Rüstung

Renaissance der Kernwaffen droht

Die von Atomwaffen ausgehenden Bedrohungen wurden nach dem Ende des Ost-West-Konflikts lange unterschätzt. Die Gefahr, dass Nordkorea und der Iran atomar aufrüsten und Terroristen in den Besitz von Kernwaffen gelangen, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs, wie das 16. Forum Globale Fragen, veranstaltet vom Auswärtigen Amt im März in Berlin, deutlich machte: Der Atomwaffensperrvertrag (Non-Proliferation Treaty, NPT) von 1968 – der Kern des internationalen Regimes gegen die Verbreitung von Kernwaffen – verliert zunehmend an Verbindlichkeit.

Laut Harald Müller von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung treibt das Verhalten der Kernwaffenstaaten die Verbreitung von Atomwaffen voran: Sie schaffen Bedrohungen für andere Staaten, machen Kernwaffen zum Statussymbol, entwerten ihr Verbot und gehen gegen Verstöße selektiv vor. Dagegen sieht Annalisa Gianella, die EU-Beauftragte für Massenvernichtungswaffen, den Hauptgrund für den Griff nach der Bombe in regionalen Spannungen: Der Iran fühle sich von Indien, Pakistan und Israel bedroht. Einigkeit herrschte darüber, dass sowohl eine atomare Bewaffnung des Iran und Nordkoreas verhindert als auch der NPT stabilisiert und gestärkt werden müssen.

Mit militärischen Mitteln kann man den Iran laut Mark Fitzpatrick vom International Institute for Strategic Studies in London nicht an der Produktion von waffentauglichem Uran hindern, denn mit Luftangriffen könne man nicht alle Anreicherungsanlagen zerstören. Verhandlungen hingegen wurden auf der Konferenz als schwierig, aber nicht aussichtslos beurteilt. Über notwendige Schritte waren von EU-Vertreterin Gianella bis zu Mark Fitzpatrick, der bis 2005 im US-Außenministerium gearbeitet hat, alle einig: Die USA müssten Sicherheitsgarantien für Teheran mittragen, wozu Washington bisher jedoch nicht bereit ist. Der Westen sollte für eine kernwaffenfreie Zone im Nahen Osten unter Einschluss Israels eintreten, den Friedensprozess in der Region vorantreiben und die regionale Rolle des Iran anerkennen.

Teheran dürfe nicht der Eindruck vermittelt werden, das Land solle als „Schurkenstaat“ Sonderregeln unterworfen oder an der Nutzung der Kernenergie gehindert werden. Die iranische Regierung lehnt es bisher ab, die eigene Uran-Anreicherung aufzugeben und sich stattdessen Kernbrennstoff liefern zu lassen oder eine Anreicherungsanlage im Ausland mitzunutzen. Statt nur den Iran zu einem solchen Schritt zu drängen, sollte die Staatengemeinschaft eine allgemeine Internationalisierung der Spaltstoff-Produktion anstreben: Alle Staaten, die den NPT einhalten, sollten sich an multinational betriebenen Anreicherungsanlagen beteiligen können. Das würde die heimliche Herstellung von waffentauglichem Material erschweren.

Staaten wie der Iran werden sich darauf aber nur einlassen, wenn auch die Kernwaffenstaaten ihrer Verpflichtung aus dem NPT nachkommen und atomar abrüsten. Über die kurzfristig nötigen Schritte bestand in Berlin Einigkeit: Die Kernwaffenstaaten sollen ihre Arsenale weiter abbauen, den Vertrag über das vollständige Verbot von Atomtests ratifizieren, auf die Entwicklung neuer Atomwaffen und die Stationierung von Raketenabwehrsystemen verzichten und einen Vertrag schließen, der die Produktion von neuem waffentauglichem Material beendet. Alle Vertragsstaaten sollten Verstöße gegen den NPT klar verurteilen. Die geplante atomtechnische Zusammenarbeit der USA mit Indien (das wie Pakistan und Israel dem Sperrvertrag nicht angehört und Atomwaffen besitzt) wurde als schädliche Bevorzugung eines Landes kritisiert: Die USA sollten von Indien im Gegenzug verlangen, die Pflichten eines Kernwaffenstaates unter dem NPT zu übernehmen, dem Teststoppvertrag beizutreten und nicht weiter nuklear aufzurüsten.

Harald Müller betonte, langfristiges Ziel müsse die Beseitigung aller Kernwaffen sein. Anders könne man auf Dauer nicht verhindern, dass Dutzende Kernwaffenstaaten entstehen und das Risiko eines Atomkriegs steigt. Müller zeigte sich jedoch skeptisch, dass die Zunahme der Kernwaffenstaaten vermieden werden kann. Dagegen sieht Hans Blix, der frühere Leiter der Internationalen Atomenergie-Behörde und der UN-Rüstungskontrollkommission, eine neue Chance für Abrüstung. Die Kriege im Irak und im Libanon hätten gezeigt, dass der Nutzen militärischer Gewalt gesunken und ihre Kosten gestiegen seien. Zudem drohe kein Krieg mehr zwischen Großmächten: „Kann man sich einen Krieg über den chinesischen Wechselkurs oder den CO2-Ausstoß vorstellen?“ William Walker von der schottischen Universität St. Andrews empfahl, für die Zeit nach dem Regierungswechsel in den USA Ende 2008 neue Initiativen vorzubereiten. Die NPT-Überprüfungskonferenz 2010, so ein Appell der Tagung, darf nicht wieder wie 2005 in einer totalen Blockade enden.

Bernd Ludermann

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