische Integration innerhalb der EU. Dieses Thema ist unbequem, muss aber im Sinne einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik sorgfältig erwogen werden.

Was die Entwicklungspolitik angeht, sind Wirkung und Effizienz unterdessen wichtiger als die Höhe der Finanzmittel. Anstelle einer Fixierung auf die ODA-Quote von 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts sollte eine Selbstverpflichtung der Geberländer, einschließlich der Schwellenländer als „neue Geber“, treten, jährlich fünf Prozent ihres nationalen Budgets für ODA und internationale Investitionsvorhaben einzusetzen – vor allem, um globale öffentliche Güter zu schützen. Zugleich muss die Wirkung der Entwicklungspolitik endlich besser gemessen und evaluiert werden. Bislang evaluieren Durchführungsorganisationen und Staaten ihre eigene Arbeit mit fragwürdigen Methoden selbst. Stattdessen sollten Partnerländer und unabhängige internationale Sachverständige Wirkungsanalysen nach einheitlichen Standards vornehmen.

Echte Partnerschaft und Eigenverantwortung müssen den entwicklungspolitischen Paternalismus der Geber ablösen. Empfängerländer lehnen die Strukturen der OECD-Länder zunehmend ab, und die Kritik seitens afrikanischer Forscher und Regierungsvertreter kann nicht einfach ignoriert werden. Es ist ein Unding, dass Länderreferate von Geberregierungen mehr Einfluss auf die Entwicklung von Ländern haben als deren eigene Regierung. Budgethilfe, insbesondere sektorale Hilfe und Gemeinschaftsfinanzierungen, haben Priorität vor klassischer Programm- oder Projekthilfe. Dazu kommen mehr Transparenz und Rechenschaftslegung.

 

Eckhard Deutscher ist ehemaliger Vorsitzender des Entwicklungsausschusses (DAC) der OECD und ehemaliger Exekutivdirektor der Weltbank.

Erich Stather ist ehemaliger Staatsekretär im BMZ (1998 – 2009).
eddst@t-online.de

 

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