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Frauenrechtsaktivistinnen

„Wir müssen mehr tun, als nur über Genitalverstümmelung zu reden“

Shamsa Araweelo ist eine Überlebende weiblicher Genitalverstümmelung. In Großbritannien suchte sie jahrelang nach einer guten medizinischen Behandlung. Sie wurde zur Fürsprecherin für Überlebende von Gewalt und ist auch auf Social Media sehr erfolgreich.
Rednerin, Trainerin, Aktivistin und Expertin für weibliche Genitalverstümmelung (FGM). Shamsa Araweelo
Rednerin, Trainerin, Aktivistin und Expertin für weibliche Genitalverstümmelung (FGM).

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe von Interviews mit Frauenrechtlerinnen aus der ganzen Welt. Sie teilen ihre Erlebnisse und berichten von Erfolgen der Frauenrechtsbewegungen in ihren Ländern.

Wie setzen Sie sich für die Rechte der Frauen ein, und was motiviert Sie?

Ich bin Somalierin, lebe in Großbritannien und bin Überlebende weiblicher Genitalverstümmelung (female genital mutilation – FGM). Ich nutze meine persönlichen Erfahrungen, um auf FGM aufmerksam zu machen, Bewusstsein zu schaffen und Fachkräfte zu schulen. Außerdem setze ich mich für Überlebende von FGM und von Gewalt im Namen der Ehre (honour-based violence – HBV) ein. Um mehr Menschen zu erreichen, nutze ich aktiv meine Social-Media-Kanäle: Auf TikTok habe ich mehr als 380 000 Follower und eine Reichweite von mehr als 100 Millionen Menschen weltweit. Meine Arbeit ist strategisch, datenbasiert und setzt sich für die Interessen von Überlebenden und für systemische Veränderungen ein. Die BBC hat mich zu einer der 100 Frauen des Jahres 2023 gewählt und damit meinen weltweiten Einfluss auf den Kampf für Frauenrechte gewürdigt. 2024 erhielt ich den Girls’ Human Rights Award für meinen Einsatz gegen Gewalt an Mädchen.

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Großbritannien illegal, aber tausende von Frauen im Land haben sie erlitten. Mit welchen Problemen haben Überlebende von FGM und HBV in Großbritannien besonders zu kämpfen?

Ein großes Problem sind die mangelnde Aufklärung und das fehlende Problembewusstsein, besonders bei Gesundheitspersonal. Statt einer verpflichtenden vertiefenden Ausbildung zu FGM oder HBV an medizinischen Hochschulen, Unis oder in Berufstrainings gibt es dafür oft nur eine einstündige Schulung. Das reicht nicht, um die Tragweite dieser Praktiken zu erfassen, ihre Langzeitfolgen zu ermessen und traumasensibel damit umzugehen. Das führt zu Angst und Misstrauen. Viele Überlebende vermeiden es daher, Gesundheitsangebote in Anspruch zu nehmen.

Es fehlt auch an Wissen und Bewusstsein über Intersektionalität und den Einfluss kultureller, ethnischer und geschlechtsspezifischer Dimensionen auf Überlebende. Hilfesuchende fühlen sich oft abgewiesen oder verurteilt. Gesundheitspersonal versteht die kulturelle Bedeutung von FGM womöglich nicht, oder Betroffene werden durch abschätzige oder unsensible Bemerkungen ungewollt retraumatisiert.

Zugänglichkeit und Fairness sind ebenfalls ein Thema. Die wenigen zur Verfügung stehenden Angebote – wie zum Beispiel psychosexuelle Unterstützung – sind für die Bedürftigsten oft nicht erreichbar oder sie wissen nicht, dass es sie gibt. Viele bleiben daher isoliert, hilflos und allein mit ihrem unverarbeiteten Trauma.

Es gibt auch kein standardisiertes Meldesystem für FGM- und HBV-Fälle. Es wird nicht einheitlich reagiert, und die Betroffenen werden oft allein gelassen. Überlebende brauchen das Gefühl, gehört, verstanden und geschützt zu werden, aber das System gibt das nicht her. Dies wird auch so bleiben, wenn sich am System nichts ändert, es keine verpflichtende Ausbildung für Fachkräfte gibt und Angebote für Betroffene nicht stärker gefördert werden.

Was wurde in Großbritannien für die Überlebenden von FGM und HBV erreicht?

Das Ausmaß des Problems wird besser erkannt, wenn auch noch nicht in ausreichendem Maße. Die meisten Initiativen sind in London angesiedelt, aber selbst dort reichen die Mittel nicht aus. Im Rest des Landes gibt es noch weniger Unterstützung.

Es wird viel in die öffentliche Bewusstseinsbildung investiert, aber das Problem muss an der Wurzel gepackt werden: Bildung ist der Schlüssel zur Prävention. FGM-Aufklärung gehört auf den nationalen Lehrplan von Schulen. Universitäten sollten Pflichtkurse zu FGM einführen, insbesondere in den Studiengängen Medizin, Jura, Sozialarbeit und Pädagogik.

Es gibt einige neue Gesetze, wie die FGM Protection Orders, die bedrohte Frauen und Mädchen schützen sollen. Berichte zeigen jedoch, dass die Zahl der von Allgemeinmediziner*innen und Kliniken in Großbritannien registrierten Fälle von FGM seit 2016 um 15 Prozent gestiegen ist. Ein solideres und systematischeres Vorgehen ist daher dringend erforderlich.

Oft werden zu Aufklärungszwecken die Geschichten von Überlebenden erzählt, aber meistens ändert sich dadurch nichts. Ihre Geschichten bleiben einfach Geschichten, ohne dass sich das System oder die Situation der Betroffenen verbessert. Die Betroffenen werden so eher noch weiter ausgebeutet, ohne wirkliche Hilfe zu erhalten oder ein Forum zu bekommen, das Veränderungen ermöglichen könnte.

Wir müssen endlich konkrete, präventive Maßnahmen umsetzen, statt weiter bloß über FGM zu reden. Wir brauchen ein stärkeres, gerechteres System, das die Überlebenden in den Mittelpunkt stellt, Systemfehler behebt und Bildung priorisiert. Kern dieser Arbeit muss Intersektionalität sein, und die Überlebenden müssen in die Politikgestaltung einbezogen werden, um sicherzustellen, dass sie wirksam und gerecht ist.

Shamsa Araweelo ist Rednerin, Trainerin, Aktivistin und Expertin für weibliche Genitalverstümmelung (FGM).
sssharawe@yahoo.com

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