Makroökonomie
Zentralbanken beachten zunehmend ökologische Risiken
Die Auswirkungen der globalen Erhitzung und der Naturzerstörung bedrohen die makroökonomische Stabilität (stabiles Wachstum und stabile Preise) sowie die Finanzstabilität (funktionierendes Finanzsystem ohne Krisen). Verursacht haben vor allem Länder mit hohen Einkommen die ökologische Krise, aber die Folgen belasten Entwicklungs- und Schwellenländer besonders stark. Entsprechend stehen nun vor allem Zentralbanken und Finanzregulierer (ZBFR) in diesen Ländern vor der Aufgabe, die mit dem Klimawandel und der Naturzerstörung verbundenen Risiken für die Wirtschafts- und Finanzstabilität zu begrenzen.
Viele ZBFR wollen zudem die Nachhaltigkeitspolitik ihrer Regierung unterstützen. Sie prüfen folglich, wie sie den Finanzsektor zu mehr Nachhaltigkeit bei Investitionsentscheidungen bewegen können.
Fünf Gründe
Es gibt mindestens fünf Gründe, warum sich ZBFR mit dem Klimawandel und dem Verlust von Ökosystemen befassen sollten:
- Die Folgen der Umweltkrise betreffen das Kernmandat der ZBFR, die makroökonomische und finanzielle Stabilität zu wahren. Mittlerweile ist weithin anerkannt, dass die physischen und Transitionsrisiken des Klimawandels und des Naturverlusts Finanzrisiken mit sich bringen, die gemindert und kontrolliert werden müssen. Darüber hinaus ist zunehmend gut dokumentiert, dass Klimaauswirkungen auch die makroökonomische Stabilität und die Preisstabilität gefährden können. ZBFR müssen solche Zusammenhänge verstehen, um angemessen reagieren zu können.
- Zentralbanken müssen die Auswirkungen klima- und naturbezogener Risiken auf ihre eigene Bilanz berücksichtigen. Zentralbanken versuchen die Inflation nicht nur durch Änderungen der Leitzinsen zu kontrollieren, sie steuern die Geldmenge auch, indem sie Finanzanleihen in sogenannten Offenmarktgeschäften kaufen und verkaufen. Zentralbanken vergeben auch Kredite an Geschäftsbanken gegen Sicherheiten wie Anleihen oder andere Schuldtitel. Die Anlagestrategien und Sicherheitsregeln der Zentralbanken sollten ökologische Risiken bei solchen Geschäften minimieren. Das dient nicht nur dem Schutz ihres eigenen Portfolios, sondern sendet auch wichtige Signale an die Finanzmärkte und die Realwirtschaft. Wertpapiere sind nämlich attraktiver, wenn Finanzinstitute sie verwenden können, um Zentralbankgeld zu erhalten.
- Wie alle Organisationen müssen auch ZBFR prüfen, wie sich ihr eigenes Handeln auf die Umwelt auswirken kann und potenzielle negative Auswirkungen minimieren. Das gilt ganz besonders dort, wo sie mandatiert sind, die Politik der Regierung zu unterstützen.
- Die Politiken und Entscheidungen von ZBFR tragen zur Gestaltung der Märke bei. Beispielsweise legen ihre Aufsichtsrichtlinien fest, was Geschäftsbanken bei der Vergabe von Krediten, der Ausgabe von Anleihen oder ihrer Berichterstattung berücksichtigen müssen. So können ZBFR Finanzinstitutionen etwa dazu verpflichten, klima- und naturbezogene Risiken offenzulegen sowie mögliche ökologische Auswirkungen bei ihrer Kreditvergabe und Investitionen zu berücksichtigen. Solche Bestimmungen können dazu beitragen, dass das Finanzsystem den ökologischen Wandel unterstützt.
- Wer führen will, muss mit gutem Vorbild vorangehen. ZBFR sollten sich also selbst an Standards halten, die sie für andere setzen.
Derweil behält die Regierungspolitik zentrale Bedeutung. Auf sie kommt es vor allem an, aber ZBFR können konstruktiv mitwirken. Was sie genau leisten können, hängt von ihren jeweiligen Mandaten und dem nationalen Kontext ab. Fest steht aber jedenfalls, dass ZBFR eine wichtige Rolle dabei spielen können, die Finanz- und Realwirtschaft dabei zu unterstützen, ihre Aktivitäten mit Klima- und Nachhaltigkeitszielen in Einklang zu bringen und Klima- und Umweltrisiken zu minimieren.
Wachsender Konsens
Inzwischen hat sich international die Sicht durchgesetzt, dass Umweltfragen bei der Geldpolitik und der Finanzaufsicht beachtet werden müssen. Das folgt aus dem grundsätzlichen Auftrag der ZBFR, Makroökonomie und Finanzmärkte stabil zu halten (siehe Hans Dembowski auf www.dandc.eu). Diese Sicht teilen alle 121 Institutionen, die sich bislang dem Network of Central Banks and Supervisors for Greening the Financial System (NGFS) angeschlossen haben.
Die zwei Aufgaben, Umweltrisiken zu reduzieren und die Finanzwirtschaft grüner zu machen, sind eng verwoben. Auf Nachhaltigkeit angelegte Investitionen begrenzen nämlich ökologische Schäden – und somit auch makroökonomische und finanzielle Risken – in der Zukunft. Tatsächlich können ZBFR Volkswirtschaften widerstandsfähiger machen, indem sie helfen, den Finanzsektors nachhaltiger aufzustellen.
