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Wirtschaftspresse

Das größte Risiko

Die Financial Times ist Europas wichtigste Wirtschaftszeitung. Sie veröffentlicht oft präzise Analysen. Vor einigen Wochen hat Martin Wolf, chief economics commentator des Blattes, sich in zwei Kolumnen mit dem Klimawandel beschäftigt (15. und 22. Mai). Seine Worte verdienen Aufmerksamkeit.
Andean glaciers are shrinking due to global warming. Dembowski Andean glaciers are shrinking due to global warming.

Wolf diagnostiziert, dass "alle Diskussionen über den Klimawandel sich als leere Worte herausgestellt haben". Die Menschheit habe "kollektiv gegähnt und beschlossen, die Gefahren weiter ansteigen zu lassen". Einige seiner Zeilen über Klimawandel und makroökonomische Politik verdienen in voller Länge zitiert zu werden:

„Der Treibhauseffekt gehört zum Einmaleins der Wissenschaft (...). Die Menschheit betreibt mit der einzigen Heimat, die sie hat, ein riesiges, unkontrolliertes und mit hoher Wahrscheinlichkeit irreversibles Experiment. Dabei ist der Grundlagenforschung und der großen Mehrheit der qualifizierten Wissenschaftler zufolge das Risiko katastrophaler Veränderungen hoch.

Was die Untätigkeit noch bemerkenswerter macht ist, dass solch eine Hysterie über fatale Folgen überbordender Staatsverschuldung für unsere Kinder und Enkelkinder erzeugt wurde. Dabei werden lediglich die finanziellen Forderungen einiger Menschen an andere Menschen vererbt. Im schlimmsten Fall wird es zu Zahlungsunfähgikeit kommen, die einige Menschen unglücklich macht. Aber das Leben wird weitergehen. Einen Planeten im Klimachaos zu vererben ist von größerer Tragweite. Wir Menschen können nirgendwo anders hin – und das Klimasystem kann nicht zurück auf Null gesetzt werden. Wenn wir also rational unsere öffentlichen Ausgaben betrachten, sollten wir unbedingt auch ebenso rational mit etwas Irreversiblem und wesentlich Kostspieligerem umgehen.“

Wolf erkennt mehrere Gründe für die kollektive Untätigkeit:

·      die große Relevanz fossiler Brennstoffe für moderne Wirtschaftssysteme,

·      prinzipielle Opposition gegen Staatseingriffe in Märkte,

·      die Dringlichkeit der Finanzkrise von 2008, die Entscheidungsträger von anderen Problemen abgelenkt hat,

·      die Hoffnung, irgendwann eine technische Lösung für die Erderwärmung zu finden,

·      die Schwierigkeit sich auf effektive und durchsetzbare weltweite Klimaregeln zu einigen,

·      die Gleichgültigkeit der Menschen gegenüber dem Schicksal künftiger Generationen und

·      eine ähnliche Gleichgültigkeit reicher Nationen gegenüber ärmeren Ländern.

Wolf möchte sich mit diesem Zustand allerdings nicht zufrieden geben. In seiner zweiten Kolumne listet er Strategien auf, die helfen könnten: Kohlendioxidsteuern, Atomenergie, härtere Emmissionsrichtlinien, Begünstigungen nicht-fossiler Energien im Welthandel, finanzielle Förderung von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz, Staatsinvestitionen in Wissenschaft und Entwicklung, Investitionen in die Anpassung an den Klimawandel und die Prüfung aller Optionen von Geo-Engineering. Seine düstere Bilanz ist aber:

"Bislang ist jeder Versuch gescheitert, so umzusteuern, dass die Treibhausgasemissionen nicht ständig weiter zunehmen. Dabei wird es vorerst bleiben. (...) Nur die Bedrohung durch unmittelbar bevorstehende Katastrophen wird das ändern – und dann kann es zu spät sein."

Um Wolfs Botschaft zu würdigen, braucht es keine vollkommene Übereinstimmung mit seinen Argumenten. Die meisten Deutschen, einschließlich der Bundesregierung, halten es für absurd zu versuchen, die Gefahren des Klimawandels mit Risiken vom Typ Fukushima zu reduzieren und dabei künftigen Generationen  giftigen radioaktiven Müll zu hinterlassen. Zudem sind Umsetzbarkeit und Risiken des Geo-Engineerings bisher noch nicht ausreichend erforscht. Entsprechend regt Wolf nur dazu an, die Option zu prüfen. Solche Erwägungen sind aber noch keine wirkungsvolle Politik.

Beachtlich ist, dass der Chefvolkswirt der FT Staatsausgaben für Klimaschutz recht gelassen sieht. Inflation muss eingedämmt werden, aber sie ist derzeit nur eine theoretische Gefahr. Die Verbraucherpreise steigen überall in der reichen Welt recht langsam. Die Menschheit kann es sich aber nicht länger erlauben, Investitionen in eine saubere Energieinfrastruktur hinauszuschieben. Selbst der strengste Stabilitätspolitiker sollte einsehen, dass eine im Klimachaos versinkende Welt keine Geldwertstabilität bietet. Ernteausfälle haben in den vergangenen Jahren zu enormen Anstiegen der Lebensmittelpreise geführt. Dagegen hilft strikte Begrenzung der Staatsausgaben nichts. Haben wir nicht bereits genug Stürme, Dürren und Fluten erlebt?

Wolf schildert die Dinge mit der Dringlichkeit und Verzweiflung, die normalerweise Umweltaktivisten an den Tag legen. Offensichtlich wird das Problem immer drängender – und obwohl einige Maßnahmen getroffen wurden, ist noch viel mehr zu tun. Und zwar schnell.

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Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.