Energiewende

Die Windinseln

Die Republik Cabo Verde (Kapverdische Inseln) könnte ab 2020 das erste Land sein, das seine Energie vollständig aus erneuerbaren Quellen erzeugt. In den vergangenen drei Jahren ist der Anteil der erneuerbaren Energien am Strom-Mix bereits auf knapp ein Viertel gestiegen, vor allem dank Wind- und Solarkraft. Das 100-Prozent-Ziel ist ehrgeizig. Die Regierung will auf alle Fälle 50 Prozent erreichen. Von Toni Kaatz-Dubberke
Größter Windpark in Kap Verde. Toni Kaatz-Dubberke Größter Windpark in Kap Verde.

Adilson Barros betreibt einen kleinen Friseurladen im Zentrum der kapverdischen Hauptstadt Praia. „Zehn Haarschnitte mache ich im Monat, nur um den Strom zu bezahlen“, stöhnt er und zeigt seine Stromrechnung. Denn obwohl er nur sieben Elektrogeräte betreibt und als Kleinverbraucher staatlich subventionierten Strom bezieht, kostet ihn die Kilowattstunde umgerechnet 34 Eurocent, deutlich mehr als in Deutschland.

Seit seiner Unabhängigkeit 1975 hat Cabo Verde eine in Afrika fast beispiellose Entwicklung hingelegt. Dazu gehört auch die flächendeckende Elektrifizierung der zehn Inseln mithilfe von Diesel- und Benzingeneratoren durch den staatlichen Netzbetreiber und Energieproduzenten Electra. Dieser Konzern gehört zu 80 Prozent dem Nationalstaat und zu 20 Prozent den Kommunalverwaltungen. Electra hat auch das Monopol für die Stromdistribution inne. Die Stromproduk­tion ist jedoch ein offener Markt, wobei Electra sich auf alle staatlichen Ausschreibungen im Energiesektor bewerben kann.

Seit dem Jahr 2000 hat sich der Energieverbrauch in Cabo Verde verdoppelt, während sich im gleichen Zeitraum der Weltmarktpreis für Rohöl mehr als verdreifachte. Die kapverdische Energieversorgung ist bislang von teuren Dieselimporten abhängig. Neben Kleingewerben, Privathaushalten und den großen Hotels gilt das vor allem für die Landwirtschaft, da aufgrund der Wasserknappheit auf allen Inseln energieintensiv – und damit teuer – Meerwasser entsalzt werden muss. Laut IWF haben allein 2013 Öl-Importe rund 136 Millionen Euro gekostet.

Um steigenden Kraftstoffpreisen und der einseitigen Abhängigkeit von der Energiequelle Rohöl zu begegnen, beschloss die kapverdische Regierung im Jahre 2002 eine ambitionierte Energiewende. „Bis 2020 wollen wir 50 Prozent unserer Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen“, sagt Antonio Baptista, ein Spitzenbeamter im Ministerium für Industrie, Energie und Tourismus. „Zudem lassen wir gerade prüfen, ob wir sogar 100 Prozent schaffen können.“

Cabo Verde hat durch seine Lage mitten im Atlantik beste Bedingungen für Wind- und Solarenergieerzeugung: 350 Sonnentage und ganzjährig Windstärken von im Schnitt sechs Metern pro Sekunde. Die Inseln brauchen dezentrale Versorgungsysteme, denn ein einheitliches Netz für den ganzen Staat ist unmöglich. Der Nachteil ist allerdigns, dass Stromüberschuss auf einer Insel nicht auf der nächsten genztzt werden kann.

Auf dem Weg zur komplett erneuerbaren Versorgung gibt es diverse Probleme wie die Energiespeicherung und den Ausbau des Netzes. Das Aufnahmevermögen des Netzes ist noch nicht stabil genug: „Bisher haben wir etwa 25 Prozent Penetration durch erneuerbare Energien in Cabo Verde, und das ohne Speichersysteme. Man nutzt die Dieselgeneratoren als Back-up, die angepasst reguliert werden, je nachdem wie viel Wind- und Solarenergie produziert wird“, erklärt Jansenio Delgado von ECREEE. Das Kürzel steht für „ECOWAS Centre for Renewable Energy and Energy Efficiency“ (Zentrum für erneuerbare Energien und Energieeffizienz der ECOWAS, der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten). Delgado stellt klar: „Wenn wir 50 Prozent erreichen wollen, brauchen wir neue Technologien, die die Fluktuationen ausgleichen können.“

Mit Unterstützung von ECREEE ist in Cabo Verde der größte Solarpark Westafrikas entstanden, der rund zwei Prozent an der Gesamtenergieproduktion des Landes ausmacht. Das Zentrum berät aber auch die anderen Regierungen der ECOWAS. Das Zentrum wurde 2010 in der kapverdischen Hauptstadt Praia gegründet. ECREEE soll erneuerbare Energien in Westafrika fördern. Seine Experten arbeiten an Strategien für die ganze Region; Konzepte für Senegal, Ghana und Nigeria stehen bereits. ECREEE erkennt dort enormes Potenzial für erneuerbare Energien.

