Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Dekolonisierung

Entwicklungspolitik und Kolonialismus: Ein altbekanntes Thema

Koloniale Machtstrukturen wirken sich bis heute auf die Entwicklungszusammenarbeit aus – trotz jahrzehntelanger Debatten darüber. Dekolonisierung erfordert konkretes Handeln und Respekt für lokale Expertise.
Es kommt darauf an, lokale Bedürfnisse zu verstehen. Somalische NGOs bereiten während des Ramadan das Fastenbrechen in einem Flüchtlingslager bei Mogadischu vor. picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Farah Abdi Warsameh Es kommt darauf an, lokale Bedürfnisse zu verstehen. Somalische NGOs bereiten während des Ramadan das Fastenbrechen in einem Flüchtlingslager bei Mogadischu vor.

Entwicklungspolitische Projekte beruhen auf transaktionellen Verträgen, bei der eine Seite bezahlt und die andere etwas bekommt. Dabei von gleichberechtigter „Partnerschaft“ zu sprechen, findet Chilande Kuloba-Warria irreführend. Die Gründerin und Direktorin des Warande Advisory Centre, einem Beratungszentrum für zivilgesellschaftliche Organisationen in Nairobi, stellt klar: „Es gibt nach wie vor ein ‚wir‘ und ein ‚die‘. ‚Wir‘, das sind die Menschen aus den Ländern, die Entwicklungshilfe empfangen. ‚Die‘ senden uns diese Hilfe.“

Alles andere sei „White Washing“. Sie wendet sich damit gegen Versuche, Machtgefälle mit inklusivem Vokabular zu übertünchen. Tatsache sei, dass typischerweise weiße NGO-Vertreter*innen solche Schönfärberei betreiben. Tatsächlich gebe es ohne ungleiche Machverhältnisse gar keine Entwicklungspolitik.

Wer behauptet, „keine Farbe zu sehen“, verweigert sich der Realität. Solche Aussagen seien oft gut gemeint, negierten aber die spezifischen Herausforderungen nichtweißer Menschen. Für Kuloba-Warria zeugt eine solche Haltung auch indirekt von fehlendem Respekt.

Die Kolonialvergangenheit wirkt auf vielfache Weise in der Entwicklungszusammenarbeit fort. Dass ein adäquater Dekolonisierungsprozess bisher in diesem Arbeitsfeld fehlt, war Anlass einer Online-Veranstaltung des zivilgesellschaftlichen Verbandes Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe (VENRO) Ende August. Dabei wurde auch ein VENRO-Bericht zum Thema vorgestellt.

Für ihn hat die frühere E+Z-Redakteurin Katja Dombrowski Interviews mit NGO-Personal geführt. Eine ähnliche Publikation hat auch Kuloba-Warria verfasst. 

Diese Themen sind alles andere als neu. Bereits vor mehr als 30 Jahren entstand die „Post-Development“-Bewegung, als beispielsweise der Ethnologe Arturo Escobar oder der Soziologe Wolfgang Sachs das gesamte Konzept der Entwicklung für gescheitert erklärten – und es als Fortschreibung des Kolonialismus interpretierten. Ein aktueller Vertreter dieser Denkrichtung ist Aram Ziai von der Universität Kassel, der sich im Sommer 2020 auf dandc.eu zum Thema geäußert hat. Er hat an anderer Stelle aber auch eingeräumt, dass das Entwicklungskonzept durchaus emanzipatorische Elemente habe, welche kritische Stimmen oft übersähen. 

Emanzipatorisches Potenzial nutzen

Ein Kernproblem dieser Debatte verbirgt sich in der Vorsilbe „Post“. Sina Aping vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag (BER) erklärte am Beispiel des Wortes „Postkolonialismus“: Das Präfix weise nicht auf das tatsächliche Ende des Kolonialismus hin, sondern auf seinen fortwährenden Einfluss trotz formal vollzogener Dekolonialisierung im Sinne staatlicher Souveränität. Aus Apings Sicht geht es daher bei der angestrebten Dekolonisierung darum, vielschichtige koloniale Hinterlassenschaften zu überwinden. Dafür sei stete Konfrontation mit eigenen Vorurteilen ebenso wie Fortbildung und Diversifizierung der Führungsebenen nötig. Sie bedauert, dass der Abbau kolonialer Kontinuitäten bei den UN-Zielen für Nachhaltigkeit (SDGs – Sustainable Development Goals) nicht vorkommt.

Auch das Schlagwort „Post-Development“ sollte nicht so verstanden werden, dass die Ära der Entwicklungspolitik vorbei sei. Es gilt vielmehr, ihr emanzipatorisches Potenzial zu nutzen. Für Kuloba-Warria heißt das unter anderem, dass Dekolonisierung auf der lokalen Ebene stattfinden muss. Planung und Entscheidungen müssten von Erfahrungen und Wünschen der Betroffenen, deren Situation besser werden soll, geprägt sein. Bereits existente Kapazitäten und Fähigkeiten müssten anerkannt und auch genutzt werden. Das könne dann bedeuten, dass geldgebende Organisationen flexibler mit Regeln, Vorschriften und Ergebnisindikatoren umgehen müssen, was wiederum häufig größere Risikobereitschaft erfordere. Der VENRO-Report empfiehlt entsprechend unter anderem „Bürokratieabbau“ als Dekolonisierungsmaßnahme.

Kuloba-Warria betont das Machtgefälle zwischen Geldgebern und -empfängern. Diese Beziehung sei sehr anfällig für das Fortbestehen kolonialer Haltungen. Sie zitiert aus einem ihrer Interviews: „He who has and controls resources will always wield the power“.

Links
Dombrowski, K., 2022: Shifting Power. Wie entwicklungspolitische und humanitäre Nichtregierungsorganisationen den Folgen von Kolonialismus in ihrer Arbeit begegnen können. Berlin, VENRO (5 MB, English version available) 
https://venro.org/fileadmin/user_upload/Dateien/Daten/Publikationen/Studien_Berichte/Venro_Report_ShiftingPower_WEB.pdf

Kuloba-Warria, C., 2023: Implications of the Istanbul principles and the DAC CSO recommendation on enabling civil society for ICSOS.
https://csopartnership.org/wp-content/uploads/2023/04/Implications-of-Istanbul-Principles-and-DAC-recommendations-on-enabling-civil-society-v1.pdf

Katharina Wilhelm Otieno ist Redakteurin bei E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu

 

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Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.