ZBFR verfügen dafür auch über einen potenziell großen Werkzeugkasten. Zunächst geht es dabei um Standards, Taxonomien und Kennzahlen für Berichterstattung und Rechenschaftslegung. Wenn sie solche Dinge klug definieren, helfen sie dem Finanzsektor, Umweltrisiken und -auswirkungen zu erkennen, zu bewerten und in den Griff zu bekommen. Und wenn das geschieht, fließt auch mehr Kapital in nachhaltige Vorhaben.
Obendrein können ZBFR die Entwicklung neuer grüner Marktsegmente fördern. Ihre Regeln können beispielsweise günstige Rahmenbedingungen für den Handel mit nachhaltigen Anlagen schaffen, die ökologischen, sozialen und Governance-Anforderungen entsprechen (ESG – environmental, social and governance criteria) (über die Herausforderung, dafür internationale Standards zu schaffen, siehe Kathrin Berensmann auf www.dandc.eu).
Innovative Stresstests
ZBFR haben begonnen, Stresstests durchzuführen, um zu prüfen, wie anfällig einzelne Geldhäuser, aber auch das Finanzsystem insgesamt mit Blick auf Klima- und Umweltrisiken sind. Wenn das Ergebnis zeigt, dass eine Bank einem ökologischen Schock nicht gewachsen sein könnte, kann ihr auferlegt werden, ihr Risikomanagement zu verbessern oder zusätzliche Kapitalpolster anzulegen.
Solche Auflagen machen riskante Investitionen finanziell weniger attraktiv. Falls eine Bank systemrelevant ist, können die Auflagen auch strenger ausfallen. Sie kann etwa verpflichtet werden, mehr Eigenkapital vorzuhalten.
Auch die Geldpolitik der Zentralbanken sollte Umweltrisiken und -auswirkungen berücksichtigen. Wie bereits erwähnt, können Zentralbanken ökologisch problematische Wertpapiere von ihrer Offenmarktpolitik ausschließen oder nicht mehr (oder nur mit einem Abschlag) als Sicherheiten akzeptierten. Beides hat Signalwirkung, weil Geschäftsbanken Wertpapiere bevorzugen, die Zentralbanken akzeptieren. Obendrein können Zentralbanken spezielle Refinanzierungslinien einführen, damit Geschäftsbanken Kredite zu niedrigeren Zinssätzen an CO2-arme oder anderweitig umweltfreundliche Vorhaben vergeben können.
Dass ZBFR mit gutem Vorbild vorangehen sollen, kann nicht oft genug wiederholt werden. Wenn sie Umwelt- und Naturrisiken in ihrem eigenen Portfolio benennen, statuieren sie das richtige Exempel. Das gilt ebenfalls, wenn sie nachhaltige Investitionsregeln einhalten.
Darüber hinaus können ZBFR die Nachhaltigkeitsagenda durch Fahrpläne für nachhaltige Finanzen („Sustainable Finance Roadmaps“) oder durch Beratung ihrer Regierung unterstützen. Sie können auch den Aufbau von Kapazitäten im Bereich nachhaltige Finanzen im Finanzsektor unterstützen und das Bewusstsein dafür schärfen, wie Umweltrisiken die makroökonomische und finanzielle Stabilität beeinträchtigen können.
Besondere Dringlichkeit in Entwicklungsländern
Letztlich werden sich alle ZBFR den vielschichtigen ökologischen Herausforderungen stellen müssen. Handeln ist weltweit nötig – aber der Druck ist in Entwicklungsländern besonders hoch:
- Sie sind den verheerenden Folgen der globalen Umweltkrise besonders ausgesetzt.
- Ihr Investitionsbedarf ist höher, während ihre Finanzsysteme vergleichsweise schwach entwickelt sind.
Es überrascht also kaum, das ZBFR in ärmeren Weltregionen zu den Vorreitern gehören. Zu den ersten ZBFR, die sich mit Umweltfragen beschäftigt haben, gehören jene in Bangladesch, Brasilien, China und Libanon. Ohnehin sind ZBFR im globalen Süden neben der Wahrung der Preisstabilität oftmals stärker auf eine Unterstützung von Entwicklungszielen ausgerichtet. Dementsprechend gehen viele von ihnen jetzt die finanziellen und makroökonomischen Auswirkungen der globalen Umweltkrise auf pragmatische und praktische Weise an.
Viele ZBFR im globalen Süden haben auf kreative Weise umweltfreundliche Instrumente und Richtlinien eingeführt, die ZBFR in Industrieländern unorthodox erscheinen mögen. Die globale Umweltkrise eskaliert aber und die Folgen werden schlimmer, sodass künftig immer mehr ZBFR ihre Politiken und Instrumente auf Nachhaltigkeit ausrichten dürften. Dies ist Teil ihres Mandats zur Wahrung der makroökonomischen und finanziellen Stabilität. In Zukunft müssen ZBFR jedoch die Wirksamkeit, Effizienz und Gerechtigkeit der ergriffenen Maßnahmen systematischer bewerten um sicherzustellen, dass klar definierte Ziele erreicht werden, während unerwünschte Verzerrungen vermieden werden.
Ulrich Volz ist Professor für Ökonomie und Direktor des Centre for Sustainable Finance der SOAS, University of London. Er forscht auch am German Institute of Development and Sustainability (IDOS).
uv1@soas.ac.uk