Selbst Cabo Verde steht aber noch vor großen Herausforderungen. Die Lösung der technischen Probleme kostet Geld, das der Staat nicht hat. Auf mehr als eine Milliarde Euro nämlich schätzt die Regierung die notwendigen Investitionen und hofft auf ausländische Privatinvestoren. „Unser Staat wird nicht investieren“, erklärt der Ministerialbeamte Baptista. „Wir werden den Energiemarkt durch Ausschreibungen international öffnen.“

Da Cabo Verde nicht als klassisches Entwicklungsland gilt, bekommt es auch keine Budgethilfe oder Entwicklungskredite mehr – der Inselstaat muss die Energiewende aus eigener Kraft schaffen. Steuererleichterungen sowie Zollfreiheit für die Einfuhr von Wind- und Solaranlagen sollen nun ausländische Investoren anziehen; die politische Stabilität des Landes wirkt sich dabei positiv aus. An einem Erneuerbare-Energien-Gesetz wird zurzeit gearbeitet. Bisher gilt das von der Regierung beschlossene 50-Prozent-Ziel für 2020.


Von null auf hundert

Peter Heck vom Institut für angewandtes Stromstoffmanagement (IfaS) aus Birkenfeld dagegen empfiehlt Cabo Verde, gleich das ehrgeizige 100-Prozent-Ziel bis 2020 zu verfolgen: „Es wäre ökonomisch unsinnig, nur auf 50 Prozent zu gehen.“ Dann müsste nämlich das von Generatoren gespeiste System parallel weiter betrieben werden, was die Kosten in die Höhe treibe.

Im Auftrag der kapverdischen Regierung hat IfaS im März eine umfassende Strategie vorgelegt, wie erreicht werden könnte, dass jede Insel komplett durch erneuerbare Energien versorgt wird. „Die technischen Probleme sind im Prinzip gelöst. Alle Technologien für Energiespeicherung und Ausbau der Netze sind auf dem Markt verfügbar“, sagt Heck.

Das große Hindernis auf dem Weg zum 100-Prozent-Ziel ist aus seiner Sicht, dass es bisher keine umfassende gesetzliche Regelung für die Energieversorgung gibt. Einerseits fordern ausländische Investoren Rechtssicherheit; andererseits müsse eine Institution geschaffen werden, die kontrolliert, wer wie Energie produziert und verteilt. IfaS schlägt dafür eine zentrale Holding vor, die für alle Inseln Verantwortung übernimmt und auch das Investmentkapital besorgt. In dieser Holding wären dann die einzelnen Inselkraftwerke organisiert, die dort jeweils die Energieversorgung gewährleisten.

Allerdings muss „das Rosinenpicken aufhören“, so Heck. Zurzeit suchen sich ausländische Firmen einfach die besten Standorte für Stromproduktion her­aus, ohne einem nationalen Gesamtkonzept zu folgen. Solch eine „Rosine“ ist der größte Windpark Cabo Verdes in der Nähe von Praia (siehe Kasten). Solange es kein Erneuerbare-Energien-Gesetz gibt, können Investoren nicht dazu verpflichtet werden, auch weniger vielversprechende Standorte zu nutzen.


Unterstützung der ­Bevölkerung

Kapverdische Privathaushalte, die eigene Solaranlagen aufbauen, bekommen keine Vergütung, wenn sie Überschüsse ins Netz abgeben; sie können jedoch die abgegebene Strommenge bei Bedarf wieder kostenlos aus dem Netz zurückbekommen. Die Einfuhr von Solarpaneelen ist zollfrei.

Aufgrund der vielen Erleichterungen und des günstigeren Strompreises wird die Energiewende von den Menschen vor Ort unterstützt. Sie wissen auch: Gelänge die komplette Energiewende, wäre Cabo Verde nicht nur ökologisch sauber, sondern dann auch ein Billigenergieland. Die Landwirtschaft würde  zum Beispiel günstiger, und eine heimische Industrie würde möglich.

Auf Tagungen in Europa, sagt Ana Monteiro vom auf Windkraft spezialisierten lokalen Projektentwickler Cabéolica, werde sie oft gefragt, ob es bei der kapverdischen Bevölkerung keinen Widerstand gegen die „Verspargelung“ der Landschaft gäbe, also gegen die Windparks mit ihren hoch aufragenden Windmühlen: Damit hat niemand ein Problem, meint Monteiro, denn „in einem Land, wo Strom teuer ist und bis vor Kurzem noch tagelange Stromausfälle vorkamen, ist man dankbar für jede Entwicklung.“

Die Republik Cabo Verde ist ein Testfall. Wenn die Entwicklung wie geplant weitergeht, kann mithilfe der erneuerbaren Energien die Abhängigkeit von Rohölimporten gekappt werden, und Menschen wie der Friseur Adilson Barros müssen weniger Geld für ihre Stromrechnungen ausgeben. Gelingt die Energiewende auf den Kapverdischen Inseln, ist dies ein positives Beispiel für ganz Westafrika.

 

Toni Kaatz-­Dubberke arbeitet für die GIZ in Togo im Bereich Dezentralisierung und Lokalentwicklung. toni.kaatz-dubberke@giz.de